Hängt sie höher!
Gastbeitrag. Heute beginnen Ermittlungsverfahren mit Paukenschlag – je bekannter der Verdächtige, desto lauter der Schlag.
Das Ermittlungsverfahren ist nicht öffentlich – so steht es im zwölften Paragrafen der Strafprozessordnung. Als diese Bestimmung erfunden wurde, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass sie – im Zeitalter des weltweiten Netzes – totes Recht sein würde. Damals nahm man es mit dem Schutz der Beschuldigten, der Unschuldsvermutung und den Grundsätzen eines fairen Verfahrens noch genauer. Heute ist das anders.
Heute beginnen Ermittlungsverfahren mit einem Paukenschlag – je exponierter der Verdächtige, desto lauter der Paukenschlag. Nicht nur die Namen der Verdächtigen werden unmittelbar in die Öffentlichkeit getragen, sondern auch die Zwangsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder Sicherstellungen von elektronischen Geräten werden den Medien verwertungsgerecht serviert. Wenn schließlich auch die urteilsähnlich formulierten Anordnungsanträge von einem Richter stampilienmäßig übernommen werden, zeigt die Staatsanwaltschaft eine Erstschlagkapazität, die alle Theorien über eine prozessuale Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung a priori konterkariert.
Exponierte Beschuldigte
Wenn der Staat seine Beschuldigten derart exponiert, dass manche binnen Tagen ihren Job verlieren, hat das mit einem fairen Verfahren nichts mehr zu tun. Die verfassungsrechtlich abgesicherte Unschuldsvermutung ist bis zur Unkenntlichkeit abgedroschen. Für eine eben noch regierende Gruppe von mehr und minder begabten PR-Profis, die aus ihrer Skepsis gegenüber der Juristerei nie ein Hehl gemacht haben und nun die Rechnung präsentiert bekommen, erscheint sie aufgehoben. Dank des jederzeit aufrufbaren Internets können sie knopfdruckartig an den Pranger gestellt werden. Der Menschenrechtsgerichtshof wird sich beim üblichen Tempo unserer Strafjustizbehörden hierzu erst knapp vor 2040 äußern können – wenn der soziale und ökonomische Tod schon längst eingetreten sein wird.
Während die publikumswirksamen Demütigungsrituale eher an die Persönlichkeitsrechte Nordkoreas als eines zivilisierten europäischen Landes erinnern, werden die Persönlichkeitsrechte der Nordkoreaner hierzulande allerdings durchaus hochgehalten. So hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Leiter der Spionageabwehr im BVT beim Straflandesgericht einen Prozess angestrengt, weil dieser nordkoreanische Bürger in Österreich observieren ließ. Da das temporäre Verlassen von Nordkorea ohne kommunistische Parteitreue undenkbar ist und sich das Land hinsichtlich seiner Friedensliebe eher eines zweifelhaften Rufs erfreut, erscheint das Ansinnen des Verfassungsschutzes für einen mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Österreicher nachvollziehbar. Mag sein, dass der Beamte eine Nachfrage beim Rechtsschutzbeauftragten in der Hitze des Gefechts vergessen hat – das soll allerdings der WKStA in der Causa des beiseitegetretenen Bundeskanzlers auch passiert sein. In einer durch und durch überregulierten Welt stolpern manchmal auch die saubersten Korruptionsbekämpfer der Republik über die Fallstricke des Paragrafendschungels.
Wenn die Staatsanwaltschaft einen solchen Fauxpas zum Anlass für ein Amtsmissbrauchsverfahren nimmt, erinnert so viel Begriffsjurisprudenz an Friedrich Nietzsche: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht selbst zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“
Dr. Georg Vetter (* 1962) ist Rechtsanwalt. Er war Mitglied des Teams Stronach, wechselte 2015 in den Parlamentsklub der ÖVP und schied im November
2017 aus dem Nationalrat aus.