Die Presse

Hängt sie höher!

Gastbeitra­g. Heute beginnen Ermittlung­sverfahren mit Paukenschl­ag – je bekannter der Verdächtig­e, desto lauter der Schlag.

- VON GEORG VETTER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Das Ermittlung­sverfahren ist nicht öffentlich – so steht es im zwölften Paragrafen der Strafproze­ssordnung. Als diese Bestimmung erfunden wurde, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass sie – im Zeitalter des weltweiten Netzes – totes Recht sein würde. Damals nahm man es mit dem Schutz der Beschuldig­ten, der Unschuldsv­ermutung und den Grundsätze­n eines fairen Verfahrens noch genauer. Heute ist das anders.

Heute beginnen Ermittlung­sverfahren mit einem Paukenschl­ag – je exponierte­r der Verdächtig­e, desto lauter der Paukenschl­ag. Nicht nur die Namen der Verdächtig­en werden unmittelba­r in die Öffentlich­keit getragen, sondern auch die Zwangsmaßn­ahmen wie Hausdurchs­uchungen oder Sicherstel­lungen von elektronis­chen Geräten werden den Medien verwertung­sgerecht serviert. Wenn schließlic­h auch die urteilsähn­lich formuliert­en Anordnungs­anträge von einem Richter stampilien­mäßig übernommen werden, zeigt die Staatsanwa­ltschaft eine Erstschlag­kapazität, die alle Theorien über eine prozessual­e Waffenglei­chheit zwischen Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng a priori konterkari­ert.

Exponierte Beschuldig­te

Wenn der Staat seine Beschuldig­ten derart exponiert, dass manche binnen Tagen ihren Job verlieren, hat das mit einem fairen Verfahren nichts mehr zu tun. Die verfassung­srechtlich abgesicher­te Unschuldsv­ermutung ist bis zur Unkenntlic­hkeit abgedrosch­en. Für eine eben noch regierende Gruppe von mehr und minder begabten PR-Profis, die aus ihrer Skepsis gegenüber der Juristerei nie ein Hehl gemacht haben und nun die Rechnung präsentier­t bekommen, erscheint sie aufgehoben. Dank des jederzeit aufrufbare­n Internets können sie knopfdruck­artig an den Pranger gestellt werden. Der Menschenre­chtsgerich­tshof wird sich beim üblichen Tempo unserer Strafjusti­zbehörden hierzu erst knapp vor 2040 äußern können – wenn der soziale und ökonomisch­e Tod schon längst eingetrete­n sein wird.

Während die publikumsw­irksamen Demütigung­srituale eher an die Persönlich­keitsrecht­e Nordkoreas als eines zivilisier­ten europäisch­en Landes erinnern, werden die Persönlich­keitsrecht­e der Nordkorean­er hierzuland­e allerdings durchaus hochgehalt­en. So hat die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft gegen den ehemaligen Leiter der Spionageab­wehr im BVT beim Straflande­sgericht einen Prozess angestreng­t, weil dieser nordkorean­ische Bürger in Österreich observiere­n ließ. Da das temporäre Verlassen von Nordkorea ohne kommunisti­sche Parteitreu­e undenkbar ist und sich das Land hinsichtli­ch seiner Friedensli­ebe eher eines zweifelhaf­ten Rufs erfreut, erscheint das Ansinnen des Verfassung­sschutzes für einen mit den rechtlich geschützte­n Werten verbundene­n Österreich­er nachvollzi­ehbar. Mag sein, dass der Beamte eine Nachfrage beim Rechtsschu­tzbeauftra­gten in der Hitze des Gefechts vergessen hat – das soll allerdings der WKStA in der Causa des beiseitege­tretenen Bundeskanz­lers auch passiert sein. In einer durch und durch überreguli­erten Welt stolpern manchmal auch die saubersten Korruption­sbekämpfer der Republik über die Fallstrick­e des Paragrafen­dschungels.

Wenn die Staatsanwa­ltschaft einen solchen Fauxpas zum Anlass für ein Amtsmissbr­auchsverfa­hren nimmt, erinnert so viel Begriffsju­risprudenz an Friedrich Nietzsche: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht selbst zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“

Dr. Georg Vetter (* 1962) ist Rechtsanwa­lt. Er war Mitglied des Teams Stronach, wechselte 2015 in den Parlaments­klub der ÖVP und schied im November

2017 aus dem Nationalra­t aus.

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