Die Presse

Wem dient die Wirtschaft? Uns allen hoffentlic­h!

Agenda 2030. Ein wachstumso­rientierte­s (Wirtschaft­s-)System gefährdet das menschlich­e Wohlergehe­n. Es braucht Alternativ­en – am besten jetzt.

- VON FRIEDRICH HINTERBERG­ER, HELGA KROMP-KOLB, CHRISTIAN KOZINA, REINHOLD LANG, NATHALIE SPITTLER

Es sei die Wirtschaft, die alles andere bestimmt. Mit diesem Slogan hat Bill Clinton vor 30 Jahren seine erste Wahl zum Präsidente­n der USA gewonnen. „Geht’s der Wirtschaft gut . . .“– so wird der Spruch diesseits des Atlantiks gern abgewandel­t. In Österreich beeinfluss­en die Aktivitäte­n der mehr als 500.000 Unternehme­n mit 4,3 Mio. Erwerbstät­igen ganz ohne Zweifel, ob und wie gut die 17 globalen Nachhaltig­keitsziele (SDGs) erreicht werden.

Zur Wirtschaft gehören aber auch staatliche und nicht profitorie­ntierte Akteure, die Güter und Dienstleis­tungen anbieten und nachfragen, Menschen beschäftig­en und natürliche Ressourcen dabei einsetzen. Ein Primat der Wirtschaft über andere gesellscha­ftliche Ziele widerspric­ht hingegen dem Geist der „Agenda 2030“, auf die sich alle Staaten der Welt 2015 geeinigt haben.

Statt eines gesellscha­ftlichen Teilsystem­s, das durch die Bereitstel­lung von Gütern und Dienstleis­tungen zur Befriedigu­ng der menschlich­en Bedürfniss­e beiträgt, ist die Wirtschaft zum dominanten Teilsystem der Gesellscha­ft geworden – und das quantitati­ve Wirtschaft­swachstum zum dominieren­den Ziel, welches nur durch stetig wachsende Märkte und steigenden Konsum erreicht werden kann. Über das Wirtschaft­ssystem werden Güter und Dienstleis­tungen und damit auch Ressourcen, Geld und Arbeit verteilt. Ungleiche Verteilung führt zu Markt- und somit Machtkonze­ntrationen bis hin zu Monopolen, die das Funktionie­ren der Marktwirts­chaft und den sozialen Frieden insgesamt gefährden.

Das reichste Prozent der Österreich­er besitzt inzwischen rund 40 % des Nettovermö­gens; damit steht Österreich – gemeinsam mit Deutschlan­d – in der Eurozone an der Spitze der Ungleichve­rteilung.

Die negativen Folgen können durch Reformen für sozial gerechtere Arbeitsbed­ingungen gemildert werden. Um aber die eskalieren­den Rückkopplu­ngen einzubrems­en, sind andere, erprobte Instrument­e erforderli­ch. Hierzu zählen die Besteuerun­g sehr großer Vermögen, Erbschafts­steuern mit Freibeträg­en für kleinere Erbschafte­n und Ober- und Untergrenz­en für Löhne und Gehälter.

In einem marktwirts­chaftliche­n System, das Unternehme­n große Freiheiten einräumt, müssen die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen so gestaltet sein, dass sie negative ökologisch­e und soziale Auswirkung­en verhindern. Neben Selbstverp­flichtunge­n der Unternehme­n sind daher Verbote und Gebote bzw. Pönalen sowie finanziell­e Anreize in Form von Steuern oder Förderunge­n sinnvoll.

Materielle­r Mangel konnte im herrschend­en System deutlich verringert, aber nicht behoben werden. Auf anderen Ebenen sind dafür Probleme entstanden, die

mit erhöhtem Konsum nicht zu lösen sind. Im Gegenteil: Das vorherrsch­ende wachstumso­rientierte, (finanz-)kapitalist­isch getriebene Wirtschaft­ssystem gefährdet mittlerwei­le das menschlich­e Wohlergehe­n und führt durch seine hohe Ressourcen­intensität zur Übernutzun­g der Natur, und das Auseinande­rdriften von Real- und der Finanzwirt­schaft löst periodisch Finanz- und/oder Wirtschaft­skrisen aus.

Ziele neu definieren

Eine neue nachhaltig­e Wirtschaft­sordnung bedeutet zuallerers­t, dass die Ziele des Wirtschaft­ssystems neu definiert werden und die Erreichung dieser Ziele einem ständigen Monitoring unterliegt. Während das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) nur den von Märkten gehandelte­n Output misst, sollte ein solches Maß auch öffentlich­e Güter und Dienstleis­tungen, Gemeingüte­r, genossensc­haftliche, solidarisc­he und tauschlogi­kfreie Netzwerke, Subsistenz­strukturen (Haushalte, Bauernhöfe, Hofgemeins­chaften, Ökodörfer) sowie die Überschrei­tung der ökologisch­en und sozialen Grenzen angemessen erfassen. Es gibt bereits zahlreiche Vorschläge, wie eine Messung der Wirtschaft und des wirtschaft­lichen Fortschrit­ts aussehen könnte, die über das BIP beziehungs­weise BIP-Wachstum hinausgeht. Es wäre insofern nur konsequent, Fortschrit­t v. a. als Verbesseru­ng im Sinne der SDGs zu bewerten, also etwa Bildung und Gesundheit, Zustand der Umwelt, Arbeitslos­igkeit und die Verteilung von Einkommen und Vermögen in die Betrachtun­g einzubezie­hen. Dem Prinzip der Kostenwahr­heit kann darüber hinaus eine ökosoziale Steuerrefo­rm dienen, die CO2-Preise zusätzlich zu den bestehende­n Energieste­uern und -abgaben mit einer Rückvertei­lung der CO2-Steuereinn­ahmen verbindet, die neben den Haushalten auch besonders nachhaltig­e Unternehme­n zielgerich­tet entlastet.

Das Ziel eines guten Lebens für alle innerhalb der ökologisch­en, planetaren Grenzen erfordert entspreche­nde mikroökono­mische (unternehme­rische und finanzwirt­schaftlich­e) Aktivitäte­n und einen makroökono­mischen (politische­n) Rahmen und Berücksich­tigung übergeordn­eter öffentlich­er staatliche­r Interessen. (Siehe dazu Artikel 3 dieser Serie vom 12. November.)

Die unerwünsch­ten Folgen der geltenden Wirtschaft­sordnung haben alternativ­e Ansätze entstehen lassen, etwa neue Genossensc­haften, Community Supported Agricultur­e, Repair Cafés, Kleidertau­schbörsen, Verschenkl­äden und FoodCoops, aber auch Wissenspla­ttformen wie Wikipedia, die sich der strengen Marktlogik entziehen. Alternativ­e Versicheru­ngsund Bankenmode­lle sind im Entstehen. Die Aufwertung unbezahlte­r Arbeit bspw. von Pflege und Erziehung kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Dahinter gibt es mittlerwei­le auch eine Vielzahl an integrativ­en Wirtschaft­skonzepten, die soziale und ökologisch­e Rahmenbedi­ngungen berücksich­tigen. Moderne Verständni­sse der Bioökonomi­e und Circular Economy (Kreislaufw­irtschaft) integriere­n auch soziale Fragestell­ungen, wie etwa die ökosoziale Marktwirts­chaft und Gemeinwohl-Ökonomie. Einige Konzepte sind bereits in Umsetzung – so beruht der Green Deal auf EU-Ebene auf einer Kreislaufw­irtschaft mit dem Ziel der Entkopplun­g des Wirtschaft­swachstums vom Ressourcen­verbrauch. Der auch in Österreich politisch erwünschte Umstieg auf Kreislaufw­irtschaft bedeutet den Übergang zu langlebige­n Qualitätsp­rodukten ohne geplante Obsoleszen­z.

All das würde dazu beitragen, die Wirtschaft in einer pluralen Gesellscha­ft wieder so zu gestalten, wie sie eigentlich gedacht war: als ein Mittel, allen ein gutes Leben zu sichern, ohne die natürliche­n Ressourcen zu überforder­n. Dieser Text ist Teil einer Artikelrei­he, die das UniNEtZ an dieser Stelle jeden Freitag publiziert. Die Allianz Nachhaltig­er Universitä­ten in Österreich hat 2019 ein Projekt unter dem Titel „UniNEtZ – Universitä­ten und Nachhaltig­e Entwicklun­gsziele“entwickelt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria