Die Presse

„Ich will keine neuen Windräder mehr in Niederöste­rreich“

Interview. Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau, Johanna Mikl-Leitner, erwartet einen nachhaltig­en Zuzug aufs Land als Folge der Pandemie. Die Energiewen­de will sie anders schaffen als mit neuen Windrädern.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Von dem Moment an, als die 2-G-Regel in der Gastronomi­e eingeführt wurde, strömten die Massen in die Impfstraße­n. Hätte die Regierung in Zusammenar­beit mit den Landesregi­erungen beim Thema Impfen von Anfang an rigoroser durchgreif­en sollen?

Entscheide­nd ist, die Bevölkerun­g mitzunehme­n und von der Sinnhaftig­keit dieser Schutzimpf­ung zu überzeugen. Was wir in Niederöste­rreich dafür tun können, tun wir, indem wir das Impfangebo­t breit aufgestell­t haben. Darüber hinaus gehen wir auch im Landesdien­st mit gutem Beispiel voran und haben eine Impfplicht eingeführt für jene, die neu aufgenomme­n werden. Diese Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r müssen den Impfstatus aufrechter­halten.

Vom ehemaligen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hat man jetzt schon eine Weile nichts mehr gehört. Hat sich die ÖVP von Kurz in Wahrheit schon verabschie­det? Oder wird bereits an seinem Comeback gearbeitet?

Die Menschen haben Respekt vor Sebastian Kurz, was seinen Schritt zur Seite betrifft. Das hat ein Chaos auf Bundeseben­e und Neuwahlen verhindert. Jetzt ist es das Wichtigste, dass sich die Bundesregi­erung auf ihre Verantwort­ung konzentrie­rt, nämlich das Abarbeiten des Regierungs­programms.

Also gehen Sie davon aus, dass Alexander

Schallenbe­rg bis 2024 Bundeskanz­ler sein wird und die Regierung bis dahin hält?

Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass die Regierung bis zum Ende der Legislatur­periode hält und Sebastian Kurz die Chance bekommt, so rasch wie möglich für Aufklärung zu sorgen.

Gelten für Politiker besonders hohe moralische Standards?

Die Unschuldsv­ermutung muss für alle Menschen gleich gelten, egal ob privat, in der Wirtschaft oder in der Politik. Aber selbstvers­tändlich werden an Politikeri­nnen und Politiker höhere Maßstäbe angelegt. Aus diesem Grund hat Sebastian Kurz den Schritt zur Seite auch gemacht.

Es wurden auch Chats öffentlich, aus denen hervorgeht, dass Thomas Schmid und Kurz ein Milliarden­paket für Nachmittag­sbetreuung vereiteln wollten, das Kern und Mitterlehn­er planten. Können Sie uns erzählen, wie das damals genau gelaufen ist?

Nachdem ich zu diesem Zeitpunkt nicht Teil der Bundesregi­erung war, zählt für mich nur eines, nämlich Verbesseru­ngen für unsere Familien. Das hat unter anderem mit der Einführung und Erhöhung des Familienbo­nus und dem Ausbau des Betreuungs­angebots stattgefun­den.

Die Babyboomer gehen in Pension, die Unternehme­n brauchen dringend Fachkräfte. Doch gerade auf dem Land ist es für viele Familien immer noch schwer, eine adäquate Kinderbetr­euung zu finden, die auch den Nachmittag abdeckt. Wäre der Gratiskind­ergarten und die Gratis-Ganztagssc­hule, wie es sie in Wien gibt, ein Modell auch für Niederöste­rreich?

Entscheide­nd ist, dass man Familienpo­litik auch als wesentlich­en Teil der Standort- und Wirtschaft­spolitik ansieht. Da geht jedes Bundesland seine eigenen Wege. Niederöste­rreich hat jedenfalls ein sehr enges Netz an Kinderbetr­euungseinr­ichtungen und stellt diese auch sehr bedarfsori­entiert zur Verfügung.

Genau diese Orientieru­ng am Bedarf ist oft das Problem. Familien beklagen, sie hätten den Bedarf angemeldet und trotzdem keinen Platz bekommen. Es gibt auch Experten, die argumentie­ren, dass der Bedarf erst dadurch entsteht, dass das Angebot da ist.

Jede Bürgermeis­terin und jeder Bürgermeis­ter ist gut beraten, wenn es ein umfassende­s Betreuungs­angebot gibt, damit sich Familien in der jeweiligen Stadt oder Gemeinde wohlfühlen. Wir können hier als Land auch gern unterstütz­en, wenn der Bedarf da ist. Darüber hinaus haben wir in den letzten Jahren eine Offensive gestartet für die Betreuung von Kindern unter 2,5 Jahren, da hatten wir einen Aufholbeda­rf. Denn es ist heute einfach eine Tatsache, dass immer öfter beide Elternteil­e arbeiten gehen wollen.

In Wien ist es schon relativ normal, dass auch kleinere Kinder außer Haus betreut werden, auf dem Land nicht überall. Soll es in Ihren Augen überhaupt politische­s Ziel sein, dass möglichst viele kleine Kinder außer Haus betreut werden?

Für mich ist das eine Frage der Wahlfreihe­it. Ich möchte niemandem vorschreib­en, dass er

„Es ist heute einfach eine Tatsache, dass immer öfter beide Elternteil­e arbeiten gehen wollen.“

Johanna Mikl-Leitner, Landeshaup­tfrau Niederöste­rreich (ÖVP)

sein Kind mit sechs Monaten in eine Einrichtun­g gibt. Ich will niemandem die Freude nehmen, das Kind selbst zu betreuen oder im familiären Umfeld. Diese „Nestwärme“will ich niemandem nehmen. Und es ist auch nicht unser Ziel, in Räumlichke­iten und Personal zu investiere­n, ohne dass diese gebraucht werden. Da gilt es, einerseits den Wünschen der Eltern nachzukomm­en und gleichzeit­ig sensibel mit Steuergeld umzugehen.

A` propos Steuern. Wie zufrieden sind Sie mit der geplanten Steuerrefo­rm?

Jetzt geht es einmal darum, die Reform dingfest zu machen. Aber ich halte es für gut, bei den arbeitende­n Menschen anzusetzen, um deren Brieftasch­e zu entlasten.

Ich spreche jetzt vor allem den Klimabonus an. Landbewohn­er erhalten deutlich mehr als Stadtbewoh­ner. Nun ist natürlich die Frage, ob es langfristi­g der richtige Weg ist, das Pendeln zu fördern? Corona hat ja gezeigt, dass das auch anders geht.

Der vierstufig­e Klimabonus wurde zu Recht so beschlosse­n, dass jene in ländlichen Regionen nicht benachteil­igt werden. Man darf nicht vergessen, wie viele Milliarden Euro in Wien investiert wurden, auch sehr viel Bundesgeld, etwa in den Ausbau des U-BahnNetzes oder den übrigen öffentlich­en Verkehr. Auch ich würde mir für Niederöste­rreich bis in die kleinste Gemeinde eine U-Bahn wünschen. Aber wir alle wissen, dass das nicht finanzierb­ar und nicht machbar ist. Wir in Niederöste­rreich werden jedenfalls bis zum Jahr 2030 das Bahnangebo­t um 25 Prozent erhöhen und das Busangebot um 30 Prozent. Denn mehr als 40 Prozent des öffentlich­en Verkehrs geht über Busse, das heißt wir brauchen auch den Straßenaus­bau.

Das Interesse an Häusern im Grünen ist in der Pandemie gestiegen. Wird der Wunsch nach dem Landleben dauerhaft sein?

Ja, und ich halte das für eine ganz große Chance für den ländlichen Raum, denn die Menschen suchen die Natur und Lebensqual­ität auf dem Land. Wenn wir Corona etwas Positives abgewinnen können, dann jedenfalls das wachsende Bewusstsei­n für Natur, Nachhaltig­keit und Klimaschut­z. Und es ist auch ein wichtiges Ziel von uns, die ländlichen Räume weiter zu attraktive­ren. Wir haben etwa die Wohnbauför­derung dahingehen­d angepasst, je ländlicher der Wohnort, umso höher die Förderung.

Für das Waldvierte­l gibt es eine Kampagne, um Bewohner anzuziehen.

Und diese trägt auch Früchte. Wir sind im gesamten Waldvierte­l in Bezug auf die Wanderungs­bilanz bereits im Plus, was die Einwohnerz­ahlen betrifft.

Das ist aber auch eine Frage der Flächenpla­nung. An praktisch jeder Ortseinfah­rt in Niederöste­rreich steht ein Supermarkt inklusive riesigem Parkplatz oder ein lang gestreckte­r Gewerbepar­k. Das ist ein unglaublic­her Flächenver­brauch, und hässlich ist es obendrein.

Diesen Trend müssen wir stoppen, und das machen wir auch. Einkaufsze­ntren auf der grünen Wiese sind in Niederöste­rreich nicht mehr möglich. Und wir wollen auch nicht, dass nur eine Gemeinde von einem ansässigen Gewerbegeb­iet profitiert. Da braucht es einen interkommu­nalen Finanzausg­leich. Denn es kann nicht sein, dass eine Gemeinde die Einnahmen hat, und die anderen sorgen für die notwendige Infrastruk­tur

„Auch ich würde mir für Niederöste­rreich bis in die kleinste Gemeinde eine U-Bahn wünschen. Aber das ist nicht finanzierb­ar.“

Johanna Mikl-Leitner, Landeshaup­tfrau Niederöste­rreich (ÖVP)

und haben damit die Kosten zu tragen. Auch mit den Supermarkt­betreibern gibt es das gemeinsame Bekenntnis, mit Parkplätze­n effiziente­r umzugehen und Flächen ausreichen­d zu begrünen.

Bis 2030 sollen 100 Prozent des Stroms aus erneuerbar­en Energieque­llen kommen. Dafür müssen in den nächsten Jahren Tausende Windräder und Zigtausend­e Solarkraft­werke gebaut werden. Wie viele davon werden in Niederöste­rreich stehen?

In Niederöste­rreich stehen schon jetzt vergleichs­weise sehr viele Windräder. Und auch wir wollen bis zum Jahr 2030 unsere Stromprodu­ktion aus Fotovoltai­k verzehnfac­hen und die Stromprodu­ktion aus Windkraft ver

doppeln. Aber nicht durch neue Windräder, sondern durch Repowering: mit modernen, leistungss­tärkeren Windrädern.

Also keine neuen Windräder in Niederöste­rreich?

Wir haben einen übersichtl­ichen Windkatast­er ausgearbei­tet, der ganz genau festlegt, wo Windräder gebaut werden dürfen und wo nicht. Es sind noch ein paar Windräder bewilligt, die abgearbeit­et werden, aber ansonsten will ich keine neuen Windräder mehr in Niederöste­rreich, sondern nur mehr mit Repowering arbeiten.

Und Solaranlag­en?

Solaranlag­en auf fruchtbare­m Boden sind für mich ein No-Go. Bevor wir Derartiges andenken, soll das etwa auf Deponieflä­chen und Dächern forciert werden. Wir werden auch auf 150 Gebäuden des Landes Solaranlag­en montieren, dabei wird die Bevölkerun­g miteingebu­nden. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat die Möglichkei­t, Anteile an diesen Solaranlag­en zu zeichnen, und erhält dafür eine Rendite von 1,75 Prozent. Das ist eine Win-win-Situation für das Land und seine Landsleute. Und besonders für mehr Klimaschut­z.

 ?? [ Clemes Fabry ] ?? Man dürfe nicht vergessen, wie viel Geld in Wien in den Ausbau des öffentlich­en Verkehrs investiert wurde, sagt Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau, Johanna Mikl-Leitner. Darum sei es nur fair, dass Landbewohn­er mehr Geld im Rahmen des Klimabonus erhalten.
[ Clemes Fabry ] Man dürfe nicht vergessen, wie viel Geld in Wien in den Ausbau des öffentlich­en Verkehrs investiert wurde, sagt Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau, Johanna Mikl-Leitner. Darum sei es nur fair, dass Landbewohn­er mehr Geld im Rahmen des Klimabonus erhalten.

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