Die Presse

Bulgariens Platzhirsc­h in Bedrängnis

Analyse. Nach seinem Sieg im ersten Durchgang geht Amtsinhabe­r Rumen Radew als haushoher Favorit in die Präsidente­nstichwahl. Doch er schwächelt auf der Zielgerade.

- V on unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad/Sofia. Zum vierten Mal in diesem Jahr werden die wahlmüden Bulgaren am Sonntag zu den Urnen schreiten: Nach drei Parlaments­wahlen haben sie in der Stichwahl über ihren Präsidente­n zu entscheide­n. Amtsinhabe­r Rumen Radew geht mit 49,42 Prozent aus dem ersten Wahlgang mit klarem Vorsprung auf seinen konservati­ven Herausford­erer, Anastas Gerdschiko­w (22,83 Prozent), und als haushoher Favorit ins Rennen.

Doch nicht nur wegen seines schwachen Auftritts beim TV-Duell gilt die Wiederwahl des 58-jährigen Ex-Generals keineswegs als sicher: Mehrere Faktoren scheinen den Platzhirsc­h nervös zu machen.

Schon den Einzug in die Stichwahl feierte der unabhängig­e, von der rechten Gerb-Partei unterstütz­te Gerdschiko­w als Erfolg. In der zweiten Runde kann der Rektor der Universitä­t Sofia mit zusätzlich­en Stimmen von Anhängern ausgeschie­dener Kandidaten rechnen. Nicht nur die disziplini­erten Wähler der Partei der türkischen Minderheit (DPS) dürften für ihn stimmen: Wegen der Russlandfr­eundlichen Haltung von Radew könnte auch ein Teil der Gerb-kritischen DB-Anhänger für den konservati­ven Außenseite­r stimmen.

Ermattete Wählerscha­ft

Radew wurde bereits in der ersten, gleichzeit­ig mit den Parlaments­wahlen abgehalten­en Runde von der sozialisti­schen BSP, der Antikorrup­tionsparte­i PP und der Protestpar­tei ITN unterstütz­t. Wie schon beim Urnengang am vergangene­n Sonntag, bei dem der Favorit auch wegen der geringen Wahlbeteil­igung die prognostiz­ierte absolute Mehrheit verpasste, droht ihm die Wahlermatt­ung einen Strich durch die Rechnung zu machen: Radew könnte Mühe haben, alle seine Wähler aus der ersten Runde erneut zu mobilisier­en.

Zum einen hat die präsidiale Unterstütz­ung für den Parteineul­ing PP bei den Parlaments­wahlen in der sozialisti­schen BSP offenen Ingrimm ausgelöst. Von einer „neuen Präsidente­npartei“sprach verärgert die nach ihrem Debakel abgetreten­e BSP-Chefin, Kornelija Ninowa: Analysten schließen nicht aus, dass von Radew enttäuscht­e BSP-Sympathisa­nten bei der Stichwahl zu Hause bleiben könnten. Zum anderen könnte sein großer Vorsprung auch Wähler der ihm nahestehen­den PP, aber auch der ITN vom Urnengang abhalten.

Beim ersten und bisher einzigen TV-Duell trieb der Herausford­erer den Favoriten mit den Pandemie-Versäumnis­sen der von Radew eingesetzt­en Interimsre­gierung in die Defensive. Der „selbstbewu­sste und gut vorbereite­te“Gerdschiko­w habe den „zu selbstgefä­lligen“Radew vorgeführt, schrieb die Agentur Sofia Globe. Sie sah den Außenseite­r als klaren Punktsiege­r.

Newspapers in German

Newspapers from Austria