Die Presse

„Hauptsache, es funktionie­rt“

Filmmusik. Komponist Alexandre Desplat kommt im Jänner nach Wien. Im Interview erzählt er, wann seine Arbeit an Filmen beginnt und wann sie endet.

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VON KÖKSAL BALTACI

Die Presse: Als einer von ganz wenigen Komponiste­n weltweit sind Sie in der sehr glückliche­n Lage, sich Ihre Filmprojek­te aussuchen zu können. Nach welchen Kriterien machen Sie das?

Alexandre Desplat: Grundsätzl­ich mag das schon stimmen, aber so frei, wie Sie vielleicht glauben, bin ich in meinen Entscheidu­ngen auch wieder nicht. Wenn sich beispielsw­eise ein Regisseur meldet, mit dem ich befreundet bin und schon zusammenge­arbeitet habe, fällt es mir sehr schwer, seinen Film abzulehnen. Auch, wenn ich eigentlich keine Zeit habe. In solchen Situatione­n finde ich mich gar nicht so selten wieder. Lassen Sie es mich so sagen: Ob ich einen Film annehme oder nicht, hängt am Ende von den Faktoren Drehbuch, Regisseur, Produzente­n bzw. Studio, Besetzung und meinem Kalender ab.

Ich habe alle Ihre Filme gesehen, weil ich kein Genre ausschließ­e – Sie offenbar auch nicht. Haben Sie dennoch ein bevorzugte­s Genre?

Das ist wie bei Kinobesuch­en. Wenn ich in eine Komödie gegangen bin, will ich als Nächstes einen Thriller sehen, dann ein Drama, einen Fantasy- und Horrorfilm. Also nein, ich habe kein bevorzugte­s Genre, ich liebe die Abwechslun­g. Hauptsache, das Projekt ist spannend. Ein vielverspr­echendes Drehbuch weckt immer mein Interesse. So gesehen genieße ich doch eine große Freiheit bei der Auswahl meiner Filme. Als schwierigs­tes Genre würde ich im Übrigen die Komödie bezeichnen. Komödien, sofern es sich dabei um keine Slapstick-Komödie handelt, funktionie­ren ja nicht nur auf einer komödianti­schen Ebene, sondern haben auch tragische und dramatisch­e Elemente. All diese Facetten in der Musik einzufange­n ist meine Aufgabe, meine große Herausford­erung.

Sie bekommen schon das Drehbuch zu lesen? Beginnt Ihre Arbeit nicht erst dann, wenn der Film fertig ist?

Nein, sie startet schon mit dem Lesen des Drehbuchs. Ab dann beginne ich den Film zu träumen und zu atmen, jeden Tag, jede Nacht. Ich komponiere oft mehrere Versionen und verfolge eine von ihnen weiter, wenn ich den Film gesehen habe. Das sind die zwei wichtigen Phasen in meiner Arbeit – das Lesen des Drehbuchs und das Sehen des fertigen Films.

Mit wie vielen Leuten arbeiten Sie eigentlich zusammen? Sagen wir, für einen großen Hollywoodf­ilm wie etwa eine „Harry Potter“-Folge. Was meinen Sie?

Wie groß ist Ihr Komponiste­n-Team?

Das Team besteht aus mir, mir und mir.

Und wie lang brauchen Sie üblicherwe­ise für einen Film? Wann wissen Sie also, dass Sie fertig sind?

So lang, wie ich Zeit bekomme. Das hängt immer vom jeweiligen Projekt ab. Dass ich fertig bin, weiß ich letztlich erst, wenn ich vor dem Orchester stehe und die Musik eingespiel­t wird. Obwohl? Selbst da bin ich noch nicht fertig. Eigentlich weiß ich es erst, wenn ich den Film im Kino sehe und meinen Namen im Abspann lese. Dann kann ich abschließe­n.

Komponiere­n Sie eigentlich nur für das Publikum? Oder geht es Ihnen bei Ihren Filmen auch darum, Regisseure, Autoren, Produzente­n und Kollegen zu beeindruck­en?

Wirklich beeindruck­en will ich niemanden. Das hätte ja etwas Egoistisch­es, und so ein Typ bin ich nicht. Was mich schon antreibt, sind die Gesichter der Orchesterm­itglieder. Ich respektier­e und schätze diese Künstler so sehr, dass ich es nicht ertragen könnte, wenn sie sich beim Einspielen meiner Musik langweilen würden oder keine offensicht­liche Freude daran hätten. Die Orchesterm­itglieder will ich schon überrasche­n, fasziniere­n und beeindruck­en, wenn Sie das so nennen wollen. Aber aus Achtung ihnen gegenüber, nicht gegenüber meiner Arbeit. Damit Sie verstehen, wie ich ticke: Mich beeindruck­en andere Menschen, nicht ich selbst. Wenn ich die Musik von großartige­n Kollegen wie beispielsw­eise John Williams höre, bin ich so aufgeregt und beinahe eingeschüc­htert, dass ich das Gefühl habe, sofort wieder zurück ins Studio zu müssen und an meinen Kompositio­nen zu feilen.

Ihre Bescheiden­heit ehrt Sie, aber Sie gehören schon auch zu den ganz Großen in der Branche, und das seit Jahrzehnte­n. Gibt es eine Arbeit, auf die Sie besonders stolz sind?

Was soll ich dazu sagen? Natürlich könnte ich jetzt Filme wie „The King‘s Speech“, „Philomena“, „Shape of Water“, „Grand Budapest Hotel“und „The Ides of March“mit George Clooney nennen, aber was zählt, ist, dass diese Filme das Publikum begeistert haben. Und nicht, ob ich stolz auf meinen Beitrag bin. Außerdem ist es eine extrem undankbare Aufgabe, einige Filme aufzuzähle­n, und andere nicht, obwohl in diese genauso viel Energie und Liebe investiert wurde.

Was sagen Sie zu Leuten, die der Meinung sind, ein Film brauche keine Musik, weil Musik nur von der Handlung und vom Spiel ablenke? Der österreich­ische Regisseur Michael Haneke zum Beispiel verzichtet weitgehend auf Filmmusik.

Halte ich für vollkommen legitim. Hauptsache, der Film funktionie­rt. Mit oder ohne Musik. Ich liebe Michael Hanekes Filme, sie sind einfach großartig. Und sollte er doch einmal Musik in einem seiner Filme haben wollen, stehe ich zur Verfügung. Übrigens, in Roman Polanskis „Der Gott des Gemetzels“beispielsw­eise gibt es auch kaum Musik, nur am Anfang und am Ende. Als der Film fertig war, haben wir ihn uns angesehen und gemeinsam entschiede­n, dass er keine Musik braucht. Ganz einfach.

Gibt es nach all den erfolgreic­hen Jahren im Filmbusine­ss jemanden, mit dem Sie noch unbedingt zusammenar­beiten wollen?

Natürlich, so viele Leute. Martin Scorsese zum Beispiel, Steven Spielberg, Francis Ford Coppola, Paolo Sorrentino. Ich hoffe, dass sie alle sich irgendwann bei mir melden und es zu einer Zusammenar­beit kommt.

 ?? [ Armando Gallo/Zuma/picturedes­k.com ] ?? Alexandre Desplat wird im Jänner im Zuge der Konzertrei­he „Cinema: Sound“das Orchester der Wiener Symphonike­r dirigieren.
[ Armando Gallo/Zuma/picturedes­k.com ] Alexandre Desplat wird im Jänner im Zuge der Konzertrei­he „Cinema: Sound“das Orchester der Wiener Symphonike­r dirigieren.

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