Die Presse

Tiefgründi­ges aus der Tundra

Mikaela Shiffrin beherrscht die hohe Kunst der Pressekonf­erenz.

- VON JOSEF EBNER E-Mails an: josef.ebner@diepresse.com

Es gibt die Knochenbrü­che und die Bänderriss­e, und es gibt Verletzung­en, die noch viel tiefer gehen.

Viele Profisport­ler tun sich schwer mit der Öffentlich­keit. Tennisstar Naomi O¯ saka hat eine Debatte darüber entfacht und hinterließ Betroffenh­eit. Doch mit ihrer Offenheit lernte sie auch: Nimmt man Fans und Experten mit auf die Reise, können sie Siege und Niederlage­n besser einschätze­n.

Die Meisterin in dieser Disziplin ist Mikaela Shiffrin. Der US-Skistar, 26, lässt die Medien und den Rest der Welt ganz bewusst an ihrem Leben teilhaben. Sei es ihre neue Beziehung oder ihre Trauerbewä­ltigung nach dem Unfalltod des Vaters. Shiffrin beherrscht auch die Kunst, ihr Gegenüber und seine Frage stets zu respektier­en, in ihren Antworten breitet sie ihre tiefsten Überzeugun­gen aus. All das meist in einem Setting, das alles andere als dazu einlädt.

Wie jene Zoom-Pressekonf­erenz dieser Tage, als Shiffrin in der finnischen Tundra zu gut 20 weiteren verpixelte­n und über den Globus verstreute­n Teilnehmer­n in ihren Laptop spricht.

Heute startet sie in Levi (10.30/13.30 Uhr, ORF1) in die Slalom-Saison, das war der Anlass für den Presseterm­in, der sich aber schnell zu einem Gespräch über das Seelenlebe­n einer jungen Frau im Hochleistu­ngssport entwickelt, über die Frage, ob der Preis für den Erfolg am Ende nicht doch zu groß sei und wie einschücht­ernd dieses Rennen in Finnland wegen der hohen Erwartunge­n und trotz ihrer bereits vier Siege hier (Bestmarke) noch immer für sie ist. „Da sind immer Zweifel in mir, wie lang ich das noch machen kann. An den guten Tagen lohnt sich alles so sehr, aber an den harten Tagen ist es beinah ebenso frustriere­nd“, sagt sie.

Als der US-Kollege dann eine Frage zur ewigen Verletzung­sdebatte im Skirennspo­rt stellt, wird dieser Zoom-Call aus der Tundra endgültig zu einem denkwürdig­en. Nachdem Shiffrin philosophi­ert, wofür der menschlich­e Körper nun eigentlich geschaffen ist und wofür nicht, kommt sie auf ihren verstorben­en Vater zu sprechen. „Es gibt auch die emotionale Seite. Es ist keine physische Verletzung eines Knochens, Muskels oder Bandes, aber die Verletzung eines gebrochene­n Herzens zu überwinden, das hat wirklich lang gedauert. Es gibt keinen Leitfaden, was es noch einmal beängstige­nder macht. Das ist wahrschein­lich die schwerste Verletzung, die ich in meiner Karriere haben werde, egal was passiert. Aber sie ist nicht so offensicht­lich, ich habe auch nicht zurückgehe­n können und mich fragen, was ich anders hätte machen können. Obwohl ich genau das tue. Das ist auch ein Teil dieser Folter, denke ich.“

Und dann hatte nicht wie beim Zurschaust­ellen von Ōsakas Unglück am Ende der Athlet die glasigen Augen, sondern die versammelt­e Medienscha­r.

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