Tiefgründiges aus der Tundra
Mikaela Shiffrin beherrscht die hohe Kunst der Pressekonferenz.
Es gibt die Knochenbrüche und die Bänderrisse, und es gibt Verletzungen, die noch viel tiefer gehen.
Viele Profisportler tun sich schwer mit der Öffentlichkeit. Tennisstar Naomi O¯ saka hat eine Debatte darüber entfacht und hinterließ Betroffenheit. Doch mit ihrer Offenheit lernte sie auch: Nimmt man Fans und Experten mit auf die Reise, können sie Siege und Niederlagen besser einschätzen.
Die Meisterin in dieser Disziplin ist Mikaela Shiffrin. Der US-Skistar, 26, lässt die Medien und den Rest der Welt ganz bewusst an ihrem Leben teilhaben. Sei es ihre neue Beziehung oder ihre Trauerbewältigung nach dem Unfalltod des Vaters. Shiffrin beherrscht auch die Kunst, ihr Gegenüber und seine Frage stets zu respektieren, in ihren Antworten breitet sie ihre tiefsten Überzeugungen aus. All das meist in einem Setting, das alles andere als dazu einlädt.
Wie jene Zoom-Pressekonferenz dieser Tage, als Shiffrin in der finnischen Tundra zu gut 20 weiteren verpixelten und über den Globus verstreuten Teilnehmern in ihren Laptop spricht.
Heute startet sie in Levi (10.30/13.30 Uhr, ORF1) in die Slalom-Saison, das war der Anlass für den Pressetermin, der sich aber schnell zu einem Gespräch über das Seelenleben einer jungen Frau im Hochleistungssport entwickelt, über die Frage, ob der Preis für den Erfolg am Ende nicht doch zu groß sei und wie einschüchternd dieses Rennen in Finnland wegen der hohen Erwartungen und trotz ihrer bereits vier Siege hier (Bestmarke) noch immer für sie ist. „Da sind immer Zweifel in mir, wie lang ich das noch machen kann. An den guten Tagen lohnt sich alles so sehr, aber an den harten Tagen ist es beinah ebenso frustrierend“, sagt sie.
Als der US-Kollege dann eine Frage zur ewigen Verletzungsdebatte im Skirennsport stellt, wird dieser Zoom-Call aus der Tundra endgültig zu einem denkwürdigen. Nachdem Shiffrin philosophiert, wofür der menschliche Körper nun eigentlich geschaffen ist und wofür nicht, kommt sie auf ihren verstorbenen Vater zu sprechen. „Es gibt auch die emotionale Seite. Es ist keine physische Verletzung eines Knochens, Muskels oder Bandes, aber die Verletzung eines gebrochenen Herzens zu überwinden, das hat wirklich lang gedauert. Es gibt keinen Leitfaden, was es noch einmal beängstigender macht. Das ist wahrscheinlich die schwerste Verletzung, die ich in meiner Karriere haben werde, egal was passiert. Aber sie ist nicht so offensichtlich, ich habe auch nicht zurückgehen können und mich fragen, was ich anders hätte machen können. Obwohl ich genau das tue. Das ist auch ein Teil dieser Folter, denke ich.“
Und dann hatte nicht wie beim Zurschaustellen von Ōsakas Unglück am Ende der Athlet die glasigen Augen, sondern die versammelte Medienschar.