„Sebastian im Traum“– und der Rest von uns im Alptraum
In diesem Herbst der Einsamen, so kurz vor Beginn der Wintersaison in Salzburg und Umgebung, brauchen wir den Trost der Bücher.
O wie leise verfiel der Garten in der braunen Stille . . .
In unserem Salon der Bunten Künste im Gegengift gibt es eine Splittergruppe, die sich beharrlich gegen den harten Mainstream in Erdberg wehrt. Dominiert wird der Klub zwar von Kunsthistorikern, die fallweise der Astigmatismus plagt, von Film- und Theaterkritikern, die häufig über Schlafsucht jammern, sobald es dunkel wird, und Musik-Spezialisten, die gelegentlich sogar über Ohrensausen klagen. Aber die kleine Sekte der Querdenker weit hinten in unserem größten Großraumbüro reagiert auf dieses Raunzen seit Jahren verlässlich mit ihrem Leitspruch: „Vertrauen ist gut, blindes Vertrauen ist besser!“
Als die für immer junge Cineastin einst schockiert von „The Road“, frei nach Cormac McCarthys Roman, zurückkam, das Geschehen leise zusammenfasste und dann in ihren Laptop weinte, tönten sie fröhlich: „Es kommt eine coole Zeit auf uns zu.“Als unlängst der Sachbücher-Narr kühn behauptete, Matthias Glaubrechts von brutaler Naturwissenschaft strotzenden Wälzer „Das Ende der Evolution“endlich fertig gelesen zu haben, prophezeiten die Vertrauensseligen: „Es kommt eine coole Zeit auf uns zu!“
Ich versage es mir nun, ihnen anzudeuten, zu verzagt zu sein, um „Das Leben ein Traum“im Burgtheater erneut anzusehen. Seit Tagen quält mich ein anderer Alptraum: Beim Bauernbund-Ball mit K. tanzen zu müssen. Wahrscheinlich hätten all die queren Denker dazu nur gesagt: „Es kommt eine coole Zeit auf uns zu!“
Wie sie denn zu dieser Kühle kämen, haben wir sie also am Freitag nach eins gefragt. „Weil wir die richtigen Fakten lesen“, haben sie gesagt. Stolz überreichten sie uns Bücher-Listen, die achtsam abzuarbeiten seien. Da lagen nun gefährlich hohe Stapel auf dem Schreibtisch der unbehandelten Probleme! Dem Auftrag konnte bisher nur kursorisch nachgegangen werden. Jeder las nach seiner Façon.
Alte Kämpfer der neuen Zeit interessierten die Roman-Anfänge. Den schönsten, der weder kurz vor Sonnenaufgang noch knapp vor Sonnenuntergang einsetzt, wollen wir kritischen Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten: „The sun shone, having no alternative, on the nothing new.“Geht doch! War doch schon immer so, die gute alte Zeit! Kein Grund, an das Morgen zu denken oder eventuell bis zum Ende jenes Buches zu blättern.
Stattdessen schlugen die Vertreter des Kompromisses einige der Bücher wahllos in der Mitte auf. Auch hier gab es trostreiche Funde, etwa den: „So ging der Kanzler unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: ,Wie sind die neuen Kleider unvergleichlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie schön sie sitzt!‘ Keiner wollte es sich merken lassen, dass er nichts sah . . .“
Inzwischen kümmerten sich die Finale-Fanatiker um tolle poetische Schlüsse. Hier ein echt fetter: „Tasten über die grünen Stufen des Sommers. O wie leise / Verfiel der Garten in der braunen Stille des Herbstes, / Duft und Schwermut des alten Holunders, / Da in Sebastians Schatten die Silberstimme des Engels erstarb.“