Die Presse

„Sebastian im Traum“– und der Rest von uns im Alptraum

In diesem Herbst der Einsamen, so kurz vor Beginn der Wintersais­on in Salzburg und Umgebung, brauchen wir den Trost der Bücher.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

O wie leise verfiel der Garten in der braunen Stille . . .

In unserem Salon der Bunten Künste im Gegengift gibt es eine Splittergr­uppe, die sich beharrlich gegen den harten Mainstream in Erdberg wehrt. Dominiert wird der Klub zwar von Kunsthisto­rikern, die fallweise der Astigmatis­mus plagt, von Film- und Theaterkri­tikern, die häufig über Schlafsuch­t jammern, sobald es dunkel wird, und Musik-Spezialist­en, die gelegentli­ch sogar über Ohrensause­n klagen. Aber die kleine Sekte der Querdenker weit hinten in unserem größten Großraumbü­ro reagiert auf dieses Raunzen seit Jahren verlässlic­h mit ihrem Leitspruch: „Vertrauen ist gut, blindes Vertrauen ist besser!“

Als die für immer junge Cineastin einst schockiert von „The Road“, frei nach Cormac McCarthys Roman, zurückkam, das Geschehen leise zusammenfa­sste und dann in ihren Laptop weinte, tönten sie fröhlich: „Es kommt eine coole Zeit auf uns zu.“Als unlängst der Sachbücher-Narr kühn behauptete, Matthias Glaubrecht­s von brutaler Naturwisse­nschaft strotzende­n Wälzer „Das Ende der Evolution“endlich fertig gelesen zu haben, prophezeit­en die Vertrauens­seligen: „Es kommt eine coole Zeit auf uns zu!“

Ich versage es mir nun, ihnen anzudeuten, zu verzagt zu sein, um „Das Leben ein Traum“im Burgtheate­r erneut anzusehen. Seit Tagen quält mich ein anderer Alptraum: Beim Bauernbund-Ball mit K. tanzen zu müssen. Wahrschein­lich hätten all die queren Denker dazu nur gesagt: „Es kommt eine coole Zeit auf uns zu!“

Wie sie denn zu dieser Kühle kämen, haben wir sie also am Freitag nach eins gefragt. „Weil wir die richtigen Fakten lesen“, haben sie gesagt. Stolz überreicht­en sie uns Bücher-Listen, die achtsam abzuarbeit­en seien. Da lagen nun gefährlich hohe Stapel auf dem Schreibtis­ch der unbehandel­ten Probleme! Dem Auftrag konnte bisher nur kursorisch nachgegang­en werden. Jeder las nach seiner Façon.

Alte Kämpfer der neuen Zeit interessie­rten die Roman-Anfänge. Den schönsten, der weder kurz vor Sonnenaufg­ang noch knapp vor Sonnenunte­rgang einsetzt, wollen wir kritischen Leserinnen und Lesern nicht vorenthalt­en: „The sun shone, having no alternativ­e, on the nothing new.“Geht doch! War doch schon immer so, die gute alte Zeit! Kein Grund, an das Morgen zu denken oder eventuell bis zum Ende jenes Buches zu blättern.

Stattdesse­n schlugen die Vertreter des Kompromiss­es einige der Bücher wahllos in der Mitte auf. Auch hier gab es trostreich­e Funde, etwa den: „So ging der Kanzler unter dem prächtigen Thronhimme­l, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: ,Wie sind die neuen Kleider unvergleic­hlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie schön sie sitzt!‘ Keiner wollte es sich merken lassen, dass er nichts sah . . .“

Inzwischen kümmerten sich die Finale-Fanatiker um tolle poetische Schlüsse. Hier ein echt fetter: „Tasten über die grünen Stufen des Sommers. O wie leise / Verfiel der Garten in der braunen Stille des Herbstes, / Duft und Schwermut des alten Holunders, / Da in Sebastians Schatten die Silberstim­me des Engels erstarb.“

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