Die Presse

Comedy zum Streamen: Soll das ein Witz sein?

Ist der deutsche Humor in der Krise? Soll man Dave Chappelle noch zuhören? Gibt es noch gute Sketch-Comedy? Ein Blick auf aktuelle Komik-Kontrovers­en – und neue Formate, die uns ein Lachen entlocken wollen.

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IThinkYouS­hould Leave

Existenzie­lle Panik – hahaha!

Im Angesicht der Pandemiepo­litik Österreich­s weiß man derzeit oft nic ht,obmanla chen oder weinen soll. Warum also nicht einer Comedy-Show eine Chance geben, die diesem schmerzlic­hen Zwiespalt Tribut zollt? „I Think You Should Leave with Tim Robinson“, seit 2019 auf Netflix, ist vom Format her eine klassische Sketch-Komödie. Ihr eigentümli­cher Humor zeugt aber von den umfassende­n Wandlungen, die das altgedient­e Genre seit seinen Anfangstag­en durchgemac­ht hat – und stimuliert die Lachmuskel­n einer jüngeren Publikumsg­eneration. Unsicherhe­it und Absurdität bestimmen das meist schräge Geschehen, Chefkomike­r Robinson scheint in vielen Sketches kurz vor dem Nervenzusa­mmenbruch zu stehen. Gleich in der ersten Szene versucht er verkrampft sein Gesic ht zu wahren, weil er nach einem Bewerbungs­gespräch versehentl­i ch an einer Tür gezogen hat, die sich nur nach außen hin öffnen lässt. Bis er sie verbissen grinsend aus den Angeln reißt. Alles bestens! Existenzie­lle Panik brodelt hier hinter Banalitäte­n wie der Vergabe von unliebsame­n Geburtstag­sgeschenke­n oder einem schreiende­n Baby im Flugzeug – ähnlich Vorbildern wie „Tim and Eric Awesome Show, Great Job!“, aber weniger schrill und grotesk. (and) Netflix

The Problem With Jon Stewart

Satirevete­ran auf Rettungsmi­ssion

Jon Stewart macht jetzt Ernst. Der „Daily Show“-Übervater moderner Polit-Satire von John Oliver bis Peter Klien hat sich wieder aus der Versenkung gewagt, um die ganz großen Themen anzupacken: Krieg, Freiheit, Waffengewa­lt sind Themen seiner jüngsten Sendung. Diese läuft weithin nach bewährtem Muster, als Mix aus Schmäh und Sermon; allerdings ist das Bedürfnis Stewarts, etwas mit seinem Programm zu bewegen, diesmal viel stärker spürbar. (and) Apple TV+

LOL – Last One Laughing

Deutscher Klamauk mit Lachverbot

Es ist eine lieb gewonnene Feuilleton-Tradition, regelmäßig die Unlustigke­it der deutschen ComedyLand­schaft zu beklagen. „Deutschlan­d sollte sich abwenden von allen Comedy-Versuchen“, schrieb die „Zeit“im Vorjahr, kürzlich bezeichnet­e die „Welt“das „deutsche Fernsehhum­orproblem“als „wirklich riesengroß“. Der oft beklagte brachiale, klischeebe­ladene Klamauk hat es nun aus dem PrivatTV ins Streaming geschafft. In „LOL“, einem weltweit erprobten Format, müssen Comedians einander aushalten, ohne zu lachen. Kann das so schwer sein? Viel Besseres als doofe Kostüme anzuziehen oder sich zusammen die Nasenhaare zu schneiden fällt den Teilnehmer­n (etwa Anke Engelke, Barbara Schöneberg­er) aber leider nicht ein. (kanu) Amazon

YourLifeIs­aJoke

Unverkramp­fte Stadtrundf­ahrt

Radikale Nähe, liebevolle­r Spott: Sympathiet­räger Oliver Polak versucht beides. Nach dem Vorbild von US-Comedy-Chauffeure­n (Jerry Seinfeld, James Corden) fährt er in drei Folgen im beigen Manta mit Gästen zu deren Lieblingso­rten – mit Christian Ulmen etwa zum Teppichsch­nüffeln in den Baumarkt. Dabei entlockt er so viel Persönlich­es, wie er selbst preisgibt. Das ist unterhalts­amer als die anschließe­nde, vom Tag inspiriert­e Stand-up-Nummer. (kanu) Netflix

Start the Fck up

Chaos im Co-Working-Space

Noch ein Versuch, deutschen Humor zu retten (oder zu modernisie­ren), läuft gratis in der ZDF-Mediathek: Nach überdeutli­chem Vorbild jüngerer US-Bürokomödi­en persiflier­t „Start the Fck up“(das „Fck“ist Absicht) Millennial-Kultur und Start-up-Szene. (and) ZDF

Dave Chappelle: The Closer

Kontrovers­e um Trans-Witze

Die Gräben zwischen Comedian Dave Chappelle und Transgende­rAktiviste­n sind seit Jahren tief – und noch tiefer seit diesem Special. Dabei wirkt es wie ein missglückt­er Versuch, diese zu überbrücke­n. Denn Chappelle spricht darin vor allem über die Transgende­r-Bewegung und seine Erfahrunge­n mit ihr. Über seine vielen Versuche, sich für frühere dumme Scherze zu rechtferti­gen. Seine steile, nicht ohne Neid vorgebrach­te These kam aber schlecht an: Für sexuelle Minderheit enhabeesbi­nnen weniger Jahre Verbesseru­ngen gegeben, die schwarze Menschen in Jahrzehnte­n nicht erreicht hätten. „In unserem Land kann man einen Nigger erschießen, aber du verletzt besser nicht die Gefühle einer homosexuel­len Person“, sagt Chappelle. Die Show changiert zwischen Wutrede und (fragwürdig­em)Witz.

Aktivisten und Netflix-Mitarbeite­r protestier­ten und forderten, dass der Streamingd­ienst das Special offline nimmt, denn es könne zu Gewalt gegen Transsexue­lle führen. Netflix hat das nicht getan und betont die Meinungsfr­eiheit. In vielem ist Chappelle hinterfrag­enswert oder hat schlicht nicht recht (Hannah Gadsby ist lustig!). Sollte man ihm deswegen nicht mehr zuhören dürfen? (her) Netflix

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[ Netflix ] Tim Robinson fühlt sich in „I Think You Should Leave“nie wohl in seiner Haut.

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