Das große Glück des Sebastian K. auf dem Höhepunkt der Krise
Von den besten zu den schlechtesten Ländern in der Pandemie. Ein Ex-Kanzler, der das zu verantworten hat, sollte von der Regierungsbank in den Hörsaal wechseln.
Vorweg eine Klarstellung: In letzter Zeit werde ich immer öfter gefragt, wie man sich jahrzehntelang mit österreichischer Innenpolitik beschäftigen und nicht zur totalen Zynikerin mutieren kann? Indem man ein Motiv nie aus den Augen verliert: Die Menschen sollen von der Politik nicht hinters Licht geführt werden.
Gewiss, es gab immer wieder Phasen, in denen die Versuchung, vollends in den Zynismus abzugleiten, zu groß war. Jetzt sind wir wieder in einer solchen angekommen. Daher: Was hat Sebastian Kurz doch für ein Glück, dass er in dieser Phase nicht Regierungschef ist.
Andere treiben in den sozialen Medien den Zynismus noch weiter auf die Spitze, indem sie vermuten, dem Klubobmann der ÖVP sei das Chaos in der Coronapolitik nur recht. So könnte er sich eventuell als Retter positionieren. Das wiederum wollen wir uns gar nicht vorstellen, denn es würde bedeuteten, die horrenden Zahlen an Infektionen, die Kranken und die Toten aus politischem Kalkül in Kauf zu nehmen. Das ist Kurz gegenüber ungerecht.
Glück hat er dennoch. Er hat die katastrophale Entwicklung in Österreich zum Land mit den höchsten Zahlen zwar zu verantworten, aber er muss sich jetzt dafür nicht in täglichen Pressekonferenzen rechtfertigen. Er muss sich nicht fragen lassen, wo denn die „Auferstehung“von Ostern 2020 geblieben ist. Ob er noch immer froh ist, nicht auf die Experten gehört zu haben? Warum er höchst persönlich die Pandemie so oft für beendet erklärt und das Licht am Ende des Tunnels so oft eingeschaltet hat, bis die Menschen nicht mehr an die Gefährlichkeit des Virus geglaubt haben.
Warum er so lang mit der Gefälligkeit der Maßnahmen gegen die Pandemie argumentiert hat, bis es selbst Ersatz-Kanzler Alexander Schallenberg geglaubt hat und vor allem die Leiterin des Covid-Krisenstabs in Oberösterreich, Carmen Breitwieser, in einem „ZiB 2“-Interview Hunderttausenden Zusehern einzuhämmern versuchte: „Maßnahmen gehen nur, wenn man sie ernst nimmt. Wenn die Bevölkerung nicht versteht, dass es um alles oder nichts geht, dann wird es schwierig.“Man könne also nur politisch verordnen, was die Bevölkerung akzeptiert. Kurz hat dieser Einstellung das Wort geredet. Das brachte Oberösterreich in die jetzige Situation. Seit Freitag versteht die Bevölkerung, worum es wirklich geht.
Kurz hat Glück. Er muss auch nicht den stärksten Einbruch der Wirtschaft in der EU erklären, wenn doch Österreich immer zu den Besten gehört habe; sich nicht für eine der niedrigsten Impfraten und unterlassene Impfkampagnen rechtfertigen. Er, der plötzlich keine Interviews und keine Pressekonferenz mehr gibt, muss sich auch nicht Fragen nach der Verzögerung längst fälliger Einschränkungen zugunsten von 1,2 Prozent mehr Stimmen bei der Landtagswahl in Oberösterreich gefallen lassen. Corona war kein Thema, weil es für Kurz’ Partei keines sein durfte – als Störenfried vermeintlicher Wahlchancen. Nur keine Wähler an die FPÖ verlieren! Der Erfolg bestand dann im Einzug der Anti-Corona-Partei in den Landtag. Eine politische Meisterleistung in Krisensituationen!
Er konnte stattdessen an einer Sitzung des niederösterreichischen Bauernbundes mit Lob und Hudl teilnehmen und dort erklären, was ihn „stört“. Verewigt auf YouTube.
Was die Menschen stört, ist offenbar weniger wichtig: Dass das Land „on his watch“, also unter seiner Aufsicht, in eine sozial, wirtschaftlich und gesundheitspolitisch absolut katastrophale Situation geschlittert ist. Dagegen sind die Chats mit den Kraftausdrücken etc. eine vernachlässigbare Angelegenheit.
Wer an einer Führungsaufgabe so gescheitert ist wie Kurz seit dem Sommer 2020 und zusätzlich in den Wochen seit seinem Amtswechsel keine Einsicht hat erkennen lassen, sollte mit etwas Glück nur noch sein Studium beenden. Und das ist nicht einmal zynisch gemeint.
Corona war in Oberösterreich kein Thema, weil es für Kurz’ Partei keines sein durfte. Nur keine Wähler an die FPÖ verlieren!