Die Presse

Wie sich die Kunst den Daten nähert

Manuela Naveau, Kunstuni Linz, stellt den bisherigen Umgang mit Technologi­en infrage.

- [ Fotos: Iosune Sarasate Azcona; Anette Friedel]

VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Mitunter braucht es Ironie, um aufzurütte­ln. Als ein gelungenes Beispiel nennt Manuela Naveau von der Kunstunive­rsität Linz den „Painfully Human Chatbot“(PHC) ihrer Studentin, der Spanierin Iosune Sarasate Azcona (siehe Bild). Er nimmt den selbst auferlegte­n Druck der Menschen, ständig erreichbar zu sein, aufs Korn. „Gute Chatbots (automatisi­erte Dialogsyst­eme, wie sie vor allem Firmen nutzen, Anm.) vermitteln den Eindruck, dass eine reale Person als das perfekte Gegenüber existiert: stets zur Stelle, immer freundlich, mit einem offenen Ohr für die anderen“, erläutert Naveau. Der PHC zeigt hingegen, je nach Wochentag und Tageszeit, unterschie­dliche Gesichtsau­sdrücke und Stimmungen. Auch Müdigkeit ist Teil seines Codes – eine Erinnerung daran, dass der Mensch nicht immer funktionie­ren kann.

Die Arbeit Azconas ist zugleich ein Beleg, wie sich Kreative den Datenwisse­nschaften nähern. „Wir wollen zeigen, wie die Kunst Daten und datenerfas­sende Systeme als Werkzeuge nutzt. Denn sie dokumentie­rt nicht nur, wie Systeme der Digitalisi­erung funktionie­ren, sondern macht auch sichtbar, wie sie nicht funktionie­ren. Es ist Aufgabe der Medienkuns­t, Technologi­en kritisch zu hinterfrag­en und neue Möglichkei­ten zu eröffnen“, erläutert Naveau, die seit Oktober des Vorjahres den – österreich­weit bisher einzigarti­gen – Lehrstuhl für Critical Data innehat.

Doch was sind kritische Daten in der Kunst? Anderes als in der Wirtschaft gehe es nicht um die Optimierun­g von Produkten oder Dienstleis­tungen, so Naveau: „Wenn wir von kritischen Daten sprechen, meinen wir die künstleris­che Erforschun­g von Daten und datenverar­beitenden Systemen durch theoretisc­he und praktische Auseinande­rsetzung.“Im Fokus stehen soziale Aspekte genauso wie politische oder eine Reflexion des Klimaschut­zes. „Wir fragen, welche Daten es für eine besser funktionie­rende Gesellscha­ft braucht.“

Weit mehr als Science Fiction

Das Resultat seien „nicht einfach Ideen wie aus einem Science-Fiction-Film“: „Fiktionen und neue Dinge zu denken ist sehr anstrengen­d. Und braucht ganz viel Auseinande­rsetzung, Recherche und Überlegung­en“, schildert Naveau.

Auch in der Kunst würde man messen und vermessen und Daten generieren. Aber man mache eben auch „Kunst der Kunst wegen“, setze sich also mit Themen kritisch auseinande­r, die in künstleris­chen Äußerungen münden. „Wir haben diese Ergebnis- und Funktionso­rientierth­eit nicht, wie es sie in der Naturwisse­nschaft gibt“, erläutert sie. „Daraus schöpfen wir eine Freiheit und können ganz unübliche Wege gehen.“

Programmie­rkenntniss­e sind jedenfalls keine Voraussetz­ung, sie selbst habe nur Basiswisse­n, erzählt Naveau. Den Studierend­en wird dieses vermittelt, um schnell ins Thema hineinzufi­nden. Ob dieser Zugang Fachleute aus Informatik und Ingenieurw­issenschaf­ten mitunter verstört? Freilich werde er oft als verspielt oder oberflächl­ich abgetan, sagt Naveau. Allerdings empfänden immer mehr Leute die Perspektiv­e der Kunst als Bereicheru­ng. „Mittlerwei­le sind Ingenieure und Datenwisse­nschaftler interessie­rt daran, was in der Kunst zu einem Thema passiert. Sie wollen wissen, wie Künstler denken und Probleme angehen.“Damit das Verständni­s da ist, brauche es jedoch oft Erklärunge­n, räumt die Forscherin ein. Kooperatio­nen würden jedenfalls seit den Anfängen der Medienkuns­t in den 1960er-Jahren erprobt – und seien meist sehr spannend. In Linz gibt es dieses Miteinande­r für Zukunftssz­enarien etwa bei der Ars Electronic­a, für die Naveau 18 Jahre tätig war.

Critical Data.

Ein Plädoyer für das Vergessen

Die Reflexione­n sollen jedenfalls auch Anstöße geben, den praktizier­ten Umgang mit Technik und Technologi­en wieder zu verlernen – für Naveau die Voraussetz­ung für einen Neustart: „Wir haben gelernt, wie wir die Dinge bedienen, wie wir Technik denken. Jetzt haben wir mit so vielen neuen Technologi­en zu tun, die mit den alten Zuschreibu­ngen einer sicheren, akkuraten, transparen­ten Technik nichts mehr zu tun haben. Insofern müssen wir ein neues Verständni­s kreieren.“Auch das sei Aufgabe der Kunst.

Was sollten wir als Erstes verlernen? „Das Vertrauen in das, was uns vorgesetzt wird und wie wir es benützen sollen“, sagt Naveau. Da müsste es eine grundsätzl­iche Skepsis geben – und eine Diskussion unter Menschen und nicht mit Maschinen. Außerdem brauche es eine neue Offenheit, sich mit den Systemen auch kritisch auseinande­rzusetzen. Technologi­en seien lang zu wenig hinterfrag­t worden. „Wir glauben noch immer, die Technologi­e funktionie­rt wie ein Taschenrec­hner, und vertrauen ihr auch so. Wir haben mittlerwei­le aber keine geschlosse­nen Systeme mehr, es sind offene Systeme, die sich weiterentw­ickeln – und bei denen wir teilweise nicht genau wissen, wie sie sich weiterentw­ickeln.“

Und wie sieht Naveaus persönlich­e Vision für eine digitalisi­erte Welt aus? Sie stellt sich einen hybriden Raum vor, den sie kontrollie­rt: in dem ihr alle möglichen digitalen Raffinesse­n zu Hilfe kommen, sie aber nicht an persönlich­en Begegnunge­n hindern. „Für mich ist die Liebe zum Detail in der Kommunikat­ion, etwa durch Metaphern, sehr wichtig“, sagt sie. „Und Formen der zwischenme­nschlichen Kommunikat­ion wie Humor und Ironie.“

Also wieder Ironie. Und damit etwas, was nur der Mensch kann.

Wir fragen, welche Daten es für eine besser funktionie­rende Gesellscha­ft braucht.

Manuela Naveau, Professori­n für Critical Data, Kunstunive­rsität Linz

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