Wärmere Ozeane erwecken heftigere Wirbelstürme
Interview. Die Mathematikerin Caroline Muller erklärt das Entstehen von Wetterextremen und warnt vor künstlichen Eingriffen ins Klima. Außerdem verrät sie, was ihr allen Negativmeldungen zum Trotz in der Krise Hoffnung macht.
Die Presse:
Der Wasserkreislauf und die Wolken sind Ihr Spezialgebiet. Was halten Sie von künstlichen Eingriffen ins Klima, etwa von der Produktion von Wolken, um die Erde zu kühlen?
Caroline Muller: Es gibt viele exotische Ideen zum Thema Geoengineering. Ich denke schon, dass das ein Forschungsbereich ist, der es wert ist, weiterverfolgt zu werden. Falls die Erwärmung uns an einen Kipppunkt bringt, könnte Geoengineering unsere letzte Hoffnung sein. Aber künstliche Eingriffe ins Klima sind auch sehr gefährlich und funktionieren noch nicht wirklich.
Woran hapert es?
In manchen Ländern gibt es regelmäßig Versuche, kleine Partikel in die Luft einzubringen. Das hilft dem Wasserdampf beim Kondensieren und fördert so die Bildung von Wolken. Aber ob diese Wolken dann regnen, ist eine andere Geschichte. Die Tropfen, die an den Aerosolen gebildet werden, tendieren
ZUR PERSON
Caroline Muller (42) ist seit September als erste Klimaforscherin am Institute of Science and Technology in Klosterneuburg tätig. Davor forschte sie am französischen Forschungszentrum CNRS in Paris. Die promovierte Mathematikerin beschäftigt sich mit theoretischen und physikalischen Modellen zu Erderwärmung und Wasserkreislauf, tropischen Wolken sowie internen Wellen und der Ozeanzirkulation. 2018 wurde sie mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet. dazu, sehr klein zu sein. Und für Regen braucht es große Tropfen. Also muss man die Wolken zum richtigen Zeitpunkt säen. Da wird es kompliziert. Doch statt mit dem Planeten zu spielen, wäre es wichtiger, mehr über ihn zu wissen. Wenn wir ihn besser verstehen, eröffnen sich andere Anpassungsmöglichkeiten als Geoengineering.
Wo fehlt es noch an Wissen?
Im Weltklimaforschungsprogramm WCRP identifizieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen die Schlüsselfragen der Klimaforschung. Zwei der Hauptherausforderungen, zu deren Lösung ich beitragen möchte, sind Klimaextreme und die Verbindung von Wolken und atmosphärischer Zirkulation.
Bleiben wir bei den Klimaextremen. Um wie viel extremer werden sie noch?
Nun ja, wärmere Luft absorbiert mehr Wasserdampf. Als Konsequenz trägt ein Sturm, der sich bewegt, mehr Wasserdampf mit sich, der zu Flüssigkeit oder Eis und Schnee kondensieren kann. Es kommt dabei zu dem, was wir den Rich-Get-Richer-Mechanismus nennen: Dort, wo es generell viel regnet, wird es noch mehr regnen, aber dort, wo bereits ein Regendefizit besteht, wird es noch weniger regnen. Denn der gesamte Wasserkreislauf wird verstärkt – und damit auch das jeweilige Niederschlagsmuster. Wir reden hier von einer Zunahme um sieben Prozent pro Grad Erwärmung. Weil es sich bei Extremen um sehr seltene Ereignisse handelt, haben wir nur wenig statistische Daten, das macht ihre Vorhersage schwierig.
Sie warnten erst kürzlich davor, dass in naher Zukunft speziell tropische Wirbelstürme heftiger werden. Was ist die Erklärung dafür?
Während sich die Zahl der Wirbelstürme nicht zu verändern scheint – im Atlantik werden es mehr, im Pazifik weniger –, nimmt ihre Intensität zu. Das liegt auch an den sich erwärmenden Ozeanen. Wirbelstürme ziehen aus ihnen ihre Energie. Davon ist immer mehr vorhanden, da Ozeane 93 Prozent der zusätzlichen Energie aufnehmen, die durch Treibhausgas-Emissionen erzeugt wird.
Welche Konsequenzen bringen die wärmeren Meere noch mit sich?
Das Eis an den Polen schmilzt natürlich schneller, und warmes Wasser braucht mehr Platz. Das lässt den Meeresspiegel steigen, was besonders für kleine tropische
Inseln kritisch ist, die nun verschwinden. Dazu kommen eben die tropischen Wirbelstürme, die zusätzlich Wasser an den Küsten auftürmen und Flutwellen verursachen können. Ein weiteres Problem für das Leben im Meer ist, dass die Ozeane durch die Aufnahme von CO2 versauern.
Und welche Rolle spielen nun die Wolken in diesem Szenario?
Das ist die Frage (lacht). Wenn sich Wolken bilden, indem Wasserdampf kondensiert, wird latente Wärme freigesetzt. Es kommt zu einem Wärmeaustausch mit der Luft. Diese Wärme generiert Zirkulationen. Denken Sie an Heizkörper: Die erhitzte Luft steigt oberhalb auf. Wie genau nun Wolken und die atmosphärische Zirkulation, in die sie eingebunden
sind, zusammenhängen, ist komplex. Relevant ist das deswegen, weil uns die Wolken vor der Sonnenwärme abschirmen und gleichzeitig die thermischen Emissionen von der Erdoberfläche auffangen. Sie interagieren also mit dem globalen Energiebudget des Planeten.
Wie gehen die Klimamodelle damit um?
Der Einfluss der Wolken wird unterschiedlich bewertet. Aktuelles Ziel ist es, zu prüfen, ob und wie die Ergebnisse unserer kleineren Modelle mit denen der großen zusammenpassen. Momentan schaut es danach aus, dass durch das Zusammenspiel von Wolken und Zirkulation das Ausmaß des Klimawandels verstärkt wird. Aber da gibt es eine große Unsicherheit innerhalb der Community.
Haben Wolken in unserem derzeitigen Klima unterm Strich einen kühlenden oder einen wärmenden Effekt?
Wolken kühlen im sichtbaren Bereich, also das Sonnenlicht, aber sie wärmen im Infrarotbereich, das betrifft die Thermalstrahlung der Erde. Darum ist es in wolkigen Nächten nicht so kalt wie in Nächten mit klarem Himmel. In Summe kühlen die Wolken den Planeten – und zwar um rund 20 Watt/m2. Wenn man das mit dem Strahlungsantrieb von CO2, der bei vier Watt/m2 liegt, vergleicht, wird deutlich, in welchem Ausmaß eine veränderte Wolkendecke den Klimawandel beeinflussen könnte.
Machen mehr Daten die Modelle besser?
Wir sitzen heute auf einer enormen Anzahl von Daten. Neben den globalen Satellitendaten, die es seit den 1980ern gibt, brauchen wir aber auch Feldkampagnen. Denn vom Weltall aus sieht man schlecht, was sich nahe der Oberfläche abspielt, dafür ist die Auflösung zu grob. Vor dem ersten Lockdown war ich zum Beispiel an einer Kampagne über Barbados beteiligt, bei der wir vom Flugzeug aus Sonden abgeworfen haben, um thermodynamische Profile bis zur Oberfläche des Meeres zu erhalten. Nun geht es darum, von diesem Bereich auch Satellitendaten in hoher Auflösung zu erhalten. Das ist Ziel einer geplanten ESA-Mission namens Harmony, an der ich ebenfalls beteiligt bin.
Mit den Eindrücken der Weltklimakonferenz im Hinterkopf – blicken Sie pessimistisch oder optimistisch in die Zukunft?
Die jüngeren Generationen stimmen mich hoffnungsvoll. Die Mentalitäten haben sich sehr verändert, etwa in Sachen Recycling. Das war mir als Kind noch fremd, aber meine Kinder schmeißen nichts in den falschen Mülleimer – und die sind sechs und neun Jahre alt. Wenn die Menschen Veränderung wollen, dann wird die Politik folgen. Ja, mit Verzögerung, aber es wird passieren.