Biozide in Farben und Kosmetika auf ein Minimum reduzieren
Mikrobiologie. Ein Start-up aus Niederösterreich hat ein Monitoring-System entwickelt, um den Einsatz keimabtötender Chemikalien in der Industrie zu beschränken. Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, die Umwelt weniger mit diesen Stoffen zu belasten.
Biozide, also keimabtötende Chemikalien, sind fast überall enthalten – auch dort, wo man sie nicht unbedingt vermutet, beispielsweise in Kosmetika. Für den Menschen sind sie unbedenklich und verhindern einen Befall der Ware mit Bakterien oder Pilzen. Deswegen ist der weltweite Biozid-Markt auch riesengroß. Auf rund zehn Milliarden Dollar beziffert ihn Gerald Krätschmer. Er ist einer der Gründer des Start-ups „C-Square Bioscience“aus Tulln (Niederösterreich) und hat gemeinsam mit seinem Team ein automatisiertes System zum Monitoring des mikrobiellen Befalls von Industrieerzeugnissen sowie eine mit künstlicher Intelligenz arbeitende Algorithmik entwickelt. Der Hintergrund: Rückstände der Chemikalien, die von den Unternehmen im Kampf gegen die Keime eingesetzt werden, belasten das Abwasser, werden auch in Kläranlagen nicht zur Gänze ausgefiltert und gelangen so in den weiteren Ökokreislauf.
Das Monitoring soll dazu beitragen, die Menge der eingesetzten Biozide zu reduzieren, das Ökosystem zu entlasten und die Industrie umweltfreundlicher zu machen. „Biozide benötigt man in der Industrie überall dort, wo wässrige Prozessmedien zum Einsatz kommen“, erklärt Krätschmer. Allein die Papierindustrie benötigt jährlich rund 7000 Tonnen dieser Wirkstoffe, auch bei der Erzeugung von Farben, Lacken oder Kühlschmierstoffen, also in der Motorenund Maschinenproduktion, sowie bei der Herstellung von Kosmetika kommen große Mengen zum Einsatz.
Messmethode aus der Medizin
Das Monitoring-System der Niederösterreicher kontrolliert den mikrobiellen Befall der Warenproben rund um die Uhr. Dabei kommt unter anderem die auch in der Medizin zur Erstellung des Blutbildes verwendete Durchfluss-Zytrometrie zum Einsatz – laut Krätschmer eine etablierte Messmethode, „mit der man einen Befall durch unterschiedliche Bakterien sowie Pilze unterscheiden kann, die bisher jedoch den Nachteil hatte, dass sie aufgrund der Aufwendigkeit des Verfahrens ausschließlich im Labor durchführbar war“.
Das C-Square-Team verpackte die gesamte Messvorrichtung sowie die Steuerungseinheit in eine eineinhalb Meter hohe 70-mal-70-Zentimeter-Box und fährt damit nun zu den Kunden. Um das zu schaffen, wurde auch Expertise von außen eingeholt. „Üblicherweise werden die Proben einige Male im Jahr kontrolliert“, sagt Krätschmer. „Das führt dazu, dass viele Unternehmen mit der Biozid-Dosierung experimentieren und gern mal besser zu viel als zu wenig nehmen. Eine Rund-um-die-Uhr-Beobachtung, deren Resultate innerhalb weniger Minuten vorliegen, lässt Zusammenhänge rascher und besser erkennen und viel genauere Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der jeweiligen Biozid-Dosierung zu.“Mithilfe mathematischer Modelle könne man die von zahlreichen Faktoren abhängige Minimalgabe berechnen. Das Start-up, das vom Austria Wirtschaftsservice AWS, der Forschungsförderungsgesellschaft FFG und Accent, dem „Technologie-Inkubator“des Landes Niederösterreich, unterstützt wird, hat dafür einen Algorithmus entwickelt und zum Patent angemeldet. „Wir arbeiten zudem an der Einbindung künstlicher Intelligenz, die die Berücksichtigung weiterer Parameter erlaubt, um die Ergebnisse noch präziser zu machen.“
Bis zu ein Drittel weniger Chemikalien
Erste Erfolge können Krätschmer und seine Kollegen Thomas Eichinger, Markus Enzenhofer und Michael Kunz bereits vermelden. Dem Business-Manager, dem Biotechnologen,
dem Betriebswirtschaftler und dem Chemiker gelang es mit ihrem System, die von zwei Unternehmen eingesetzte Menge der Chemikalien im Kampf gegen Bakterien und Pilze um 30 bzw. 20 Prozent zu senken und damit eine geringere Belastung der Umwelt zu erreichen.
Und wenn es gelingt, dass darüber hinaus in der Herstellung weiterer industrieller Erzeugnisse künftig weniger Biozide bei gleichbleibender Produktionssicherheit verwendet werden, sei dies auch ein Beitrag, um die Klimaziele 2030 zu erreichen, erklärt Krätschmer.
LEXIKON
Die Durchfluss-Zytometrie ist eine labormedizinische Methode, bei der Laserlicht zur Untersuchung von Zellsuspensionen eingesetzt wird. Die Zellen fließen nacheinander durch eine Messkammer und werden mit dem Laser bestrahlt. Dabei wird ein für jeden Zelltyp typisches Streulicht erzeugt. Auf diese Weise können in wenigen Sekunden mehrere Zehntausend Zellen bestimmt werden. Die Methode kommt auch in der Humanmedizin, etwa bei der Erstellung des Blutbildes, zum Einsatz. Das niederösterreichische Start-up C-Square nutzt sie, um den mikrobiellen Befall von Warenproben zu kontrollieren.