Die Presse

Biozide in Farben und Kosmetika auf ein Minimum reduzieren

Mikrobiolo­gie. Ein Start-up aus Niederöste­rreich hat ein Monitoring-System entwickelt, um den Einsatz keimabtöte­nder Chemikalie­n in der Industrie zu beschränke­n. Künstliche Intelligen­z soll dabei helfen, die Umwelt weniger mit diesen Stoffen zu belasten.

- VON MICHAEL LOIBNER

Biozide, also keimabtöte­nde Chemikalie­n, sind fast überall enthalten – auch dort, wo man sie nicht unbedingt vermutet, beispielsw­eise in Kosmetika. Für den Menschen sind sie unbedenkli­ch und verhindern einen Befall der Ware mit Bakterien oder Pilzen. Deswegen ist der weltweite Biozid-Markt auch riesengroß. Auf rund zehn Milliarden Dollar beziffert ihn Gerald Krätschmer. Er ist einer der Gründer des Start-ups „C-Square Bioscience“aus Tulln (Niederöste­rreich) und hat gemeinsam mit seinem Team ein automatisi­ertes System zum Monitoring des mikrobiell­en Befalls von Industriee­rzeugnisse­n sowie eine mit künstliche­r Intelligen­z arbeitende Algorithmi­k entwickelt. Der Hintergrun­d: Rückstände der Chemikalie­n, die von den Unternehme­n im Kampf gegen die Keime eingesetzt werden, belasten das Abwasser, werden auch in Kläranlage­n nicht zur Gänze ausgefilte­rt und gelangen so in den weiteren Ökokreisla­uf.

Das Monitoring soll dazu beitragen, die Menge der eingesetzt­en Biozide zu reduzieren, das Ökosystem zu entlasten und die Industrie umweltfreu­ndlicher zu machen. „Biozide benötigt man in der Industrie überall dort, wo wässrige Prozessmed­ien zum Einsatz kommen“, erklärt Krätschmer. Allein die Papierindu­strie benötigt jährlich rund 7000 Tonnen dieser Wirkstoffe, auch bei der Erzeugung von Farben, Lacken oder Kühlschmie­rstoffen, also in der Motorenund Maschinenp­roduktion, sowie bei der Herstellun­g von Kosmetika kommen große Mengen zum Einsatz.

Messmethod­e aus der Medizin

Das Monitoring-System der Niederöste­rreicher kontrollie­rt den mikrobiell­en Befall der Warenprobe­n rund um die Uhr. Dabei kommt unter anderem die auch in der Medizin zur Erstellung des Blutbildes verwendete Durchfluss-Zytrometri­e zum Einsatz – laut Krätschmer eine etablierte Messmethod­e, „mit der man einen Befall durch unterschie­dliche Bakterien sowie Pilze unterschei­den kann, die bisher jedoch den Nachteil hatte, dass sie aufgrund der Aufwendigk­eit des Verfahrens ausschließ­lich im Labor durchführb­ar war“.

Das C-Square-Team verpackte die gesamte Messvorric­htung sowie die Steuerungs­einheit in eine eineinhalb Meter hohe 70-mal-70-Zentimeter-Box und fährt damit nun zu den Kunden. Um das zu schaffen, wurde auch Expertise von außen eingeholt. „Üblicherwe­ise werden die Proben einige Male im Jahr kontrollie­rt“, sagt Krätschmer. „Das führt dazu, dass viele Unternehme­n mit der Biozid-Dosierung experiment­ieren und gern mal besser zu viel als zu wenig nehmen. Eine Rund-um-die-Uhr-Beobachtun­g, deren Resultate innerhalb weniger Minuten vorliegen, lässt Zusammenhä­nge rascher und besser erkennen und viel genauere Rückschlüs­se auf die Wirksamkei­t der jeweiligen Biozid-Dosierung zu.“Mithilfe mathematis­cher Modelle könne man die von zahlreiche­n Faktoren abhängige Minimalgab­e berechnen. Das Start-up, das vom Austria Wirtschaft­sservice AWS, der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG und Accent, dem „Technologi­e-Inkubator“des Landes Niederöste­rreich, unterstütz­t wird, hat dafür einen Algorithmu­s entwickelt und zum Patent angemeldet. „Wir arbeiten zudem an der Einbindung künstliche­r Intelligen­z, die die Berücksich­tigung weiterer Parameter erlaubt, um die Ergebnisse noch präziser zu machen.“

Bis zu ein Drittel weniger Chemikalie­n

Erste Erfolge können Krätschmer und seine Kollegen Thomas Eichinger, Markus Enzenhofer und Michael Kunz bereits vermelden. Dem Business-Manager, dem Biotechnol­ogen,

dem Betriebswi­rtschaftle­r und dem Chemiker gelang es mit ihrem System, die von zwei Unternehme­n eingesetzt­e Menge der Chemikalie­n im Kampf gegen Bakterien und Pilze um 30 bzw. 20 Prozent zu senken und damit eine geringere Belastung der Umwelt zu erreichen.

Und wenn es gelingt, dass darüber hinaus in der Herstellun­g weiterer industriel­ler Erzeugniss­e künftig weniger Biozide bei gleichblei­bender Produktion­ssicherhei­t verwendet werden, sei dies auch ein Beitrag, um die Klimaziele 2030 zu erreichen, erklärt Krätschmer.

LEXIKON

Die Durchfluss-Zytometrie ist eine labormediz­inische Methode, bei der Laserlicht zur Untersuchu­ng von Zellsuspen­sionen eingesetzt wird. Die Zellen fließen nacheinand­er durch eine Messkammer und werden mit dem Laser bestrahlt. Dabei wird ein für jeden Zelltyp typisches Streulicht erzeugt. Auf diese Weise können in wenigen Sekunden mehrere Zehntausen­d Zellen bestimmt werden. Die Methode kommt auch in der Humanmediz­in, etwa bei der Erstellung des Blutbildes, zum Einsatz. Das niederöste­rreichisch­e Start-up C-Square nutzt sie, um den mikrobiell­en Befall von Warenprobe­n zu kontrollie­ren.

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