Drunten in der Aerosol-Hölle
Expedition Europa: Ein beglückt lächelnder Pfingstprediger missioniert Tag für Tag im Verlies des armenischen Klosters Chor Virap.
Eigentlich will ich gar nicht mehr davon erzählen. Ich besuchte diese armenischen Nationalheiligtümer in einer Zeit, da wir noch glaubten, die Seuche würde uns im Westen dank geimpfter Mehrheiten verschonen und nur noch mehrheitlich ungeimpfte Oststaaten des postsozialistisch/slawisch/orthodoxen Kulturkreises heimsuchen. Das war im Herbst – und doch vor einer Ewigkeit. Inzwischen bin ich mit der beschämenden Gewissheit aufgewacht, im ersten Staat der Welt mit Ungeimpften-Lockdown zu leben. Inzwischen steckt fast die ganze Slowakei in einem Lockdown für alle, Tschechien übernimmt das etwas sanftere „bayrische Modell“der Ungeimpften-Segregation, und fast maßnahmenfrei ist vorläufig nur das Land mit den meisten Corona-Toten der Gegend: Ungarn. Inzwischen sitze ich zu Hause und warte auf den nächsten Lockdown.
Die einzige Ablenkung: Wahlkämpfer Viktor Orbán verordnete ab Montag einen Preisdeckel von 480 Forint auf Benzin und Diesel. Ich fuhr gleich am Montag rüber. So entspannt hatte ich noch nie getankt, der zwänglerische Preisvergleich fiel weg, nirgends Masken, überall 479,90 Forint, ein Gefühl von Gulaschkommunismus.
Armenien gilt mit 20 Prozent als das am schwächsten geimpfte Land Europas. Ich suchte die zwei Heiligtümer auf, um übers Impfen zu reden. Da sie täglich von Tausenden Armeniern besucht werden, formen sie die nationale Meinungsbildung mit. Das Kloster Chor Virap fand ich in der fruchtbaren Ararat-Ebene. Die Aussicht ging auf den türkischen Grenzzaun und zum türkisch beherrschten Nationalberg Ararat. Ein armenischer Würdenträger führte vier russische Gäste, zwei von ihnen russische Soldaten. Der Schmeichler differenzierte zwischen
Sowjetunion und Zarenreich. Die Sowjetunion habe den Ararat hergegeben, vorher aber „war das alles russisches Imperium“gewesen. Die russischen Soldaten nickten freundlich, achteten aber auf Neutralität.
Auf abgegriffenen Eisensprossen stieg ich in ein tiefes Verlies hinab. Gregor der Erleuchter, der Täufer des ersten christlichen Staates der Welt, soll 13 Jahre lang dort unten geschmort haben. Reger Besuch, viele junge Russinnen. Ein Armenier legte einem armenischen Mädel die Hand auf, das Mädel bebte während seines Gebets, entfernte sich dankend und war wieder cool. Der stets beglückt lächelnde Armenier war ein Pfingstprediger und missionierte Tag für Tag in Gregors Verlies. Er blieb „jeweils drei bis vier Stunden am Stück unten, mit kurzen Pausen zum Luftschöpfen“. Ich fragte den Ungeimpften, ob er sich in der Aerosol-Hölle nicht angesteckt habe. Er antwortete: „Nein, denn ich habe Gott gebeten, dass ich mich nicht anstecke, wenn ich hier unten sein Wort verkünde. Und Gott hilft, wenn man ihn bittet, er hilft auch gegen Überschuldung, Krankheit, Tod.“Der Prediger glaubte an die Theorie mit den Chips. Er berief sich auf die Offenbarung des Johannes, welche eine „Herrschaft des Tieres“vorhergesagt hatte: „Alle zwang es, auf ihrer rechten Hand oder ihrer Stirn ein Kennzeichen anzubringen. Kaufen oder verkaufen konnte nur, wer das Kennzeichen trug: den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens.“
Später, als ich an der Landstraße auf einen Bus hoffte, nahm mich der Prediger in seinem Kleinwagen mit. Er hatte 20 Jahre in einer holländischen Erdäpfelchipsfabrik gearbeitet und war 2020 „wegen des KarabachKrieges“zurückgekehrt. Er hielt bei einer vertrockneten Paradeiserplantage, dort kosteten wir halb grüne Paradeiser, dann bei einem Weingarten, dort raubten wir überreife Trauben. Er strahlte Ruhe aus.
Das Bergkloster Tatev fand ich im frontnahen Südosten Armeniens. Eine sechs Kilometer lange Doppelmayr-Seilbahn führte hinauf. Der teils noch in Ruinen liegende Steinbau gehörte der Armenischen Apostolischen Kirche. Ich steuerte auf zwei malerisch bärtige Mönche zu. Sie waren noch nicht geimpft, sprachen sich aber unbekümmert für jede Art von Vakzin aus: „Wir warten halt noch auf ein Wort des Katholikos, denn jetzt erzählt jeder, was er will.“Dass sich die Prophezeiung der Apokalypse auf die Covid-Impfung beziehen könnte, schlossen sie aus: „Dann wird es auch kein Geld und keine Karten mehr geben, und das gibt’s ja noch alles.“Sie fragten mich: „Womit sind Sie denn geimpft?“– „Mit Pfizer.“– „Bingo, das ist das Beste überhaupt!“Sie brachen in herzliches Lachen aus.