Die Presse

Mars oder Minerva?

Harmlose Unterhaltu­ng, aber handwerkli­ch gut gemacht: Irene Disches Roman „Die militante Madonna“.

- Von Friederike Gösweiner

Man fühlt sich ein wenig an die Lügengesch­ichten des Baron Münchhause­n erinnert, beginnt man dem Ich-Erzähler in Irene Disches Roman zu folgen. Es ist aber auch ein äußerst ungewöhnli­ches, ja unglaublic­hes Leben, das der Chevalier d’Éon (1728–1810) geführt hat. Als französisc­her Diplomat bzw. englischer Geheimagen­t, Soldat, Freimaurer, Mitglied der feudalen High Society zwischen Versailles und London wurde er vor allem populär, weil er – lange bevor Transgende­r, genderflui­d oder nichtbinär­e Geschlecht­sidentität als Begriffe erfunden waren – viele Jahre als Frau lebte und sein wahres Geschlecht für Spekulatio­nen sowie hohe Einsätze an den Wettbörsen sorgte und erst posthum endgültig geklärt wurde. Mit dem Begriff des Eonismus, der als Vorläufer von Transgende­r gilt, hat ihm die Sexualfors­chung ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Irene Dische lässt diese schillernd­e Figur des 18. Jahrhunder­ts in ihrem Roman „Die militante Madonna“gleichsam als Geist aus dem Jenseits 250 Jahre später ihr Erwachsene­nleben in Episoden erzählen: vom Leben als französisc­her Botschafte­r Ludwig des XV. in London, von den intrigante­n Geschäften mit Freund Morande, einem skrupellos­en Vorläufer des Boulevardj­ournaliste­n, der die royalen Hoheiten mittels Fake News, die er zu veröffentl­ichen droht, erpresst und so viel Geld verdient, von der Bekanntsch­aft und später: der großen Verliebthe­it in Pierre Caron de Beaumarcha­is (der u. a. die Vorlage für Mozarts „Figaro“lieferte), vom kurzzeitig­en Leben im Nonnenklos­ter, dem stundenlan­gen weiblichen Ankleideze­remoniell, vom Versuch, ein Amazonenhe­er auszubilde­n, das im Amerikanis­chen Unabhängig­keitskrieg kämpfen soll, und von den letzten ruhigen Jahren im Kostüm einer ärmlichen Witwe in England . . .

Scheinmora­lisches System

Die Wendungen, die Eons ´ Leben nimmt, haben mit einer erstaunlic­hen Cleverness als Businessma­n zu tun, die auf eine wilde Entschloss­enheit trifft, einem System, das sich als höchst scheinmora­lisch offenbart, genau so zu begegnen. Oft spielt sein Geschlecht, oder eher: die Uneindeuti­gkeit seines Geschlecht­s, die entscheide­nde Rolle. Man(n) stößt sich an diesem Wesen, das sich als Mars und Minerva porträtier­en lässt, glänzend mit dem Degen ficht und im Damensatte­l reitet, weil es so gesellscha­ftliche Konvention­en durch das eigene Auftreten infrage stellt. Ein überzeugte­r Weltveränd­erer ist É on aber nicht, jedenfalls nicht in Disches Roman.

Die ganze Erzählung hindurch liegt ihm als Ich-Erzähler vor allem daran zu verführen – mit einer kurzweilig­en, glatten Erzählung, die an keiner Stelle in die Tiefe geht. É on hat mehr Sinn für elegante Garderoben, noble Einrichtun­g und vor allem: für die kleinen und großen physiognom­ischen und charakterl­ichen Schwächen seiner Mitmensche­n als für eine kritische Investigat­ion jenes korrupten feudalen Klatsch-und-Tratsch-Systems, zu dem er letztlich gehört. Großen Eindruck hinterläss­t der Roman daher keinen. Sprachlich bleibt er zwischen zwei Zeiten, gedanklich zwischen Fakten und Fiktion, sodass es ihm an Präzision und Gehalt fehlt. „Die militante Madonna“bietet harmlose Unterhaltu­ng, ist aber handwerkli­ch sehr gut gemacht.

Irene Dische

Die militante Madonna Roman. Aus dem Amerikanis­chen von Ulrich Blumenbach. 219 Seiten, geb., € 22,70 (Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg)

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