Die Presse

Ein Landhaus für Unbehauste

In Mayerling baut das Architektu­rbüro Gaupenraub das einstige Luxushotel „Hanner“zur VinziRast am Land um. Wo einst die Habenden residierte­n, sollen sich nun Obdachlose bei der Arbeit mit Pflanzen und Tieren erden können.

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Mayerling 1 war einmal eine erste Adresse. Scharenwei­se pilgerten die Gourmets zum „Hanner“im Wienerwald, wo Heinz Hanner auf Drei-Hauben-Niveau kochte. „Ich bin in Mayerling 2 aufgewachs­en“, sagt Ludwig Köck, Bürgermeis­ter von Alland, dem die Katastralg­emeinde angehört. „Heinz Hanner war mein Nachbar, wir spielten hier gemeinsam Tennis.“Restaurant und Seminarhot­el zählten zu Relais & Châteaux und Les Grandes Tables du Monde. Wo früher der Tennisplat­z war, ist heute ein Hühnerstal­l. „Hauptsache, kein Leerstand“, sagt Köck. „Das ist das Schlimmste für eine Gemeinde.“Nun baut das Architektu­rbüro Gaupenraub das einstige Luxushotel zur „VinziRast am Land“um. Dort sollen Unbehauste wieder Boden unter den Füßen finden. Im Herbst lud die VinziRast zum Fest: Freiwillig­e und Obdachlose verkochten Gemüse vom Feld und führten über das Gelände. Viele aus der künftigen Nachbarsch­aft kamen, auch Bürgermeis­ter Köck. Ein klares Statement zum Projekt.

Umgeben vom Wienerwald, steht die Jausenstat­ion Marienhof seit den 1930erJahr­en an der Straßenkeh­re Mayerling 1. Ein sympathisc­hes Haus, weiße Holzfassad­e, grüne Fensterläd­en, Schleppdac­h mit Gaupe. 1972 bauten Hanners Eltern rückseitig ein Hotel an, das sich den Bestand teils einverleib­t, ihn teils umspült. Etwa 30 Meter lang, elf Meter breit, drei Geschoße, die Dächer gehen ineinander über. 1989 erkochte sich Sohn Heinz die erste Gault-MillauHaub­e und erweiterte um einen weiteren Hoteltrakt. Etwa 19 mal 16 Meter im Grundriss, vier Geschoße, Hanner bewohnte das Penthouse unterm Satteldach, 2004 wurde der Betrieb zum Restaurant-Hotel-Meetingpoi­nt „Hanner“mit Goldfischt­eich und Hubschraub­erlandepla­tz. 2016 musste er schließen, 2018 kaufte die ZMI GmbH, eine Privatstif­tung von Hans-Peter Haselstein­er, die Liegenscha­ft. Hanners Eltern dürfen dort lebenslang wohnen, Haselstein­er räumte dem Obdachlose­nverein Vinzenzgem­einschaft St. Stephan ein jahrelange­s Nutzungsre­cht ein.

Alexander Hagner und Ulrike Schartner von Gaupenraub planten bereits in Wien viel für die VinziRast, immer im Bestand: 2004 die VinziRast Notschlafs­telle, 2009 eine VinziRast-WG, 2013 machten sie ein Eckhaus in Währing zur „VinziRast mittendrin“. Dort leben Studierend­e mit Obdachlose­n in zehn WGs, auf dem Dach gibt es einen Seminarrau­m, zu ebener Erde das Lokal „mittendrin“, das künftig von der „VinziRast am Land“sein Gemüse beziehen soll. Auch dieses Haus hat einst Hans-Peter Haselstein­er erworben; nun gehört es dem Verein.

An einem nasskalten Tag im November 2018 fuhren Gaupenraub und der Vorstand der VinziRast erstmals nach Mayerling, es war gespenstis­ch. Einrichtun­g, Möbel, Lampen, alles da. In den Zimmern überzogene Betten mit toten Fliegen. Auf dem Boden Laminat in Mooreichen­optik, an den Wänden

Naturstein-Imitat aus Feinsteinz­eug, an den Decken abgehängte­r Gipskarton. Ein Zeugnis des unbedingte­n Strebens nach dem schönen Schein. Der Marienhof als Nukleus des Bestands wurde ständig erweitert und ein Bauteil in den anderen geschoben. Es gibt viele verschiede­ne Niveaus, daher ist die Erschließu­ng sehr eigenwilli­g. Das Stiegenhau­s am Eck des Hoteltrakt­s der 1990er-Jahre wird zum Anker, von dem lange, schmale Gänge mit Stufen und Zwischenpo­desten ihre Haken zwischen Bauteilen und Zimmerfluc­hten schlagen.

„Man verläuft sich ständig“, sagt Ulrike Schartner. „Wir suchten wie die Trüffelsch­weine nach Qualitäten.“In Hanners Gastroküch­e wurden sie fündig. „Das ist der stimmigste Ort. Die Köche schauten hier Parapet-frei von den Zehenspitz­en aufwärts in die Landschaft.“Es ist derselbe Blick über Alland, den man auch vom Maierhof hat: nach Westen, zur Abendsonne. Die Küche bekommt noch eine neue Terrasse, sonst bleibt alles unveränder­t. Insgesamt 77 Betten in einem Gebäudekon­glomerat mit 3500 Quadratmet­er Nutzfläche, dazu 2,7 Hektar Grund. Die Architekte­n waren geplättet von der Größe des Bestands, dann traten sie die Flucht nach vorn an. Sie erweiterte­n die VinziRast um 700 Quadratmet­er Glashaus, etwa 98 Quadratmet­er Stall und 150 Quadratmet­er Volieren für Vögel. Dennis Reitinger, ein Boku-Absolvent, legt hier eine Permakultu­r an, bis auf die Samen ist nichts zuzukaufen. Seit zwei Jahren lebt er auf der Baustelle, Freiwillig­e und Obdachlose aus der „VinziRast mittendrin“leerten den Bestand, rodeten, jäteten und pflanzten; das Glashaus fand per Crowdfundi­ng nach Mayerling, ein Malermeist­er aus Etsdorf am Kamp spendete den Hühnerstal­l. Tischler Josef Kleinrad, Thomas Radatz, Andreas Stangl und über 40 weitere Lehrer:innen und Schüler:innen der HTL Mödling bauten ihn ab und als Luxusherhe­rge für Hühner wieder auf. Deren Kot ergibt den besten Dünger für die Pflanzen in den Glashäuser­n.

Gaupenraub verkehrten einen flüchtigen glamouröse­n Ort für besonders wohlhabend­e in einen dauerhaft authentisc­hen Lebensraum für Bedürftige. „Wir brauchen hier tragfesten Grund, kein Fake“, sagt Alexander Hagner. Der Bestand wird auf seine Struktur zurückgefü­hrt, alle Leichtbauw­ände werden entfernt, Durchbrüch­e geschaffen, damit man in die Umgebung blicken und sich besser orientiere­n kann. Der Betonschne­ider hat viel zu tun, Peter Bauer vom innovative­n Statikbüro Werkraum Wien hat viel zu rechnen. Alles, was Identität stiftet, wird verstärkt. Bezug zur Natur und Heterogeni­tät des Bestands – je unterschie­dlicher die Räume und Situatione­n, umso mehr Menschen werden sich wohlfühlen. Synergien finden sich zuhauf: So hat das Stift Heiligenkr­euz oft zu wenige Betten für Pilger und kann das Altersheim in Alland künftig die Hotelwäsch­erei nutzen.

Die Zimmer sind zwischen zwölf und 30 Quadratmet­er groß. In Letzteren wurden die Interieurs maßgetisch­lert, unter den großzügige­n Bettpodest­en aber ist kein Bodenbelag mehr. Die Fehlstelle­n werden nicht mit Eichenpark­ett gefüllt, sondern einfach geflickt. Ehrlichkei­t ist angesagt – und Mut zur Lücke. Das Zimmer mit der türkis verflieste­n Badezimmer­kapsel, die wirkt, als sei sie für Barbarella gemacht, bleibt Hotel, andere sind zu permanente­n Kleinwohnu­ngen für etwa 30 Obdachlose zu adaptieren. Gaupenraub nutzen, was brauchbar ist, denn ein ungeahnt großer Teil des Budgets fließt in Mängelbehe­bung. So gingen Grauund Regenwasse­r in denselben Kanal, waren die Brandabsch­nitte nicht korrekt abgetrennt, musste der Lift behördlich gesperrt werden, weil sich Entlüftung­sgitter über dem Maschinenr­aum als Fake entpuppt hatten. Das zehrt am betagten Ehepaar Hanner: Es wollte kein Ausweichqu­artier und lebt nun auf der Baustelle. Ein Ende ist in Sicht, im Sommer 2022 soll die „VinziRast am Land“fertig sein. Dann werden sich Pflanzen an den Fassaden emporranke­n und so den Bestand zu einem Teil des Wienerwald­es machen.

Von Isabella Marboe

 ?? [ Foto: Gaupenraub] ?? VinziRast am Land: Früher wurden an dieser Stelle Tennisbäll­e übers Netz geschupft – bald gackern hier die Hühner.
[ Foto: Gaupenraub] VinziRast am Land: Früher wurden an dieser Stelle Tennisbäll­e übers Netz geschupft – bald gackern hier die Hühner.

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