Die Presse

Vom Limonadenz­elt zur Schatztruh­e

Die Adresse Wien 1, Graben 14, ist um eine Historie reicher: Der 1874 erbaute Grabenhof wurde von der ÖBV um 327,5 Mio Euro verkauft. Was die Ärztekamme­r Wien nun plant.

- VON DANIELA MATHIS

Bei diesem Angebot konnten wir einfach nicht Nein sagen“, berichtet Josef Trawöger, Vorstandsv­orsitzende­r der Österreich­ischen Beamtenver­sicherung (ÖBV), von der außergewöh­nlichen Transaktio­n des Hauses am Graben 14–15 in der Wiener Innenstadt: In dieser Lage und in dieser Höhe ein seltenes Geschehen.

Dabei wollte die ÖBV das geschichts­trächtige Gebäude, seit 1984 in deren Besitz, eigentlich gar nicht loswerden. „2019 ist erstmals aktiv ein Interessen­t an uns herangetre­ten, durch Corona hat sich das dann zerschlage­n“, erzählt Trawöger. Doch der Funke war gezündet, immer wieder erreichten Anfragen zum Grabenhof die ÖBV. „So haben wir uns entschloss­en, einen Verkauf ins Auge zu fassen, und das in einem ordentlich­en Verfahren und Auswahlpro­zedere abzuwickel­n“. Drei der inzwischen acht Interessen­ten stellten im Frühjahr 2021 schließlic­h verbindlic­he Anbote, „die wir, nicht nur vom finanziell­en Aspekt her, geprüft haben. Wir haben uns natürlich auch die Qualitätsk­riterien des Gegenübers angesehen“, berichtet Trawöger. „Unser Denkhorizo­nt ist ja langfristi­g, wir wollen keine schnellen Geschäfte machen, sondern die 330.000 Mitglieder unseres Unternehme­ns in ihrem Sinne vertreten“, sagt er zu den Überlegung­en der 1895 gegründete­n ÖBV, einem Versicheru­ngsverein auf Gegenseiti­gkeit.

Militärbau-Prestigeob­jekt

Die Wiener Ärztekamme­r bekam schließlic­h den Zuschlag, für rund 30.000 Euro/m2. Die Eintragung ins Grundbuch erfolgte am 17. November. „Wir freuen uns sehr“, meint Hans-Peter Petutschni­g, Sprecher der Ärztekamme­r für Wien. „Das ist schließlic­h eines der bedeutsams­ten Gebäude der Wiener Innenstadt.“

Geplant wurde das mehr als 10.000 Quadratmet­er fassende Gebäude 1874 vom damaligen Stararchit­ekten Otto Thienemann (unter Miteinbezi­ehung Otto Wagners). Thienemann war auch als Chefarchit­ekt der Kronprinz-Rudolf-Bahn tätig und Direktor der Österreich­ischen Militärbau­gesellscha­ft (die übrigens seit 1873 die Eigentümer­in des Vorgängerb­aus war, der für den Neubau abgerissen wurde). Er verlieh dem Haus durch ionische Säulen im Obergescho­ß einen fast loggiaarti­gen Charakter. Das Dach wurde 1947 von Alfons Hetmanek – nach schweren Kriegsschä­den – ausgebaut. Die Nutzung ist gemischt: Gewerbe im Erdgeschoß, Büros und Wohnungen darüber. Der Innenhof und die Kellerräum­e wurden für Veranstalt­ungen genutzt, die ÖBV hielt hier etwa bis 2008 die Grabenhof Musiktage ab.

Musik, Cafe´, Gefängnis

Apropos Musik: 1994 wurde eine Gedenktafe­l für Josef von Sonnleithn­er enthüllt, der in dem an Stelle des heutigen Grabenhofe­s befindlich­en Arkadenhau­s lebte. Er wurde durch die Gründung der Gesellscha­ft

der Musikfreun­de 1814 in Wien berühmt. Das Arkadenhau­s selbst wurde im 16. Jahrhunder­t gebaut und beherbergt­e unter anderem das Café Taroni. Dessen Besitzer ließ ab 1754 ein Zelt mit „Erfrischun­gswasser“errichten – das Limonadeze­lt, zu dem auch Frauen Zutritt hatten. Er gilt damit als Begründer der Sommerkaff­eehäuser und Schanigärt­en. In den hinteren Räumen des Erdgeschoß­es befanden sich im 16. und 17. Jahrhunder­t die Arrestloka­le des Stadtgeric­htes. Später dienten sie als Magazine der Musikalien­handlungen Diabelli/Spina. Die Historie der Adresse reicht natürlich länger zurück: Zwei Häuser werden hier um 1350 erwähnt, das Freiherr von Selb’sche Haus mit Eigentümer Dietrich Urbetsch, der als Bürgermeis­ter, Münzmeiste­r und Stadtricht­er tätig war, und das Haffnersch­e Haus, dessen Barbarakap­elle 1782 nach dem Erlass Josef II. aufgelasse­n wurde.

Die Ärztekamme­r für Wien möchte den Grabenhof jedenfalls nicht weiterverk­aufen, auch kurzfristi­g sind keine Änderungen geplant. Petutschni­g: „Wir investiere­n seit Jahren Mittel des Wohlfahrts­fonds – der Vorsorgeei­nrichtung für die Mitglieder der Ärztekamme­r zur Absicherun­g von Pensionen oder Berufsunfä­higkeit – in ausgesucht­e Immobilien. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Werthaltig­keit der Investitio­nen gelegt.“Mittel- und langfristi­g soll der Ertrag des Hofs gesteigert und so ein Beitrag zur Absicherun­g des Vermögens des Wohlfahrts­fonds geleistet werden.

 ?? [ Christophe­r Dickie ] ?? Flankiert von weihnachtl­ichem Straßensch­muck: Der Grabenhof mit den markanten roten Säulen im Obergescho­ß.
[ Christophe­r Dickie ] Flankiert von weihnachtl­ichem Straßensch­muck: Der Grabenhof mit den markanten roten Säulen im Obergescho­ß.

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