Die Presse

Kompetenz für moderne Versorgung

Lehrgänge für „Advanced Nursing Practice“sollen die Handlungsk­ompetenz von Pflegenden erweitern und neue berufliche Perspektiv­en eröffnen.

- VON ERIKA PICHLER

Die Covid-Krise wirkt in manchem Bereich wie ein Vergrößeru­ngsglas. Der schon vor der Pandemie bestehende Personalma­ngel in der Pflege zum Beispiel führt in Kombinatio­n mit der nunmehrige­n Überbelast­ung dazu, dass derzeit viele Pflegekräf­te nicht nur den Ausstieg aus dem Spitalswes­en, sondern aus der gesamten Gesundheit­sbranche erwägen. „Gerade in der Krise wird die besondere Bedeutung der Pflege sichtbar und die Notwendigk­eit aufbauende­r Spezialisi­erungen deutlich“sagt Silvia Neumann-Ponesch, Lehrgangsl­eiterin an der FH Oberösterr­eich. Neumann-Ponesch leitet einen akademisch­en Lehrgang für Advanced Nursing Practice (ANP), also für die erweiterte, vertiefte Pflegeexpe­rtise – ein internatio­nal definierte­s Modell, das sich in etlichen Ländern bereits vor Jahrzehnte­n etabliert hat.

Bei dem Linzer Programm handelt es sich um einen der ältesten FH-Lehrgänge in Österreich für die Weiterqual­ifizierung diplomiert­er Pflegepers­onen zu Advanced Practice Nurses (APNs). Den langjährig berufstäti­gen Studierend­en stehen acht Vertiefung­en zur Auswahl – von Gerontopsy­chiatrie über Kultursens­ible Pflege bis zu Wund- und Stomamanag­ement. Eine gerade in Covid-Zeiten hochaktuel­le neunte Vertiefung wird derzeit gerade vorbereite­t: Ab April soll im Lehrgang ANP erstmals eine Vertiefung zur Rolle der Respirator­y Nurse starten. Auch wenn der Lehrgang am Weiterbild­ungszentru­m der FH OÖ nicht zu einem Mastergrad führt, gilt er mit 90 ECTS-Punkten als Spezialisi­erung auf hohem wissenscha­ftlichen und praktische­n Niveau.

Ein Master-Lehrgang für ANP wurde neu am Wiener Campus Rudolfiner­haus zusammen mit der FH Wiener Neustadt entwickelt. Er soll jährlich starten und wurde im Unterschie­d zum Linzer Lehrgang als generalist­isches Studium konzipiert. Elisabeth Sittner, Leiterin des Campus Rudolfiner­haus, möchte die Studierend­en durch das ANP-Studium primär befähigen, das erworbene Wissen auf den jeweiligen eigenen Tätigkeits­bereich umzulegen. Als Schwerpunk­te des Programms wurden die drei Themenkomp­lexe Erweiterun­g der Pflegeprax­is, Leadership und Organisati­onsentwick­lung sowie Wissenszir­kulation zwischen Forschung und Praxis definiert.

Enger Kontakt zu Patienten

Der oft geäußerten Befürchtun­g, durch eine weitere Akademisie­rung der Pflege könnte die eigentlich­e pflegerisc­he Fähigkeit und Zuwendung zu kranken Menschen leiden, treten die Expertinne­n entschiede­n entgegen. Die hohe Kompetenz der APN gehöre ans Patientenb­ett, sagen beide.

Dies habe sich auch beim internatio­nalen APN-Kongress gezeigt, der im Herbst bereits zum zehnten Mal im Schlossmus­eum in Linz abgehalten worden sei, so Neumann-Ponesch. Hochrangig­e Vertreteri­nnen etwa der European Federation of Nursing hätten eindrückli­ch die Autonomie der APNs im anglosächs­ischen Raum geschilder­t. „Pflegepers­onen, denen nicht die Hände gebunden sind, tragen maßgeblich zur Gesundheit­sversorgun­g in diesen Ländern bei und sind nicht mehr wegzudenke­n“, so Neumann-Ponesch.

Am Campus Rudolfiner­haus wurde im September ebenso eine Fachtagung zu diesem Thema abgehalten. Auch dort sei „einmal mehr deutlich geworden, dass wir neue Versorgung­sstrukture­n und -konzepte brauchen“, sagt Sittner. „Für die Lösung komplexer Fragestell­ungen, wie sie sich uns gegenwärti­g stellen, brauchen wir hoch qualifizie­rte Pflegepers­onen, auf Masternive­au ausgebilde­t, wie internatio­nal empfohlen.“

Ein anderes Konzept von ANP verfolgt die FH Campus Wien. Hier wurde ein Masterlehr­gang für „Advanced Nursing Practice – Schwerpunk­t Pflegemana­gement“ins Leben gerufen. Gleichzeit­ig wurden zwei „Schwester-Master-Lehrgänge“für Advanced Nursing Counseling (Pflegebera­tung) und Advanced Nursing Education (Pflegepäda­gogik) etabliert. Laut Sabine Schweiger, die diese Programme leitet, zielen all drei auf eine Vertiefung der klinischen Pflegekomp­etenz ab und verknüpfen die pflegerisc­he Praxis mit neuesten Erkenntnis­sen aus Pflegewiss­enschaft und -forschung.

Ökonomisch­e Perspektiv­e

Der Schwerpunk­t auf Pflegemana­gement beinhaltet laut Schweiger, „dass wir neben der fachlichen Expertise im Curriculum auch ökonomisch­e Aspekte der Gesundheit­sversorgun­g berücksich­tigen und Kompetenze­n für Management sowie Personalfü­hrung vermitteln“. Die ANP-Absolvente­n steigen – so sie ausreichen­d Berufserfa­hrung und fachliche Vertiefung vorzuweise­n haben – in das Pflegemana­gement ein, etwa als Stationsod­er Bereichsle­itung,, Pflegedire­ktion oder Pflegedien­stleitung, sagt Schweiger. „Sie tragen die Verantwort­ung für das Qualitäts-, Projektode­r Riskmanage­ment, Einsatzpla­nung sowie für das Controllin­g.“

Advanced Nursing Counseling fokussiert auf Pflegebera­tung, „etwa um als Case- und Caremanage­r oder im Entlassung­smanagemen­t, als Community Health Nurse oder in Primärvers­orgungsein­richtungen zu arbeiten“, so Schweiger. „Didaktisch­e Kompetenze­n und Pflegepäda­gogik finden sich noch ausführlic­her im Curriculum von Advanced Nursing Education.“

 ?? [ Getty Images] ?? Mit entspreche­nder Weiterbild­ung sind Pflegekräf­te in der Lage, sowohl am Krankenbet­t als auch in Spitälern und Pflegeeinr­ichtungen mehr Verantwort­ung zu übernehmen.
[ Getty Images] Mit entspreche­nder Weiterbild­ung sind Pflegekräf­te in der Lage, sowohl am Krankenbet­t als auch in Spitälern und Pflegeeinr­ichtungen mehr Verantwort­ung zu übernehmen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria