Aktien, die von der Inflation profitieren
Kleinfirmen schneiden in einem inflationären Umfeld oft besser ab als die Giganten. Entsprechend legte in den USA der Russell-2000-Index zuletzt deutlich zu. Europa hinkt hinterher, Chancen gibt es unter anderem in Schweden.
New York. Zum größten Teil war das bisherige Börsenjahr 2021 das Jahr der Billionenfirmen. So raste der wichtigste Aktienindex, der S&P 500, vorerst zu mehr als 60 neuen Rekorden, nicht zuletzt dank der Zugewinne von Giganten wie Microsoft, Apple, Netflix und Tesla. Der Russell-2000-Index – er umfasst 2000 US-amerikanische Klein- und Mittelbetriebe – fristete hingegen ein Schattendasein.
Seit dem Frühjahr bewegte er sich bloß seitwärts, obwohl ihm Analysten im Zuge des Konjunkturbooms ein deutliches Plus vorhergesagt hatten.
Mitte Oktober allerdings begann sich das Blatt zu wenden. Innerhalb von drei Wochen verbuchte der Russell 2000 ein Plus von acht Prozent und Anfang November markierte er schließlich das erste Rekordhoch seit mehr als sieben Monaten. Der Grund? Historisch betrachtet schneiden kleinere Firmen laut den Finanzanalysten von Refinitiv in einem inflationären Umfeld deutlich besser ab als die Riesen – und zwar weil sie höhere Preise schneller und unkomplizierter an die Kunden weitergeben können. Investoren haben sich anscheinend damit abgefunden, dass die hohe Inflation in den USA kein rasch vorübergehendes Phänomen ist. Spätestens seit der Veröffentlichung der Oktoberrate von 6,2 Prozent ist klar, dass die Teuerung auch 2022 ein bestimmendes Thema an den Weltbörsen sein wird.
Warum ist Europa anders?
Freilich: Investoren, die sich nun umgehend und undifferenziert auf Kleinunternehmen stürzen wollen, dürfen kurz auf Pause drücken. Für Stirnrunzeln sorgt unter anderem die Tatsache, dass etwa in Europa die beste Maßzahl für das Abschneiden von kleinen Aktien, der MSCI-Europe-Small-Cap-Index, trotz steigender Inflation auf der Stelle tritt. Die Gründe sind vielfältig. Während die USA die Pandemie aktuell im Griff zu haben scheinen, stehen in Teilen Europas Lockdowns an – und diese schaden vor allem Klein- und Mittelbetrieben. Zudem ist die Inflation in der Eurozone mit 4,1 Prozent im Oktober vorerst weniger hoch als in den USA. Zumindest die Europäische Zentralbank versucht im Gegensatz zur US-Notenbank Fed weiterhin die Nachricht zu vermitteln, dass sich die Teuerung alsbald wieder nah des Ziels von zwei Prozent einpendeln könnte.
Eine Rolle spielt auch die Zusammensetzung der Indizes. Der MSCI-Europe-Small-Cap-Index spiegelt in etwa die gleiche Branchenverteilung wie die Gesamtindizes wider, während der S&P 500 in den USA deutlich technologielastiger ist als der Russell 2000. In diesem wiegen klassische Zykliker, also etwa Finanz- oder Industrieunternehmen, schwerer als im S&P 500.
Ein Gutteil ist eingepreist
Das zuletzt gesehene Kursplus des Russell 2000 liegt also nicht nur an der Inflation, sondern auch an der generell besseren Konjunkturaussicht. So hob etwa die Bank JP Morgan nach überraschend positiven Zahlen aus dem Einzelhandel die Wachstumsprognose für die USA vergangene Woche von vier Prozent auf fünf Prozent für das vierte Quartal an.
Man kann es auch so sagen: In den USA ist eine hohe Inflation, verbunden mit einem rasanten Wirtschaftswachstum, nach der Rallye im Russell-2000-Index zumindest zu einem Gutteil bereits eingepreist. Refinitiv erwartet ein durchschnittliches Gewinnplus der in dem Index vertretenen Firmen von mehr als 400 Prozent für das dritte Quartal. Aktien von mittelgroßen Firmen wie der Fast-Food-Kette Shake Shack, dem Reifenhersteller Goodyear oder der Bekleidungsfirma Abercrombie & Fitch verbuchten deshalb zweistellige Kursgewinne. In Europa könnte es bei Papieren von kleineren Firmen deshalb möglicherweise noch mehr Potenzial geben, sofern die Inflation weiter steigt und die erwartbaren Lockdowns das Wirtschaftswachstum nicht allzu sehr abwürgen.
Innovatives Skandinavien
„Der Markt der Small Caps in Europa umfasst flinke und innovative Firmen, die von kleinerem Niveau aus schneller wachsen können“, schrieb der Bostoner Investmentriese Wellington im Sommer in einem Marktkommentar. Demnach ortet Anna Lund n, Fond smanagerin für den Pan European Small Cap Equity Fund vor allem in Skandinavien Chancen, ebenso wie die deutsche Berenberg Bank. Deren Fondsmanager Peter Kraus verwies in einem Interview mit Bloomberg im Oktober auf „schnell wachsende und innovative Firmen“in Schweden. So stellt die Firma Surgical Science Sweden, ein Produzent von medizinischen Geräten, die größte Position in Berenbergs European Small Cap Fund dar.
Kleinere Firmen sind riskanter
Ein Wort zur Vorsicht für den herkömmlichen Anleger: Wer sein Kapital in kleinere Firmen steckt, geht in der Regel ein größeres Risiko ein. Während die Börsenriesen von Dutzenden Experten regelmäßig analysiert und bewertet werden, fehlt diese Transparenz bei Kleinunternehmen. Zudem ist das Volumen geringer, was einen raschen Verkauf bei schlechten Nachrichten erschweren kann. Es lohnt sich daher, nur einen überschaubaren Teil des Portfolios in Small Caps zu stecken.
Indexfonds auf den Russell 2000 in den USA oder den MSCI Small Cap in Europa bieten sich zur Risikostreuung an.