Hohe Aktienkurse sind kein Grund zur Panik
Börsen. Das Jahr ist bisher extrem gut gelaufen. Das sei kein Grund anzunehmen, dass sich eine Blase gebildet habe, die bald platzen müsse, meinen Experten. Zumindest die Vergleiche mit der Vergangenheit zeigen wenig Beunruhigendes.
Wien. Es ist ein Börsenjahr, in dem noch nichts schiefgegangen ist: Spekulanten wie Langfristanleger kamen auf ihre Rechnung. Einzelne Werte wie der angeschlagene Videospiele-Händler Gamestop oder die Kinokette AMC haben sich – angeheizt von Kleinanlegern im Internet – seit Jahresbeginn verzehn- bzw. verzwanzigfacht (dazwischen waren ihre Kurse noch viel höher). Doch auch der gestandene Internetriese Alphabet hat sich um weitere 70 Prozent verteuert. Globale Aktien sind im Schnitt um 20 Prozent gestiegen, österreichische bis dato gar um 34 Prozent. Das Börsenjahr ist bisher fast ohne Korrektur ausgekommen, die Schwankungen sind auf historisch niedrigem Niveau.
Zinserhöhungen nicht schlimm
Das wirft die Frage auf: Kann das so weitergehen oder hat sich bereits eine Blase gebildet, die irgendwann unweigerlich platzt? Zumal es zahlreiche negative Faktoren gibt (Wiederaufflammen der Covid-Krise, Chipmangel, steigende Inflationsraten, möglicherweise bald steigende Zinsen), die sich irgendwann auch in den Börsenkursen niederschlagen könnten.
Der historische Vergleich gibt wenig Anlass zur Besorgnis, meint man bei der Schoellerbank: Immer wenn die US-Notenbank Fed an den Zinszügeln zog, ging die Rallye an den Aktienmärkten zunächst weiter, erst mit der Zeit und bei höheren Zinsen kehrten die Anleger den Aktien den Rücken, stellt Alexander Adrian im jüngsten Analysebrief der Schoellerbank fest. Auch die Tatsache, dass die Aktienmärkte heuer schon gut gelaufen sind, sei kein Hindernis für eine Jahresendrallye: Eine Analyse von Ned Davis zeige, dass es in Jahren, in denen die Kurse bis Ende Oktober um mehr als 20 Prozent gestiegen waren, in den letzten beiden Monaten weitere Anstiege um durchschnittlich sechs Prozent gab.
Die Schoellerbank-Experten sind daher der Ansicht, dass es unabdingbar sei, immer auf dem Aktienmarkt investiert zu sein, um nicht die stärksten Tage an den Börsen oder den Einstieg komplett zu verpassen. Die Investitionsquote sollte aber an die Marktgegebenheiten angepasst sein.
Auch Wolfgang Habermayer, Inhaber und Geschäftsführer der Wiener Merito Financial Solutions, denkt nicht, dass die Märkte insgesamt hoffnungslos überhitzt sind. Zwar sei es unwahrscheinlich, dass Anleihen noch einmal vergleichbare Kursgewinne verzeichneten wie in den vergangenen Jahren. Bei Aktien sehe die Sache aber anders aus. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) befänden sich zwar auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau, doch sei auch das Gewinnwachstum noch kräftig. Betrachte man das KGV auf Basis der Gewinne der folgenden zwölf Monate, seien die Zahlen gar nicht mehr so hoch. Weltweite Aktien im MSCI All Country World Index bringen es auf ein KGV von unter 19. „Das ist nicht wirklich zum Fürchten“, meint Habermayer. Noch billiger sind Aktien aus den Schwellenländern (KGV: 13) oder Großbritannien (12).
Kurse hoch, Gewinne auch
Auf der anderen Seite seien Technologieaktien im Nasdaq mit einem Wert von 29 eher hoch bewertet. Günstiger fahre man mit Banken und Telekomwerten. Das KGV sollte aber nicht das einzige Kriterium bei der Aktienanlage sein. Das Kurspotenzial hänge auch mit dem Gewinnwachstum zusammen. Je niedriger das künftig erwartete KGV, desto günstiger sei eine Aktie. Freilich: Die Zukunft ist natürlich mit Unsicherheit behaftet. Die Empfehlung bleibe dennoch aufrecht, sich weiterhin in Aktien zu engagieren.
Wie hoch die Aktienquote sein sollte, hänge allerdings von drei Faktoren ab: der benötigten Liquidität (wer sein Geld möglicherweise in den nächsten Monaten braucht, sollte es eher nicht in Aktien investieren), dem Anlagehorizont (je länger, desto höher kann die Aktienquote sein) und schließlich der Risikotoleranz. Wenn die zu gering ist, neigten Anleger dazu, zur Unzeit zu verkaufen.
Von der Zinsseite erwartet Habermayer keine allzu großen Verwerfungen. Vieles hänge freilich von der weiteren Entwicklung der Inflation ab. Von der Fiskalseite sei in nächster Zeit aber nicht mehr viel zu erwarten. US-Präsident Joe Biden habe bereits Schwierigkeiten, seine ambitionierten Pläne durchzubringen. Wenn in den nächsten Jahren die weltweit geschnürten Pakete auslaufen, werde sich zeigen, ob die Konjunktur allein stark genug sei, um das zu kompensieren. Angesichts dieser exogenen Faktoren sei ein maßgeschneidertes Portfolio mehr denn je das Gebot der Stunde.