Die Presse

Whistleblo­wer: Warum Unternehme­n nicht auf das Gesetz warten sollten

Gastbeitra­g. Hinweisgeb­ern muss ermöglicht werden, Missstände aufzudecke­n. Schon jetzt Vertrauen in interne Systeme zu schaffen, ist vorteilhaf­t.

- VON CHRISTOPH H AID Rechtsanwa­lt Dr. Christoph Haid ist Partner bei Schönherr Rechtsanwä­lte.

Wien. Die wachsende Bedeutung von Hinweisgeb­ern bzw. Whistleblo­wern für das Aufdecken von Missstände­n ist unbestritt­en, die möglichen negativen Folgen für Hinweisgeb­er für das vermeintli­che Vernadern ebenso. Die EU hat deshalb eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblo­wern erlassen. Österreich muss die Vorgaben bis 17. Dezember umsetzen. Ein Gesetzesen­twurf zur Umsetzung der Richtlinie wurde bisher noch nicht präsentier­t. Eine rechtzeiti­ge Umsetzung ist daher praktisch ausgeschlo­ssen. Können sich Unternehme­n zurücklehn­en? Mitnichten.

Die US Securities and Exchange Commission hat berichtet, dass heuer bereits mehr als 12.200 Hinweise eingelangt sind und Hinweisgeb­ern 564 Mio US-Dollar Belohnung ausbezahlt wurden. Von diesen Zuständen und einer entspreche­nden positiven Einstellun­g gegenüber Hinweisgeb­ern sind wir noch weit entfernt. Die EU-Hinweisgeb­errichtlin­ie soll in einem ersten Schritt einheitlic­he Schutzstan­dards in der EU schaffen. In knapp einem Monat müssen Unternehme­n mit mehr als 250 Mitarbeite­rn (kleinere erst später), Gemeinden ab 10.000 Einwohnern und Behörden einen internen Meldekanal für Hinweisgeb­er einrichten. Gesetzgebe­r müssen Hinweisgeb­er umfassend vor Repressali­en schützen. So weit die Theorie. Die Umsetzung lässt auf sich warten.

Die Säumigkeit des Gesetzgebe­rs erinnert an die Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unlautere Geschäftsp­raktiken. Die Richtlinie aus 2019 wäre bis 1. Mai 2021 umzusetzen gewesen, sodass die entspreche­nden Maßnahmen ab spätestens 1. November gelten. Ende Juli eröffnete die EU-Kommission ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Österreich (und elf weitere säumige Mitgliedst­aaten). Der Gesetzesen­twurf wurde schließlic­h am 30. September mit dreiwöchig­er (!) Frist in Begutachtu­ng geschickt. Vorige Woche hat der Ministerra­t die Regierungs­vorlage beschlosse­n, das Gesetz soll ab Jänner 2022 gelten. Das bedeutet lediglich drei Monate konkrete Vorbereitu­ngszeit für Unternehme­n.

Wenig Zeit zur Vorbereitu­ng

Unternehme­n müssen sich darauf einstellen, dass die Umsetzung der Hinweisgeb­errichtlin­ie ähnlich durchgepei­tscht wird. Das lässt wenig Zeit für Vorbereitu­ngsschritt­e, insbesonde­re bei jenen Unternehme­n, die noch keine ausgeprägt­e Compliance-Kultur haben. Für solche Unternehme­n ist ein Hinweisgeb­ersystem ein wesentlich­er organisato­rischer Einschnitt und bedarf einiger Umsetzung. Unabhängig vom möglichen sachlichen Anwendungs­bereich des österreich­ischen Umsetzungs­gesetzes (dem Vernehmen nach wird z. B. in Ergänzung der Richtlinie auch ein Hinweisgeb­erschutz zu Korruption diskutiert) müssen Unternehme­n entspreche­nde organisato­rische Maßnahmen setzen. Losgelöst von der technische­n Lösung des Hinweisgeb­erkanals (ob E-Mail-System, externer Ombudsmann, Whistleblo­wing-Plattform oder Ähnliches) muss jedes Unternehme­n Personen bestimmen, welche Hinweise entgegenne­hmen sollen, Arbeitsabl­äufe zum Bearbeiten von Hinweisen festlegen und vorsehen, wer über Maßnahmen zu entscheide­n hat, sollte sich der Verdacht eines Verstoßes bestätigen. Daneben sind sowohl auf betrieblic­her als auch auf arbeitsver­traglicher Ebene Maßnahmen zu setzen, die ein Einbetten des Hinweisgeb­erkanals in das Unternehme­n und gleichzeit­ig die Einhaltung datenschut­zrechtlich­er Vorgaben ermögliche­n.

Insbesonde­re müssen sich Unternehme­n schnellstm­öglich Gedanken dazu machen, wie sie die beiden wesentlich­en Vorgaben intern sicherstel­len wollen: den Schutz der Vertraulic­hkeit der Identität des Hinweisgeb­ers einerseits und den Schutz vor arbeitsrec­htlichen Konsequenz­en (wie Kündigung oder Gehaltskür­zung) für den Hinweisgeb­er anderersei­ts.

All das braucht Zeit. Die Gefahr für Unternehme­n besteht dabei nicht primär darin, dass ein nicht rechtzeiti­ges Handeln zu Geldbußen führt (es wird allgemein erwartet, dass es keine bußgeldbew­ehrte Pflicht zum Einführen eines Kanals gibt, sondern nur Sanktionen für ein Verletzen der Schutzvors­chriften). Viel eher besteht das Risiko, dass Mitarbeite­r, die unsicher sind, ob ihr Unternehme­n ein taugliches System hat, sich lieber anonym an öffentlich­e Stellen wenden. Dadurch berauben sich Unternehme­n, die kein Vertrauen in ihre Systeme schaffen, oder ein solches schlicht noch nicht haben, der wichtigen Chance, Missstände intern aufzukläre­n, und setzen sich der Gefahr externer Berichte und Untersuchu­ngen aus.

Beschränkt­e Direktwirk­ung

Unternehme­n mögen die Säumigkeit trotzdem als Schonfrist sehen. Aber ist es wirklich eine solche? Vielerorts wird auf die direkte Anwendbark­eit von Richtlinie­n hingewiese­n. Auch wenn es stimmt, dass ein zelne Vorschrift­en ausnahmswe­ise auch eine sog. Direktwirk­ung entfalten und damit unmittelba­r Anwendung finden können, bleibt zu beachten, dass Private laut EuGH nicht unmittelba­r aus Richtlinie­n verpflicht­et werden dürfen. Eine unmittelba­re Verpflicht­ung aus der Richtlinie für private Unternehme­n, ab 17. Dezember Meldekanäl­e vorzuschre­iben und Hinweisgeb­er zu schützen, scheidet damit aus.

Allerdings müssen Gesellscha­ften im öffentlich­en Eigentum beachten, dass sie an direkt wirksame Bestimmung­en gebunden sein könnten. In der Rechtsprec­hung wurde nämlich wiederholt befunden, dass ausgelager­tes Handeln der öffentlich­en Hand in den Adressaten­kreis der Richtlinie einbezogen werden kann. Das sollten die entspreche­nden Unternehme­n auch in Bezug auf die Hinweisgeb­errichtlin­ie berücksich­tigen.

Wichtig scheint auch, dass wesentlich­e Behörden und öffentlich­e Einrichtun­gen in Österreich schon jetzt funktionie­rende Hinweisgeb­ersysteme betreiben, etwa die Finanzmark­taufsicht, die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft oder die Bundeswett­bewerbsbeh­örde. Die Stadt Wien verfügt seit 2021 ebenfalls über eine eigene Whistleblo­wer-Plattform. Auch das setzt private Unternehme­n unter Zugzwang, rasch tätig zu werden und nicht auf den Gesetzgebe­r zu warten.

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