„Unklar, ob sie frei ist“
Peng Shuai. Videos, in denen die Tennisspielerin zu sehen sein soll, werfen noch mehr Fragen auf.
Peking. Nun also auch Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djoković, außerdem Serena Williams und Naomi Osaka – die bekanntesten Tennisspieler der Welt fordern, beunruhigt ob des Verschwindens von Kollegin Peng Shuai, Antworten von Chinas Kommunistischer Partei. Doch abgesehen von einem offensichtlich gefälschten E-Mail („Ich habe mich nur zu Hause erholt“) und neuerdings zwei SocialMedia-Videos, die Peng angeblich in einem Restaurant und bei der Eröffnung eines Jugendtennisturniers in Peking zeigen sollen, blieb die erhoffte Wirkung noch aus.
Seit die 35-jährige ehemalige Nummer eins der Doppelweltrangliste und zweifache GrandSlam-Siegerin am 2. November auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo detailliert einen sexuellen Übergriff von Zhang Gaoli, Chinas Vizepremier (2013–2018) und Ex-Mitglied des Politbüros, beschrieben hat, ist sie nicht erreichbar. Auch nicht für die Damentennistour WTA und deren Chef Steve Simon, der sich an die Spitze der besorgten Sportwelt stellte. Tag für Tag erneuert er seine Drohung, alle WTA-Turniere in China zu streichen, sollte es keine aus seiner Sicht zufriedenstellenden Ergebnisse geben.
Es geht dabei um elf teilweise hochdotierte Turniere, darunter das Saisonfinale der besten acht Spielerinnen in Shenzen (heuer pandemiebedingt nach Mexiko verlegt). „Wir sind definitiv bereit, unser Geschäft abzuziehen und mit den Komplikationen umzugehen. Diese Sache ist größer als das Geschäft“, erklärte Simon.
„Live in einer Telekonferenz“
Mit den jüngsten Videoclips von Peng, veröffentlicht von Hu Xijin, Chefredakteur von Chinas Staatszeitung „Global Times“, gibt sich die WTA nicht zufrieden. „Es bleibt unklar, ob sie frei ist und ihre eigenen Entscheidungen treffen kann“, sagte Simon. Vielmehr stellte er in einem Schreiben an Chinas Botschafter in den USA zwei Forderungen. „Ich ersuche darum, dass man ihr erlaubt, das Land zu verlassen oder dass sie live in einer Telekonferenz mit mir sprechen kann, ohne dass noch jemand dabei ist, außer es ist von ihr gestattet“, schrieb Simon. Zweitens sei die Anschuldigung eines sexuellen Übergriffs ernst zu nehmen.
Während die Causa längst bei den Vereinten Nationen und im Weißen Haus – US-Präsident Joe Biden zeigt sich „tief beunruhigt“– angekommen ist, schweigt das Internationale Olympische Komitee (IOC). Und das zehn Wochen vor den Winterspielen in Peking. Die Organisation, die über 100.000 Olympia-Athleten vertritt – Peng nahm selbst an drei Spielen teil – erklärte: „Die Erfahrung zeigt, dass stille Diplomatie die besten Möglichkeiten bietet, eine Lösung in solchen Fragen zu finden.“
Das IOC und sein Chef, der deutsche Ex-Fechter Thomas Bach, erntete einen Sturm der Entrüstung. Wieder einmal wurde die Zweigleisigkeit des IOC deutlich. Während es vorgibt, eine nicht staatliche Organisation zu sein, ist es doch ein Geschäftsmodell, das über 90 Prozent seiner Einnahmen aus Übertragungsrechten und Sponsoren geriert. Und dennoch hätte das IOC mit den Winterspielen in Peking das größtmögliche Druckmittel in der Causa Peng Shuai. Die Interessenvertretung Global Athlete schlug etwa vor, das Chinesische Olympische Komitee zu suspendieren bis Pengs Sicherheit garantiert ist.
Ausfall der Spiele?
Ob das IOC Teil der Lösung sein wird, ist fraglich. Immerhin stand auch schon lang vor dem Verschwinden des Tennisstars ein diplomatischer Boykott der PekingSpiele im Raum. Die USA und Großbritannien verstärken nun ihre Überlegungen, angesichts der Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen in China keine diplomatischen Repräsentanten zu senden.
Was die Sorge um Peng Shuai in der Zwischenzeit noch größer werden lässt. Als einer von Chinas größten Sportstars fiel sie bisher vor allem mit politischer Zurückhaltung auf. Gerade dadurch genießt sie mit ihren Vorwür
fen nun eine Glaubwürdigkeit wie sonst kaum eine Frau im Land. Die Kommunistische Partei ist also alarmiert, Chinas Zensur streicht längst jede Debatte über den Fall. Suchen nach ihrem Namen oder nach |MeToo im chinesischen Internet sind geblockt. Das Außenministerium hat offiziell keine Kenntnis. Die Angelegenheit sei „keine diplomatische Frage und ich kenne die Situation nicht“, erklärte ein Ministeriumssprecher.
Zumindest Kanadas IOC-Mitglied Dick Pound hat doch noch das Schweigen seiner Organisation gebrochen. „Wenn dies nicht bald auf sensible Weise gelöst ist, könnte es außer Kontrolle geraten. Ob es bis zu einem Ausfall der Spiele eskalieren könnte, bezweifle ich, aber man weiß nie.“(joe)