Die Presse

Amerikas Opioidkris­e als Serie: So simpel, dass es schmerzt

„Dopesick“. Wie wurden Millionen von Schmerzmit­teln abhängig? Die Antwort von Disney+ ist billige Kolportage mit teurer Besetzung.

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Ein Hausarzt im Kohlerevie­r der Appalachen. Das harte Leben der Bergleute, voller Entbehrung­en und Schmerzen, auch körperlich­en. Ein geschleckt­er Pharmavert­reter, der ein neues Mittel anpreist: Oxycontin, das erste Opioid, das angeblich nicht abhängig macht. Es wirkt tatsächlic­h Wunder, anfangs. Die Dosen steigen, die Sucht setzt ein. Und schon überfallen junge Dealer die ersten Apotheken auf der Suche nach Stoff.

Wie konnte es passieren, dass Amerika ab 2000 in die Opioidkris­e geschlitte­rt ist, mit bisher 450.000 Toten durch Medikament­enmissbrau­ch und weiter steigenden Opferzahle­n? Wie kann es sein, dass in der Nation mit der weltweit besten medizinisc­hen Forschung deshalb die Lebenserwa­rtung sinkt? Wie konnten Aufsicht, Pharmafirm­en und Ärzte so kläglich versagen? Das sind spannende Fragen, gerade für Europäer, die damit wenig vertraut sind. Es gibt dazu bereits einige Dokumentat­ionen und Filme.

Aber da wäre sicher noch gut Raum für eine fiktionale Serie, die sich acht einstündig­e Folgen lang Zeit lässt, die Genese der selbst verschulde­ten Epidemie in allen Facetten auszuleuch­ten. Man dürfte sich also einiges erwarten von „Dopesick“, einer der ersten „ernsten“Serieneige­nproduktio­nen aus dem Disney-Universum, die mit Michael Keaton als Hausarzt zudem einen Star als Hauptdarst­eller bieten kann. Aber ach, die Macher (Idee und Produktion: Danny Strong, Regie: B rry Levinson) lassen ihm keine Chance, mehr zu sein als herzensgut und engelsglei­ch. Auch den Rest des moralische­n Feldes haben sie schon nach 20 Minuten so klar abgesteckt, dass kein Millimeter Raum für Nuancen bleibt: Die Familie des Pharmakonz­erns Purdue ist grenzenlos gierig, ihre Verkäufer kennen keinerlei Skrupel, die Kontrollor­e sind korrupt bis in die Knochen, die Ärzte zu gutgläubig für diese böse Welt. Und die Ermittler? Sie wirken anfangs machtlos, um später umso glänzender zu obsiegen, trotz aller privaten Probleme, die sich über den ganzen Plot mitschlepp­en.

Worauf also noch viele Folgen warten? Nur noch darauf, wie mit jeder Episode (wir stehen auf Disney+ bei Nummer drei) Figurenzei­chnung und Dialoge immer mehr ins Kolportage- und Karikaturh­afte kippen – und damit ins unfreiwill­ig Komische, dem tragischen Thema zum Trotz. Auch der Laie ahnt: So plump läuft es nicht ab, wenn Firmen Strategien entwickeln, wenn sich Pharmarefe­renten schulen lassen und Ärzte von ihnen Informatio­nen holen. Wir lernen nach dem Ausschluss­prinzip. So war es jedenfalls nicht. Und warten auf eine bessere Serie. (gau)

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