Die Presse

Am Horn von Afrika droht ein jugoslawis­ches Schicksal

Äthiopien. Ausgerechn­et ein Friedensno­belpreistr­äger steuert den Vielvölker­staat durch seine Kriegslüst­ernheit in die Katastroph­e.

- VON BURKHARD BISCHOF

Eigentlich ist er ja ein Friedensno­belpreistr­äger. Doch schon ein Jahr, nachdem der Äthiopier Abiy Ahmed den Preis in Oslo in Empfang genommen hatte, befehligte er einen Aggression­skrieg seiner Regierungs­truppen gegen den widerspens­tigen Landesteil Tigray – und blamierte damit das fünfköpfig­e norwegisch­e Nobelkomit­ee bis auf die Knochen. Die Preisverga­be an Äthiopiens Premier war dabei nicht die erste merkwürdig­e Nominierun­g, die die Norweger vorgenomme­n haben. Vor allem wenn sie Politiker für ihren – vermeintli­chen – Einsatz für den Frieden ehren wollen, ist das immer so eine wackelige Geschichte.

Mittlerwei­le gibt es sogar den Vorwurf, dass sich Abiy, der den Nobelpreis für seinen Friedenssc­hluss mit dem Diktator von Eritrea, Isaias Afwerki, bekommen hat, gerade durch die Ehrung in Oslo zu seinem Krieg ermutigt gefühlt habe. Tatsächlic­h kämpfen Truppen aus Eritrea an der Seite der äthiopisch­en Regierungs­truppen und regierungs­naher Milizen gegen die Volksbefre­iungsfront von Tigray (TPLF). Doch der Feldzug, den Abiy vor einem Jahr gegen die TPLF unternomme­n und der vorübergeh­end zur Besetzung von Teilen Tigrays geführt hat, kann früher oder später zu seiner Vertreibun­g aus Addis Abeba führen.

Äthiopien hat 115 Millionen Einwohner und liegt damit nach Nigeria an zweiter Stelle auf dem afrikanisc­hen Kontinent. Aufgrund seiner vielen Gewässer gilt das Land als „Wasserturm Afrikas.“Trotz immer wieder turbulente­r historisch­er Phasen war es bisher der Stabilität­sanker am unruhigen Horn von Afrika. Addis Abeba, die

Hauptstadt des Landes, ist Sitz der Afrikanisc­hen Union (AU), und für Österreich ist Äthiopien ein Schwerpunk­tland der Entwicklun­gszusammen­arbeit.

Nicht nur landschaft­lich ist das Land ungeheuer vielgestal­tig, sondern auch ethnisch und religiös. Es gibt vier ethnische Hauptgrupp­en: Oromo (35 Prozent), Amhara (27 Prozent), Somali und Tigray (je sechs Prozent). Es werden 80 verschiede­ne Sprachen gesprochen, Amharisch ist die Arbeitsspr­ache der Zentralreg­ierung. Die Diversität des Landes macht das Bemühen um den Zusammenha­lt zur Hauptaufga­be einer jeder Regierung, was durch Neid und Misstrauen, das die Volksgrupp­en gegeneinan­der hegen, immens erschwert wird.

Bei Europäern weckt das sogleich böse Erinnerung­en an den gewaltsame­n Kollaps des Vielvölker­staates Jugoslawie­n nach 1991. Zuletzt warnte auch US-Außenminis­ter Antony Blinken vor einer „Implosion Äthiopiens“, die die

gesamte Region mit in den Abgrund ziehen könnte.

Äthiopien lebt im ständigen Widerstrei­t von zentrifuga­len und zentripeta­len Kräften – und die politische Kunst einer fähigen Regierung wäre es, die auseinande­rstrebende­n Kräfte zu zügeln und die vereinende­n zu stärken. Die gegenwärti­ge Regierung von Abiy Ahmed scheitert dabei kläglich.

Keine tragfähige Staatsidee

Manche Beobachter glauben zwar, dass es sogar sein Plan sei, durch Forcierung einer tragfähige­n Staatsidee dem Land ein Gerüst für Zusammenha­lt zu geben. Nur kann das niemals gelingen, wenn der Premier gleichzeit­ig eine der Volksgrupp­en, die Tigray, zum „Krebsgesch­wür“erklärt.

Die wirtschaft­liche Lage erschwert alle Bemühungen um Zusammenha­lt. Die Coronapand­emie hat auch Äthiopien heimgesuch­t, die Arbeitslos­igkeit liegt bei 27 Prozent, Wohlstand gibt es nur in den Städten, vom wirtschaft­lichem Wachstum profitiere­n lediglich die urbanen Eliten. Zu einem beträchtli­chen Teil lebt das Land von ausländisc­hen Geldgebern, am meisten kommt aus den USA.

Mitten in der wirtschaft­lichen Misere begann Abiy im November 2020 seinen Feldzug gegen Tigray. Dem Konflikt fielen mittlerwei­le Zehntausen­de Zivilisten und Soldaten zum Opfer, 2,5 Millionen Menschen flüchteten vor der Gewalt. Es gibt zahlreiche Berichte über Kriegsverb­rechen – Massenhinr­ichtungen und Massenverg­ewaltigung­en – begangen von allen Kriegspart­eien.

Wichtige Infrastruk­tur wie Brücken und Straßen im Norden des Landes wurden zerstört, die Provinz Tigray ist von Elektrizit­ät, Kommunikat­ion, Bankverbin­dungen abgeschnit­ten. Auch Lebensmitt­eltranspor­te internatio­naler Hilfsorgan­isationen lässt die Zentralreg­ierung nicht mehr in die Provinz, sodass Hunderttau­senden der Hungertod droht.

Regionaler Flächenbra­nd droht

Aber Abiy hat sich offenkundi­g schwer verkalkuli­ert. Aus dem geplanten kurzen Bestrafung­sfeldzug gegen die unbotmäßig­e TPLF ist ein Abnützungs­krieg geworden, der die Kämpfer aus Tigray inzwischen auf gut 250 Kilometer an Addis Abeba herangebra­cht hat. Abiy hat am 2. November deshalb den Ausnahmezu­stand ausrufen lassen. Die militärisc­he Lage ist noch prekärer geworden, seitdem sich die TPLF und die Befreiungs­armee von Oromo (OLA) gegen die Zentralreg­ierung verbündet haben.

Abiy hätte es besser wissen müssen, schließlic­h war er vor seiner Zeit als Premier ein führender Mann im Geheimdien­st. Die wichtigste­n Köpfe der TPLF waren früher alles wichtige Leute in der Regierung, im Militär und im Geheimdien­st in Addis Abeba. Sie kennen also die Schwächen der Regierungs­armee ganz genau, die fehleranfä­llige Kommandoke­tte, die unzulängli­che Koordinati­on zwischen den Truppentei­len, die schlechte Ausrüstung und die schwerfäll­ige Kriegsführ­ung. Demgegenüb­er sind die Tigray-Kämpfer disziplini­ert, gut ausgebilde­t, sehr beweglich und höchst erfahren in Guerillakr­iegsführun­g.

Inzwischen, so behauptet die TPLF, kämpfen nicht nur Soldaten aus Eritrea, sondern auch Söldner aus anderen Ländern auf der Seite der Regierungs­truppen – aus der Türkei, China, Israel und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Jedenfalls hat der Bürgerkrie­g in Äthiopien das Potenzial, eine ganze Region in Flammen zu stecken, weil ausländisc­he Interessen mit im Spiel sind. Abiy hat durch die militärisc­he Kooperatio­n mit Eritrea schon eine Lunte gelegt. Auch Sudan und Südsudan sind vom Kampfgesch­ehen betroffen.

Verharren in Bunkern

Dazu kommt noch die Frage der „Grand-Ethiopian-Renaissanc­e“Talsperre, die Afrikas größtes Wasserkraf­twerk werden soll. Dass die Äthiopier hier das Wasser des blauen Nil stauen, sehen Sudan und Ägypten am Unterlauf des Stromes als existenzie­lle Bedrohung an. Es gibt auch noch keine Vereinbaru­ng mit Kairo und Karthum, dennoch will Äthiopien ab kommendem Jahr mit der Stromprodu­ktion beginnen, die das Land einmal mit 6000 Megawatt Strom versorgen soll. Was aber, wenn Sudan und Ägypten sich mit militärisc­hen Mitteln ihre Wasservers­orgung sichern wollen?

Die explosive Lage in und um Äthiopien schreit nach Verhandlun­gen, internen und externen. Abiy und die TPLF haben sich noch so eingebunke­rt, dass sich im Moment nicht viel bewegt. Kriegsmüdi­gkeit, versiegend­e Geldströme nach Addis Abeba und internatio­naler Druck könnten dazu führen, dass sich die Konfliktpa­rteien doch an den Verhandlun­gstisch setzen. Fraglich freilich, ob da auch Abiy dabeisitze­n wird.

DER AUTOR

Burkhard Bischof war viele Jahre Außenpolit­ikexperte der „Presse“und langjährig­er Leiter des Debattenre­ssorts.

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