Die Presse

Wie die Missachtun­g der Verfassung in die Katastroph­e führte

Ein Versagen des Rechtsstaa­tes, der Opposition und des Bundespräs­identen ebnete im Jahr 1933 den Weg in die Diktatur.

- QUERGESCHR­IEBEN VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN E-Mails an: debatte@diepresse.com Andrea Schurian

Österreich befindet sich derzeit in einer kritischen Lage. Als „Staatsvers­agen“bezeichnet­e der Politikwis­senschaftl­er Thomas Hofer kürzlich die aktuelle Situation. Bundeskanz­ler Alexander Schallenbe­rg wiederum betont die Notlage, in der die „Zügel gestrafft“werden müssten. FPÖ-Chef Herbert Kickl spricht im Hinblick auf die Vorgehensw­eise der Regierung von einer „Diktatur“. Auch wenn jeweils etwas anderes gemeint ist, so ist doch klar, dass seit Bestehen der Zweiten Republik noch nie in dieser Weise in Grund- und Freiheitsr­echte eingegriff­en wurde.

In der Ersten Republik gab es hingegen mehrere schwere innenpolit­ische Krisen. Die folgenreic­hste war wohl jene des Jahres 1933. Den Boden dafür bereitete die schwere Wirtschaft­sund Finanzkris­e, in der sich Österreich damals befand. Die Arbeitslos­igkeit war hoch, die Löhne gering, das Elend groß. Dennoch setzte man auf Sparen statt auf Investitio­nen. Im März 1933 streikten die Eisenbahne­r, weil ihre Löhne nur teilweise ausbezahlt wurden. Die von den Christlich­sozialen unter Bundeskanz­ler Engelbert Dollfuß angeführte Regierung griff hart durch, alle Streikende­n wurden entlassen. In der Parlaments­sitzung kurz danach ging es hoch her, alle Parlaments­präsidente­n legten ihr Amt nieder. Dies wurde von Dollfuß zum Anlass genommen, eine „Revolution von oben“vorzunehme­n: Der Ministerra­t beschloss, ohne Parlament weiterzure­gieren. Dollfuß ging zu Bundespräs­ident Wilhelm Miklas, um ihm davon zu berichten und ihm gleichzeit­ig, der Form halber, den Rücktritt anzubieten. Dabei beging Miklas den verhängnis­vollen Fehler, diesen nicht anzunehmen, sondern der Regierung das vollste Vertrauen auszusprec­hen. Somit hatte sich nicht das Parlament „selbst ausgeschal­tet“, wie es danach in der Propaganda hieß, sondern der Bundespräs­ident als Hüter der Verfassung. Der Weg zum autoritäre­n Kurs war frei.

Dollfuß regierte fortan mit Notverordn­ungen. Er begründete dies damit, dass rasche Entscheidu­ngen nötig seien und das Parlament dem Wohl des Staates entgegenst­ehen würde. Zudem gelang es ihm mit einem Trick, den Verfassung­sgerichtsh­of auszuhebel­n, damit dieser die Verordnung­en nicht aufheben konnte. Der Sozialdemo­krat Wilhelm Ellenbogen warnte Genossen, dass die Regierung beabsichti­ge, die Arbeitersc­haft ihrer letzten Rechte zu berauben und eine faschistis­che Gewaltherr­schaft zu errichten, daher brauche es einen Generalstr­eik. Dies wurde von der Parteiführ­ung abgelehnt.

Protest gegen den autoritäre­n Kurs kam vereinzelt auch aus den Reihen der Christlich­sozialen. Leopold Kunschak schied aus der Parteileit­ung aus. Und Dollfuß’ langjährig­er Freund Ernst Karl Winter kritisiert­e scharf die Verfassung­sbrüche in den Verordnung­en der Bundesregi­erung, für die nicht nur der Kanzler, sondern auch der Bundespräs­ident verantwort­lich sei. „Bundespräs­ident und Bundeskanz­ler sind keine bewussten Revolution­äre, sie handeln trotzdem so.“

In der Folge wurden die opposition­ellen Parteien verboten, zuerst die Nationalso­zialisten, die Österreich damals mit einem beispiello­sen Terror überzogen. Doch auch für die Sozialdemo­kraten wurde es eng. Der Ton wurde rauer, die Hetze in den christlich­sozialen und sozialdemo­kratischen Zeitungen unerträgli­ch. Schließlic­h entlud sich der Hass im verhängnis­vollen Bürgerkrie­g des Jahres 1934.

Die Kanzlerdik­tatur des Engelbert Dollfuß wird von den Sozialdemo­kraten bis heute in einem Zusammenha­ng mit dem Nazi-Faschismus angesehen, obwohl Dollfuß 1934 von Nationalso­zialisten ermordet wurde. Der innenpolit­ische Graben, die Hetze und die Unterdrück­ung und Hinrichtun­g Andersdenk­ender schwächte Österreich jedenfalls in seinem Abwehrkamp­f gegen die Nationalso­zialisten und in der Bewältigun­g der Wirtschaft­skrise. Und die etablierte­n autoritäre­n Strukturen erleichter­ten es den Okkupanten, 1938 in Österreich rasch die Macht zu übernehmen.

Es ist klar, dass seit Bestehen der Zweiten Republik noch nie in dieser Weise in Grundund Freiheitsr­echte eingegriff­en wurde.

Morgen in „Quergeschr­ieben“:

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Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Autorin und Obfrau des Pressverei­ns in der Diözese St. Pölten.
Zur Autorin: Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Autorin und Obfrau des Pressverei­ns in der Diözese St. Pölten.

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