Das Dilemma der Notenbanken
Geldpolitik. Während die Bank of England die Zinsen angehoben hat, lässt sich die Europäische Zentralbank wie erwartet Zeit damit. Das ist riskant, auch wenn die Märkte erleichtert reagieren.
Wien. Die Zeit der Zinserhöhungen hat begonnen, wenn auch noch nicht in der Eurozone: Die Bank of England (BoE) hat am Donnerstag überraschend ihren Leitzins von 0,1 auf 0,25 Prozent angehoben. Sie war die erste der großen Zentralbanken weltweit, die nach der Coronakrise einen solchen Schritt setzte. Hintergrund ist die Inflation, die in Großbritannien wegen steigender Energiepreise und Lieferschwierigkeiten zuletzt auf 5,1 Prozent geklettert ist.
In der Eurozone betrug die Teuerungsrate im November 4,9 Prozent. Für die Europäische Zentralbank (EZB) war das vorerst aber kein Anlass, die Zinsen anzuheben. Sie beließ den Leitzins am Donnerstag wie erwartet bei null Prozent, kündigte jedoch an, im März 2022 ihr billionenschweres Anleihenkaufprogramm (PEPP) beenden zu wollen. Fällige Tilgungsbeträge werden aber noch bis Ende 2024 reinvestiert, und ein kleineres Anleihenkaufprogramm namens APP soll weiterlaufen und anfangs sogar erhöht werden. Der Geldhahn wird nicht so schnell zugedreht. Die Börsen reagierten erleichtert.
Drei Erhöhungen in den USA
Auch die US-Notenbank Fed hat am Mittwochabend die Zinsen, die derzeit in der Spanne zwischen null und 0,25 Prozent liegen, unverändert belassen. Zugleich hat sie aber signalisiert, dass es nächstes Jahr drei Zinserhöhungen geben soll. Die Teuerung in den USA ist im November auf 6,8 Prozent im Jahresvergleich geklettert. Gründe sind auch dort der Nachholbedarf, die Lieferengpässe, aber auch das milliardenschwere Konjunkturpaket der Regierung Biden.
Die hohe Inflationsrate würde für baldige Zinserhöhungen sprechen. Doch eine zu rasche Anhebung der Zinsen könnte die Konjunktur bremsen. Und für die sind die Währungshüter nicht mehr ganz so optimistisch: Sie erwarten heuer in den USA nur noch ein Wachstum von 5,5 Prozent, im Juni war man von sieben Prozent ausgegangen.
Die EZB steht grundsätzlich vor dem gleichen Problem. Auf der einen Seite droht die Omikron-Variante des Coronavirus die Konjunktur zu bremsen. Auf der anderen Seite steigt die Inflation rasant. Für nächstes Jahr sagt die EZB eine Teuerungsrate von 3,2 Prozent voraus. Im September war sie noch von 1,7 Prozent ausgegangen. EZBChefin Christine Lagarde hält die starke Teuerung noch immer für ein vorübergehendes Phänomen: „Die Inflation dürfte kurzfristig hoch bleiben, aber sich im Laufe des kommenden Jahres abschwächen.“
Ein Teil des starken Anstiegs ist wohl temporär, weil die Preise im Vorjahr krisenbedingt sehr niedrig waren und die Inflation im Jahresabstand gemessen wird. Die jüngsten Anstiege nähren jedoch die Befürchtungen jener, die glauben, dass die Zeit sehr niedriger Teuerungsraten vorbei ist.
Staaten als Inflationsprofiteure
Nutznießer steigender Inflation sind Staaten, die mehr Steuern einnehmen, während ihre Schulden weginflationiert werden. Zu den Profiteuren zählen auch Menschen, die schon vorher viele Sachwerte hatten, also reich waren. Sie werden noch reicher, weil Anleger in Sachwerte ausweichen und deren Preise in die Höhe treiben. Wer hingegen in einem solchen Umfeld erst eine Wohnung kaufen will, erhält zwar unter Umständen einen günstigen Kredit, das macht aber die höheren Preise oft nicht wett. Sobald auch die Verbraucherpreise steigen, ist das unangenehm für alle Konsumenten. Je geringer ihr Einkommen ist und je größer der Anteil, den sie in den Konsum stecken müssen, umso schwerer wiegen hohe Inflationsraten.
Überhitzung oder Schock
Höhere Zinsen nützen Sparern (sofern auch die Realzinsen positiv sind) und Banken, weil in einem solchen Umfeld die Differenz zwischen Kredit- und Sparzinsen wächst. Für Staaten und Firmen sind sie unerfreulich. Doch können sie Überhitzung und starker Teuerung vorbeugen. Das Dilemma: Zu abrupte oder starke Zinserhöhungen könnten die Erholung abwürgen. Doch mit dem ersten Schritt so lang zu warten, bis dieser wirklich groß ausfallen muss, könnte erst recht zu Schocks an den Märkten führen.