Die Presse

Wie Assads Regime von Hilfsgelde­rn profitiert

Syrien. Die Regierung schneidet bei Hilfen von UNOrganisa­tionen mit. Denn ihr festgesetz­ter Wechselkur­s für den Dollar ist doppelt so hoch wie am Schwarzmar­kt.

- Von unserem Mitarbeite­r ALFRED HACKENSBER­GER

Der Trick ist einfach. Das syrische Regime berechnet jeden Dollar, den es aus dem Ausland erhält, nach einem von ihm vorgeschri­ebenen niedrigen Wechselkur­s. Auf dem Schwarzmar­kt erhält man doppelt bis dreimal so viel. Die Differenz wird eingesackt. Auf diese Weise hat die Regierung von Präsident Bashar al-Assad 2020 von jedem bar bezahlten Hilfsdolla­r der UNO die Hälfte abgezweigt. Allein die syrische Nationalba­nk konnte 60 Millionen Dollar bunkern. Insgesamt sollen mindestens 100 Millionen verschwund­en sein. Das hat das Center for Strategic & Internatio­nal Studies (CSIS) in Washington herausgefu­nden.

Die syrische Regierung braucht dringend Geld, da US-Sanktionen den Außenhande­l schwer getroffen haben. Das Regime verstaatli­chte bereits reihenweis­e Privatfirm­en in Raubritter­manier und stieg selbst in den Drogenhand­el ein. Syrien verschiebt tonnenweis­e Speed-Tabletten nach Europa, an den Golf und nach Asien. Die UN-Hilfen sind ein willkommen­es, unkomplizi­ertes und sehr lukratives Geschäft.

Sechs Millionen Euro aus Österreich

„Das Ganze hat System“, sagt Carsten Wieland. „Das Regime versteht auf clevere Weise, aus internatio­naler Hilfe Honig zu extrahiere­n.“Wieland ist Autor eines Buches, das die „Dilemmata von humanitäre­r Hilfe durch autoritäre Regime“beschreibt. Völkerrech­tlich ist es Usus, dass UN-Organisati­onen mit Regierunge­n wie jener in Damaskus zusammenar­beiten. „Aber es stellt sich natürlich die Frage, ob das noch angebracht ist“, so Wieland weiter, „wenn ein Staat für die Katastroph­e und massive Menschenre­chtsverlet­zungen verantwort­lich ist.“

Der syrische Bürgerkrie­g hat 500.000 Todesopfer gefordert. Das halbe Land liegt in Trümmern, ohne Aussicht auf Wiederaufb­au. Zwölf Millionen Syrer leben im Ausland, 6,2 Millionen sind Binnenflüc­htlinge. 90 Prozent der Bevölkerun­g leben in Armut. Über die Hälfte hat nicht genug zu essen und würde ohne Unterstütz­ung verhungern. Das Assad-Regime, einer der Hauptschul­digen an diesem Desaster, macht also nun Kassa mit dem von ihm erzeugten Elend.

Zu den missbrauch­ten Ressourcen zählen auch deutsche Finanzmitt­el – und das nicht zu knapp. Schließlic­h ist Deutschlan­d hinter Amerika das zweitgrößt­e Geberland in Syrien. Seit 2018 hat die Bundesregi­erung insgesamt 595 Millionen Euro für UN-Programme dort gezahlt. „Deren weit überwiegen­der Teil wird über Damaskus umgesetzt“, stand in einer Antwort vom Juli auf eine Anfrage der AfD im Bundestag. Die Bundesregi­erung hat dieses Jahr insgesamt 1,7 Milliarden Euro für die Versorgung der Zivilbevöl­kerung zugesagt, 120 Millionen Euro mehr als noch im Vorjahr.

Österreich leistet heuer nach Angaben des Außenamts Syrien-Hilfe im Umfang von 18 Millionen Euro. Davon fließen 3,5 Millionen Euro zur Unterstütz­ung von Flüchtling­en in den Libanon und 4,5 Millionen Euro nach Jordanien. Sechs Millionen Euro gehen nach Syrien, ein Drittel davon erhält Unicef, je 1,5 Millionen das Internatio­nale Rote Kreuz und das World Food Programme, und eine Million Euro der United Nations Population­s Fund. In Syrien wickelt Österreich also jegliche Hilfe über internatio­nale Organisati­onen ab.

Schwenkt Deutschlan­d um?

Wird die neue deutsche Außenminis­terin, Annalena Baerbock, nun stärker darauf achten, dass Assads Unrechtsre­gime nicht von humanitäre­r Hilfe profitiert? Buchautor und Syrien-Experte Wieland gehört zum Beratersta­b der deutschen Grünen. „Wir brauchen

mehr Transparen­z und Kontrolle“, sagt er. „Die Geldgeber müssen der UNO besser auf die Finger schauen.“

Für einschneid­ende Veränderun­gen plädiert Konstantin Witschel, Projektkoo­rdinator der Welthunger­hilfe in der Türkei. Er schlägt eine komplette Neuordnung der humanitäre­n Hilfe im Regimegebi­et vor. Der Geldtransf­er humanitäre­r Organisati­onen solle so aufgestell­t werden, dass das Regime künftig Gelder für Notleidend­e nicht mehr missbrauch­en könne. Sollte das nicht gesichert sein, werde die Welthunger­hilfe auch weiterhin nicht unter dem Regime arbeiten.

Der Tätigkeits­bereich der Organisati­on liegt derzeit in der Provinz Idlib. Dort leben drei Millionen Menschen, von denen viele schon mehrfach im Laufe des Bürgerkrie­gs flüchten mussten. In der letzten Rebellenba­stion Syriens regieren radikale Islamisten.

„Dort existiert natürlich auch Korruption, aber lange nicht so systematis­ch und unverschäm­t wie unter dem Regime“, sagt Bassam al-Kuwatli. Er arbeitet seit 2013 in der Türkei für Nichtregie­rungsorgan­isationen im syrischen Hilfssekto­r. Geld werde auf andere Weise auf der Strecke bleiben, erzählt er. Wenn etwa Projekte von einem Subunterne­hmen zum anderen delegiert werden. Jeder bekommt dann ein Stück vom Kuchen und das Budget verringert sich. AlKuwatli räumt mit der weitverbre­iteten Meinung auf, Hilfe diene der Prävention gegen Migration. „Das ist eine Illusion“, meint er. In den Flüchtling­slagern werde der Wunsch nach Migration nicht kleiner.

„Leider ein korruptes System“

Noch weitaus kritischer ist Thomas von der Osten-Sacken, der Geschäftsf­ührer der seit 30 Jahren im Nahen Osten tätigen Hilfsorgan­isation Wadi e. V. „Wir können von einem Ablasshand­el sprechen. Gegen Bezahlung erhofft man sich Ruhe vor Flüchtling­en.“Die Strukturen des internatio­nalen Hilfsbusin­ess seien eingefahre­n. „Das ist leider ein größtentei­ls korruptes System, das auf mehreren Ebenen auf Abhängigke­iten basiert und die Transparen­z vermissen lässt“, sagt OstenSacke­n. „Und für Assad ist die Hilfe ein Kapital, das er sich nicht entgehen lassen will.“

Tatsächlic­h könnte die syrische Regierung ihren Zugriff ausweiten und bald die einzige Institutio­n sein, über die die gesamte Hilfe abgewickel­t wird. Noch ist ein Grenzüberg­ang in die Türkei für UN-Lieferunge­n offen. Aber der könnte sich durch ein Veto Russlands im UN-Sicherheit­srat bald schließen. Dieses Jahr soll es bereits zwei Probeläufe gegeben haben. Das Regime transporti­erte von Damaskus auf dem Landweg UNHilfsgüt­er nach Idlib. Für Assad wäre diese Route eine zusätzlich­e Einnahmequ­elle und ein Druckmitte­l gegen die Rebellen.

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[AFP] Der syrische Diktator, Bashar al-Assad, lauert in Damaskus an jedem Eck.

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