Wie Assads Regime von Hilfsgeldern profitiert
Syrien. Die Regierung schneidet bei Hilfen von UNOrganisationen mit. Denn ihr festgesetzter Wechselkurs für den Dollar ist doppelt so hoch wie am Schwarzmarkt.
Der Trick ist einfach. Das syrische Regime berechnet jeden Dollar, den es aus dem Ausland erhält, nach einem von ihm vorgeschriebenen niedrigen Wechselkurs. Auf dem Schwarzmarkt erhält man doppelt bis dreimal so viel. Die Differenz wird eingesackt. Auf diese Weise hat die Regierung von Präsident Bashar al-Assad 2020 von jedem bar bezahlten Hilfsdollar der UNO die Hälfte abgezweigt. Allein die syrische Nationalbank konnte 60 Millionen Dollar bunkern. Insgesamt sollen mindestens 100 Millionen verschwunden sein. Das hat das Center for Strategic & International Studies (CSIS) in Washington herausgefunden.
Die syrische Regierung braucht dringend Geld, da US-Sanktionen den Außenhandel schwer getroffen haben. Das Regime verstaatlichte bereits reihenweise Privatfirmen in Raubrittermanier und stieg selbst in den Drogenhandel ein. Syrien verschiebt tonnenweise Speed-Tabletten nach Europa, an den Golf und nach Asien. Die UN-Hilfen sind ein willkommenes, unkompliziertes und sehr lukratives Geschäft.
Sechs Millionen Euro aus Österreich
„Das Ganze hat System“, sagt Carsten Wieland. „Das Regime versteht auf clevere Weise, aus internationaler Hilfe Honig zu extrahieren.“Wieland ist Autor eines Buches, das die „Dilemmata von humanitärer Hilfe durch autoritäre Regime“beschreibt. Völkerrechtlich ist es Usus, dass UN-Organisationen mit Regierungen wie jener in Damaskus zusammenarbeiten. „Aber es stellt sich natürlich die Frage, ob das noch angebracht ist“, so Wieland weiter, „wenn ein Staat für die Katastrophe und massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist.“
Der syrische Bürgerkrieg hat 500.000 Todesopfer gefordert. Das halbe Land liegt in Trümmern, ohne Aussicht auf Wiederaufbau. Zwölf Millionen Syrer leben im Ausland, 6,2 Millionen sind Binnenflüchtlinge. 90 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Über die Hälfte hat nicht genug zu essen und würde ohne Unterstützung verhungern. Das Assad-Regime, einer der Hauptschuldigen an diesem Desaster, macht also nun Kassa mit dem von ihm erzeugten Elend.
Zu den missbrauchten Ressourcen zählen auch deutsche Finanzmittel – und das nicht zu knapp. Schließlich ist Deutschland hinter Amerika das zweitgrößte Geberland in Syrien. Seit 2018 hat die Bundesregierung insgesamt 595 Millionen Euro für UN-Programme dort gezahlt. „Deren weit überwiegender Teil wird über Damaskus umgesetzt“, stand in einer Antwort vom Juli auf eine Anfrage der AfD im Bundestag. Die Bundesregierung hat dieses Jahr insgesamt 1,7 Milliarden Euro für die Versorgung der Zivilbevölkerung zugesagt, 120 Millionen Euro mehr als noch im Vorjahr.
Österreich leistet heuer nach Angaben des Außenamts Syrien-Hilfe im Umfang von 18 Millionen Euro. Davon fließen 3,5 Millionen Euro zur Unterstützung von Flüchtlingen in den Libanon und 4,5 Millionen Euro nach Jordanien. Sechs Millionen Euro gehen nach Syrien, ein Drittel davon erhält Unicef, je 1,5 Millionen das Internationale Rote Kreuz und das World Food Programme, und eine Million Euro der United Nations Populations Fund. In Syrien wickelt Österreich also jegliche Hilfe über internationale Organisationen ab.
Schwenkt Deutschland um?
Wird die neue deutsche Außenministerin, Annalena Baerbock, nun stärker darauf achten, dass Assads Unrechtsregime nicht von humanitärer Hilfe profitiert? Buchautor und Syrien-Experte Wieland gehört zum Beraterstab der deutschen Grünen. „Wir brauchen
mehr Transparenz und Kontrolle“, sagt er. „Die Geldgeber müssen der UNO besser auf die Finger schauen.“
Für einschneidende Veränderungen plädiert Konstantin Witschel, Projektkoordinator der Welthungerhilfe in der Türkei. Er schlägt eine komplette Neuordnung der humanitären Hilfe im Regimegebiet vor. Der Geldtransfer humanitärer Organisationen solle so aufgestellt werden, dass das Regime künftig Gelder für Notleidende nicht mehr missbrauchen könne. Sollte das nicht gesichert sein, werde die Welthungerhilfe auch weiterhin nicht unter dem Regime arbeiten.
Der Tätigkeitsbereich der Organisation liegt derzeit in der Provinz Idlib. Dort leben drei Millionen Menschen, von denen viele schon mehrfach im Laufe des Bürgerkriegs flüchten mussten. In der letzten Rebellenbastion Syriens regieren radikale Islamisten.
„Dort existiert natürlich auch Korruption, aber lange nicht so systematisch und unverschämt wie unter dem Regime“, sagt Bassam al-Kuwatli. Er arbeitet seit 2013 in der Türkei für Nichtregierungsorganisationen im syrischen Hilfssektor. Geld werde auf andere Weise auf der Strecke bleiben, erzählt er. Wenn etwa Projekte von einem Subunternehmen zum anderen delegiert werden. Jeder bekommt dann ein Stück vom Kuchen und das Budget verringert sich. AlKuwatli räumt mit der weitverbreiteten Meinung auf, Hilfe diene der Prävention gegen Migration. „Das ist eine Illusion“, meint er. In den Flüchtlingslagern werde der Wunsch nach Migration nicht kleiner.
„Leider ein korruptes System“
Noch weitaus kritischer ist Thomas von der Osten-Sacken, der Geschäftsführer der seit 30 Jahren im Nahen Osten tätigen Hilfsorganisation Wadi e. V. „Wir können von einem Ablasshandel sprechen. Gegen Bezahlung erhofft man sich Ruhe vor Flüchtlingen.“Die Strukturen des internationalen Hilfsbusiness seien eingefahren. „Das ist leider ein größtenteils korruptes System, das auf mehreren Ebenen auf Abhängigkeiten basiert und die Transparenz vermissen lässt“, sagt OstenSacken. „Und für Assad ist die Hilfe ein Kapital, das er sich nicht entgehen lassen will.“
Tatsächlich könnte die syrische Regierung ihren Zugriff ausweiten und bald die einzige Institution sein, über die die gesamte Hilfe abgewickelt wird. Noch ist ein Grenzübergang in die Türkei für UN-Lieferungen offen. Aber der könnte sich durch ein Veto Russlands im UN-Sicherheitsrat bald schließen. Dieses Jahr soll es bereits zwei Probeläufe gegeben haben. Das Regime transportierte von Damaskus auf dem Landweg UNHilfsgüter nach Idlib. Für Assad wäre diese Route eine zusätzliche Einnahmequelle und ein Druckmittel gegen die Rebellen.