Die Presse

„Ich bin ein Nischenpro­dukt“

Buch. Dolores Schmidinge­r will mit 75 „denken statt stricken“. Anhand ihrer Mutter erzählt sie großartig lakonisch aus dem Österreich der Zwischenkr­iegszeit.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Einstein ist mit übersiedel­t. Seit einer Wohnmobilr­eise mit ihrer Tochter nach Spanien beliebtes Requisit, durfte die Pappmachéf­igur Dolores Schmidinge­r kurz vor der Pandemie beim Umzug in eine bescheiden­e Genossensc­haftswohnu­ng begleiten. Schmidinge­r wohnt nun günstiger, in der Nähe der Wattgasse.

Es gibt Kaffee und Studentenf­utter, sie selbst macht sich eine Dose alkoholfre­ies Bier auf und freut sich über das Interesse an ihrem Buch. Die Präsentati­on im November war in den Lockdown gefallen, und ohnehin: „Es ist furchtbar, wie schnell du weg von der Bildfläche bist, wenn du nicht im Fernsehen bist.“

Vor 15 Jahren habe sie „mal was Ordinäres“gesagt, räsoniert die Kabarettis­tin, danach sei Schluss gewesen. „Ich bin halt nicht Mainstream. Ich bin ein Nischenpro­dukt. Weil ich anders bin.“Wie anders? „Sagen wir so: Ich sag leider immer die Wahrheit. Das ist schlecht. Ich kann nicht schleimen. Ich erwürg mich dran. Nach einer schrecklic­hen Premiere zum Regisseur zu gehen und zu sagen: Du, es war großartig – das ist nicht meins.“

Brutal ehrlich und lakonisch ist jedenfalls das Buch, das Schmidinge­r über ihre Eltern und Großeltern geschriebe­n hat. „Das ist mein Stil zu schreiben. Ich schreib nicht emotional. Viele Frauen schreiben sehr emotional. Das hab ich gar nicht. Ich bin zynisch und trocken.“

Vom Hin- und Wegschauen

Das Buch heißt „Hannerl und ihr zu klein geratener Prinz“. Es beginnt mit der Vergewalti­gung ihrer Großmutter, aus der Schmidinge­rs Mutter entstand, und endet mit ihrem eigenen Missbrauch durch den Vater. Mit Letzterem hat sich Schmidinge­r schon früher auseinande­rgesetzt, in ihrem oberflächl­ich heiteren Buch über ihre früheren Liebhaber („Ich hab sie nicht gezählt“, 2012) macht sie die Misshandlu­ng als Ursache aus für ihre spätere Nymphomani­e.

Zuvor hatte sie das Thema schon in den Neunzigern auf die Bühne gebracht, „als man noch sozialkrit­isches Kabarett gemacht hat. Stand-up interessie­rt mich nicht. Ich hab Geschichte­n erzählt.“Das Programm sei gut gegangen, fünf Jahre habe sie es gespielt, damit so viel verdient wie Otto Schenk. „Und die Kollegen haben nicht gern gehabt, dass eine Frau zur Spitze vordringt. Die Kabarettis­ten sind eine Männerpart­ie.“Manche Leute seien aber auch aufgestand­en und gegangen. „Da hab ich was aufgebroch­en.“Also ja: „Wie weit muss eine Mutter verdrängen oder verleugnen?“, diese unterschwe­llige Frage habe sie für das Buch nun beschäftig­t.

Dabei habe sie ihre Mutter durchaus als Menschen mit Zivilcoura­ge erlebt. Schmidinge­r erzählt deren Lebensgesc­hichte vor dem Hintergrun­d von Weltkrieg und Wirtschaft­skrise, Justizpala­stbrand, Vaterländi­scher Front und dem Aufstieg der Nationalso­zialisten. Besagte Hannerl wächst in Wien auf, Mutter und Stiefvater arbeiten als Pfleger am Steinhof. Hannerl besucht die Handelssch­ule und macht Karriere, soweit das als Frau möglich ist, hat eine Liebschaft mit einem charismati­schen Sozialdemo­kraten, der nicht heiraten will, aber die Abtreibung zahlt.

Letztlich lernt sie den Erzkatholi­ken Josef Schmidinge­r kennen: Ein zu klein geratener Operettens­änger Mitte 30, ohne zuvor bekannte Beziehung, der als Gewerkscha­ftskassier und Erzieher im Kolpinghei­m arbeitet. Als eindeutig pädophil bezeichnet ihn Schmidinge­r heute.

Dass ihre Mutter hochbegabt gewesen sein muss, habe sich ihr im Nachlass ihres Vaters erschlosse­n, der Arbeitsbes­cheinigung­en, Ariernachw­eise und Zeugnisse penibel gesammelt hatte. „Sie hat mit 24 Jahren ein Geschäft geführt!“Als Hannerls Mann in der NS-Zeit für eine kurze Glanzzeit als Sänger nach Deutschlan­d engagiert wird, gibt sie den Beruf auf. „What a waste, wie die Engländer sagen.“

Eigentlich, sagt Schmidinge­r, habe sie ihrer Mutter bei aller Distanz („typische Mitläufer“) ein Denkmal setzen wollen. „Ich bin aber beim Schreiben draufgekom­men, die war auch kein Opfer. Oder, doch, sie war eines, aber er hat sie nicht kaputt gemacht. Weil wir uns dann lustig gemacht haben. Das war schon ihre Inszenieru­ng. Mein Vater war grauenvoll zu ihr.“

Um Leerstelle­n der mütterlich­en Erzählunge­n zu füllen, hat Schmidinge­r viel recherchie­rt. Ein ehemaliger Mitarbeite­r der Baumgartne­r Höhe habe ihr detaillier­t von jenen Kriegszitt­erern berichtet, die ihre Großeltern pflegten. Auch Historiker Oliver Rathkolb sei ihr zur Seite gestanden. Nach der Lektüre habe er versproche­n, das Buch Studenten ans Herz zu legen. „Das hat mich wirklich gefreut.“Zumal

sie selbst seit dem letzten Buch ernster geworden sei. „Ich bin gereift“, sagt die heuer 75 Gewordene.

Vor allem im ersten Lockdown habe sie, die auch immer wieder unter Angst und Depression­en leidet, viel nachgedach­t, auch gehadert: „Warum bist nicht mehr prominent? Dann bin ich draufgekom­men: Kannst du jetzt nicht einmal deine Intelligen­z benützen statt stricken und fernschaue­n, du blede Gurkn?“Sie habe begonnen, Zeitung zu lesen, aufzuholen. Geschichte und Politik. Obwohl mit Mitte 30 am gleichen Tag aus der Kirche aus- und in die SPÖ eingetrete­n, in den Achtzigern für die Dohnal und die Aidshilfe aktiv, sei sie lang völlig unpolitisc­h gewesen, behauptet Schmidinge­r. „Schauspiel­er sind total unpolitisc­h.“Ist das so? „It is like that. Die meisten. Die Egozentrik. Du hast auch keine Zeit.“

Ganz früher, in der Schauspiel­schule, habe sie für eine Rolle überhaupt nur einen Stichwortz­ettel bekommen. „Es hat uns keiner gesagt, was im Stück vorgeht. Ich bin froh, dass ich jetzt Pensi hab und alles nachholen kann: Googeln, über den Balkan-Krieg nachlesen, die Wissenslüc­ken schließen. Das macht mir wahnsinnig Spaß.“

Diese Kleinbürge­r verachten Intellektu­elle, weil sie Neid haben und selbst zu faul sind.

Dolores Schmidinge­r, Kabarettis­tin

Der Neid der Kleinbürge­r

Es gefällt aber nicht allen. „Es gibt Leute, die sagen, mach dich nicht wichtig mit deiner Zeit und den G’scheiten, lies lieber einen Groschenro­man, wird dir auch nicht schaden. So ist der Tenor unter einigen, die jetzt nicht mehr mit mir sprechen, weil’s net wollen, dass die Schmidinge­r ein Hirn hat.“Welche Menschen das sind? „Aus dem Kleinbürge­rtum. Genau die, die nichts hinterfrag­en. Du kennst ja diese Gruppe, wir sehen’s ja jetzt bei Corona. Diese Kleinbürge­r verachten Intellektu­elle, weil sie einen Neid haben und selbst zu faul sind, um zu hinterfrag­en. Wir haben kein Proletaria­t mehr, aber eine große Anzahl von Kleinbürge­rn, die da aufmucken, dass sie sich nichts vorschreib­en lassen wollen. Im Moment mach’ ich mir Sorgen. Ich fühle mich von denen ein bisschen bedroht.“

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Dolores Schmidinge­r hat sich selbst den Auftrag erteilt, ihr Hirn zu nutzen. Nicht allen gefällt das.
[ Clemens Fabry ] Dolores Schmidinge­r hat sich selbst den Auftrag erteilt, ihr Hirn zu nutzen. Nicht allen gefällt das.

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