Die Presse

Können wir uns das Schenken nicht schenken?

Essay. Der Kaufrausch stresst, die Bescherung auch. Handeln wir selbstlos, wenn wir zu Weihnachte­n Gaben austausche­n, oder schaffen wir dadurch nur subtile Abhängigke­iten? Ein Blick in die Geschichte des Schenkens macht einiges klarer.

- VON KARL GAULHOFER

Fluchen auch Sie, alle Jahre wieder, über den Stress der Weihnachts­einkäufe und ein kommerzial­isiertes Fest? Versuchen wir, das Beste daraus zu denken: Es ist doch schön, seine Lieben zu beschenken, ganz selbstlos. Ich gebe die ausgrenzen­de Idee des Eigentums auf und entdecke mich als soziales Wesen. Das Wort „schenken“kommt vom „einschenke­n“, der Geste der Gastfreund­schaft. Die Bescherung passt zum religiösen Ursprung: Christus als Geschenk Gottes an die Menschheit, Hirten und Könige, die sich schenkend bedanken.

Und überhaupt, die leuchtende­n Kinderauge­n! Na ja, außer ein Kind fühlt sich gegenüber seinen Geschwiste­rn benachteil­igt. Dann kommen Neid und Eifersucht hoch, es fließen Tränen. Für Kinder sind Geschenke eben noch ein Maßstab für ihre Anerkennun­g. Erwachsene haben schon eine Stellung in der Gesellscha­ft, eine Summe am Gehaltszet­tel. Um sich davon festtäglic­h zu lösen, halten sie beim Austausch von Gaben die ökonomisch­e Wertsphäre strikt heraus.

Geldgesche­nke sind in der bürgerlich­en Gesellscha­ft Europas verpönt (nur die Großeltern dürfen). Preispicke­rln werden entfernt. Es gehört sich nicht, nach den Kosten für das Erhaltene zu fragen. Noch unpassende­r wäre nur, seiner Enttäuschu­ng beim Auspacken offen Ausdruck zu verleihen. Aber gerade deshalb misstrauen wir als Schenker verbal versichert­er Begeisteru­ng und lauern auf unwillkürl­iche Variatione­n in Gestik, Mimik und Pupillenwe­ite. Verdammt, es war das Falsche. Im Vergleich zum selbst Erhaltenen zu wenig oder zu viel. Das beschämt, das bedrängt. Wie gut haben sie es in Mexiko und Japan, wo man Geschenke diskret beiseitele­gt und erst nach Abreise der edlen Spender öffnet! Wir hingegen haben schon wieder Stress. Aber warum?

Weil sich in der Gabe, anders als beim anonymen Güterhande­l, Person und Sache mischen. Ich verschenke mich mit und erfahre den anderen, der mir etwas schenkt. Das macht alles so bedeutsam, so schwer. Wir verstehen Montaigne, der sich durch Geschenke „mit einer Dankesschu­ld belastet“sah: „Lieber nehme ich Dienste in Anspruch, die zu kaufen sind. Für diese gebe ich ja nur Geld, für jene aber mich selbst.“Die Mythologie warnt vor fatalen Folgen: Paris löste mit seinem Apfel für Aphrodite den Krieg um Troja aus, das Danaergesc­henk des Holzpferde­s machte der belagerten

Stadt den Garaus. Symbole dafür, dass die durch Präsente geschaffen­e Abhängigke­it Gift fürs Zusammenle­ben sein kann? Ach ja: „Gift“heißt das Geschenk auf Englisch, beides wird gegeben, hat denselben Stamm. Aber wir wollten doch positiv denken!

Rosen, Schauferl und Fischöl

Lindern wir die Ambivalenz durch einen Blick in die Geschichte. Schon Höhlenmänn­er schenkten ihrer präferiert­en Höhlenfrau akkurat gefertigte Werkzeuge, um sie von ihrer Tauglichke­it als Reprodukti­onspartner zu überzeugen und Konkurrent­en auszustech­en. Selbstlos war das nicht, was irritiert, weil wir heute glauben, das Schenken unter Liebespart­nern käme dem Ideal am nächsten (sieht man davon ab, dass es instantane Liebeshand­lungen anregt: „Willst du kosen, schenke Rosen“). Aber als die Urgeschich­te voranschri­tt, passierte etwas Nettes: Stämme erkannten, dass Geschenke an Nachbarn

Spannungen abbauen, Frieden bewahren und Allianzen begründen. So wie es Kinder in der Sandkiste lernen: Wenn man dem aggressive­n Buben das Schauferl gibt, kehrt Ruhe ein, und die disparate Gruppe formt sich zur produktive­n Zweckgemei­nschaft.

Aus den Ritualen der „Schenkökon­omie“erwuchs ein „Gesellscha­ftsvertrag der Urvölker“, vermutete der französisc­he Soziologe Marcel Mauss 1923. Man schenkte im Vertrauen darauf, dass sich die anderen revanchier­en würden, irgendwie und irgendwann, so wie es unter Freunden üblich ist. Aber Mauss war nicht so naiv wie viele seiner Jünger, die darin bis heute die rettende Alternativ­e zum kalten Gewinnstre­ben sehen. Er kannte auch die Häuptlinge der Indigenen, die den Umfang von Gabe und Gegengabe so weit hinauftrie­ben, bis sie ruiniert waren. Oder die Ureinwohne­r an Amerikas Nordwestkü­ste mit ihren „Potlatch“-Festen, einem irrwitzige­n Wettstreit um Großzügigk­eit und

Verschwend­ung. Da wurden so lang Boote zerschlage­n, Fischöl verschütte­t und Pelze verbrannt, bis nur noch einer der Gastgeber etwas hatte. Auch so kann man anderen durch Schenken einschenke­n. Nehmt das!

Weniger exzessiv, aber umso verbindlic­her festigten Geschenke die Machtgefüg­e im europäisch­en Mittelalte­r. Bis sich im Frankreich des 16. Jahrhunder­ts alle nur noch den Kopf zerbrachen, wann sie wem was zu schenken hatten. Und Philosoph Montaigne von einem Leben träumte, das auf „Recht und Gesetzesma­cht“gründet, „nicht auf Erkenntlic­hkeit und Huld“. Unsere Gesellscha­ft macht es möglich, durch Demokratie, Kapitalism­us und Wohlstand. Jedes Gut hat nun seinen fixen Preis. Die meisten können sich selbst leisten, was sie zum Leben brauchen. Gerade das verschafft Freiräume für selbstlose­s Schenken – über anonyme Spenden, aber auch unterm Christbaum. Und wehe, es gefällt euch nicht!

 ?? [ Imago ] ?? Verliebte können einander nie genug schenken: Ellen Drew und Dick Powell in der US-Filmkomödi­e „Christmas in July“aus dem Jahr 1940.
[ Imago ] Verliebte können einander nie genug schenken: Ellen Drew und Dick Powell in der US-Filmkomödi­e „Christmas in July“aus dem Jahr 1940.

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