Die Presse

Der verhöhnte Christbaum auf dem Trafalgar Square

Briten lästern über ein riesiges Geschenk aus Norwegen: Zu einer „majestätis­chen Geste“und ihrer Geschichte.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

1940 floh König Haakon VII. ins britische Exil und wurde dort zum Symbol des Widerstand­s.

Jetzt ist es ernst“, hat der norwegisch­e Ministerpr­äsident, Jonas Gahr Støre, diese Woche in Oslo gesagt, als er schärfere Corona-Maßnahmen angekündig­t hat.

Ernst oder nicht, der Osloer Stadtrat hat trotzdem noch Zeit gefunden, über eine wichtige Frage abzustimme­n: Soll man der Forderung mancher Briten nachgeben und Geld nach London schicken, damit der norwegisch­e Christbaum auf dem Trafalgar Square gegen einen neuen ausgewechs­elt werden kann?

Vielleicht macht ja die Aussicht auf die Omikron-Variante, die die

Norweger ernst macht, die Briten grantig. Sie nörgeln jedenfalls über das 25 Meter lange Geschenk, das vor Kurzem aus den elchreiche­n Wäldern (nehmen wir romantisch an) zu ihnen gelangt ist. „Wo ist der Rest davon?“, „halb tot“, „anämisch“, „vergammelt“, „Wer hat Norwegen verärgert?“oder: „Sind wir mit Norwegen im Krieg?“So und ähnlich lesen sich Kommentare auf Twitter und im britischen Boulevard. Zugegeben, diese Rotfichte könnte unter dem Transport gelitten haben, sie wirkt etwas zerknautsc­ht. Aber ganz abgesehen davon, dass man einem geschenkte­n Christbaum nicht auf die Zweige schauen soll – vielleicht sind ihre herabhänge­nden Äste auch eine Assimilati­onsleistun­g: ein schlecht gelaunter Christbaum für schlecht gelaunte Briten? Die Antwort aus Oslo war übrigens eindeutig: Die

Briten bekommen keinen Ersatzbaum spendiert.

Vermutlich haben sie aber ohnehin nur zum Spaß gelästert, erleichter­t, wieder einmal über öffentlich­e Christbäum­e herziehen zu können statt über Covid-Politik, Geimpfte oder Ungeimpfte. Ebenso wie in den USA gehört es auch hier zu den populären Adventhobb­ys, nicht nur die schönsten, sondern auch die hässlichst­en Weihnachts­bäume im öffentlich­en Raum ausfindig zu machen.

„Von einer solch majestätis­chen Geste kann man nicht wirklich enttäuscht sein“, mahnt wiederum der „Guardian“– wie recht er doch hat: Seit 1947 liefert Norwegen jedes Jahr einen riesigen Christbaum für den Trafalgar Square, zum Dank für die Unterstütz­ung Großbritan­niens im Zweiten Weltkrieg.

Es ist der Dank eines Monarchen an eine Monarchie. Nach der Besetzung Norwegens durch die deutsche Wehrmacht im Jahr 1940 floh König Haakon VII. ins britische Exil, wurde dort zum Symbol des norwegisch­en Widerstand­s. Er war politisch aktiv wie niemals sonst in seiner Zeit als Staatsober­haupt, sendete über die BBC Botschafte­n an seine Untertanen und hielt engen Kontakt mit der britischen Königsfami­lie, aus der seine Frau stammte. 1943 schickten norwegisch­e Untergrund­kämpfer in dieser Zeit Christbäum­e zu ihm nach London – einen davon für den Trafalgar Square.

Das ist, im Unterschie­d zu so vielen Geschichte­n, die derzeit im Netz kursieren, eine schöne Geschichte. Und wahr ist sie auch noch.

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