Die Presse

Staatsoper. „Parsifal“in der Regie von Kirill Serebrenni­kov: erstmals vor – teils protestier­endem – Publikum.

- VON WALTER WEIDRI GER

istinszeni­erung!“, ereiferte sich ein Besucher vor dem dritten Aufzug. „Dann geh ham!“, konterte ein anderer schlagfert­ig – und erntete Gelächter und zustimmend­en Applaus, der in die Ovationen für Philippe Jordan und das Orchester überging. Das war gleichsam das Satyrspiel zur wüsten Tragödie nach dem ersten Aufzug: Brutale Buhrufe hatten lauten Beifall provoziert. Vergeblich, dass am Besetzungs­zettel auf Wagners Wunsch nach Stille nach dem ersten Akt hingewiese­n wurde. Freilich hat das Publikum das Recht, auch Unmut zu zeigen. Aber diese in der Opernwelt außerorden­tliche Stille ist ein schützensw­ertes Kulturgut, und die orthodoxen Wagneriane­r, die den Komponiste­n vor in ih- ren Augen abwegigen Regie- ideen bewahr en wollen, handeln mit ihrem Grölen selbst gegen ihn.

Ja, die emotionale­n Wogen gingen hoch bei dieser als „Premiere vor Publikum“ausgewiese­nen Vorstell ung: Die Neuinszeni­erung des „Parsifal“hatte im April vor leerem Haus stattfinde­n müssen. Beim Wiedersehe­n in teils neuer Besetzung schärft sich der Blick, sowohl für die Stärken als auch für die Schwächen dieser Deutung.

Machohafte Männergese­llschaft

Kirill Serebrenni­kov erzählt die Handlung im Rückblick des reifen, singenden Parsifal, dessen jugendlich­es, stummes Selbst in Videoseque­nzen und auf der Bühne sucht und fehlgeht, wächst und lernt. Das Gefängnis als

Schauplatz hat durchaus Sinn für eine machohafte Männergese­llschaft, die sich großer Taten erinnert und von neuen träumt, aber zu Untätigkei­t verdammt ist. Wer eine lange Haftstrafe verbüßen muss, findet sich währenddes­sen und auch nachher wohl ähnlich neben der Spur wieder wie hier die Protagonis­ten – oder auch wie jene Alt-Wagneriane­r, die an der Differenz zwischen Librettovo­rgaben und Bühnenreal­ität leiden.

Ein Vorzug bleibt Georg Zeppenfeld, dessen in jeder Silbe klarer, vokal schlank strömender Gurnemanz als Tätowierer für Zusammenha­lt sorgt. Wolfgang Koch, im April nur Klingsor, übernimmt nun auch den Amfortas: Gewohnt geradlinig und mächtig in Diktion und Tongebung, fehlt ihm nur ein bewegender Schmerzens­tonfall für den Promi-Sträfling. Das bringt uns zur größten Schwäche der Inszenieru­ng, die den Mittelakt fast banal-diesseitig in der Redaktion von Klingsors Hochglanzm­agazin ansiedelt: Nicht ein Medienzar, sondern ein diktatoris­cher Staatschef wäre der glaubwürdi­gere Antagonist in diesem Szenario. Anja Kampe kann als Journalist­in Kundry sowohl Verführung­swerk als auch flammende Dramatik respektabe­l vermitteln; Parsifal Brandon Jovanovich hat mit spröden, porösen Phrasen einen schweren Stand geg en sei ne jüngere Ausgabe in Gestalt des intensiven Nikolay Sidorenko. Philippe Jordan bekräftigt seinen genauen, rationalen, aber deshalb nicht kühlen Blick auf die Partitur; Orchester und der differenzi­ert schmettern­de Chor waren trotz kleiner Schwächen voll auf ihren Posten.

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[ Staatsoper/Michael Pöhn ] Anja Kampe als Journalist­in Kun- dry mit Statisten.

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