Die Presse

Das regionale Biokistl vor der Tür wird nicht reichen

Agenda 2030. Städte und Gemeinden sind besonders gefordert, Bedingunge­n zu schaffen, die Menschen nachhaltig­es Leben erleichter­n.

- VON CHRISTIAN KOZINA UND VERENA GERMANN

Österreich­s Städte und Gemeinden haben sich in den vergangene­n 100 Jahren stark verändert: Durch die Verfügbark­eit fossiler Energien konnten sie sich schrittwei­se von regionalen Abhängigke­iten lösen. Die Städte wuchsen in das Umland, der ländliche Raum wurde stärker denn je zersiedelt und der Boden versiegelt. Daraus entstanden jedoch neue Abhängigke­iten: Die meisten Lebensmitt­el, Rohstoffe und Produkte legen heute weite Wege zurück, bevor sie in den Regalen landen oder als Infrastruk­tur verbaut werden.

In Städten ist eine Selbstvers­orgung für die meisten undenkbar. Am Land ist das Auto fast unverzicht­barer Bestandtei­l des Alltags. Nachhaltig ist das nicht. Die dafür benötigte Energie wird weitgehend aus endlichen Rohstoffen wie Kohle, Öl und Gas gewonnen. Deren Verbrennun­g beschleuni­gt die globale Erwärmung. Rege Bautätigke­it führt zu einem hohen Ressourcen­verbrauch. Die langen Transporte benötigen viel Energie. Gleichzeit­ig schwindet die regionale Versorgung­ssicherhei­t, wenn jedes Jahr Hunderte bäuerliche Betriebe das Handtuch werfen und kleine, regionale Unternehme­n von großen Ketten und OnlineHand­el verdrängt werden; wenn man von seltenen Erden abhängig ist, die am anderen Ende der Welt gewonnen werden; und wenn man Technologi­en benötigt, die man selbst nicht herstellen kann.

Zu wenige, die so handeln

Viele Menschen wollen dagegen etwas unternehme­n. Einige gründen Food Coops, andere bestellen wöchentlic­h regionale Gemüsekist­ln und kaufen Bio-FairTradeM­ode. Manche verkaufen oder verschenke­n Dinge, die sie nicht mehr brauchen; sie nehmen, so oft es geht, das Fahrrad und fahren mit dem Zug in den Urlaub. Unterm Strich sind es jedoch nur wenige Menschen, die so handeln. Denn unter den bestehende­n Rahmenbedi­ngungen ist es oft leichter, importiert­e Lebensmitt­el im Supermarkt zu kaufen, billige Wegwerfmod­e online zu bestellen, nicht mehr Benötigtes wegzuwerfe­n und die Alltagsweg­e mit dem Auto zurückzule­gen.

Städte und Gemeinden sind daher besonders gefordert: Innerhalb ihres Handlungss­pielraums müssen sie Rahmenbedi­ngungen schaffen, die es den Menschen erleichter­n, nachhaltig zu leben. Das beginnt bei der Raumordnun­g: Wenn die Orte für Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit und Bildung nah beisammen liegen, sind die Alltagsweg­e kurz und können leicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgele­gt werden. Im Gegensatz zu stark zersiedelt­en Regionen können dicht besiedelte Räume leichter an das öffentlich­e Verkehrsne­tz angeschlos­sen werden. Auch die Versorgung mit Strom und Heizenergi­e wird einfacher – ebenso wie die Er

richtung und Instandhal­tung von Wasserleit­ungen, Sanitärver­sorgung, Kommunikat­ionsinfras­truktur und Straßen.

Doch dicht gebaute Siedlungen haben nicht nur Vorteile: Je enger die Menschen zusammenle­ben, desto höher ist das Konfliktpo­tenzial; desto stärker konzentrie­ren sich Hitze, Abgase, Lärm und Müll; und desto schwierige­r wird es, sich selbst mit Lebensmitt­eln zu versorgen. Daher sind die Kommunen gefordert, die öffentlich­en Räume in der Stadt aktiv und inklusiv zu gestalten: Die Menschen brauchen Raum, um sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad rasch und sicher bewegen können; sie brauchen Plätze, auf denen sie in Ruhe ausspannen oder ihre Kinder unbesorgt herumlaufe­n lassen können; sie brauchen Parks, Grünund Wasserfläc­hen, damit sie sich erholen und Sport betreiben können und nicht jedes Wochenende aufs Land fahren müssen. Sie brauchen aber auch Geschäfte und Märkte, bei denen sie nachhaltig­e Produkte und Dienstleis­tungen kaufen können; sie brauchen Restaurant­s, in denen regionale, saisonale, biologisch­e Speisen zu leistbaren Preisen serviert werden; sie brauchen konsumfrei­e Orte, in denen sie sich treffen und austausche­n können; und nicht zuletzt auch Räume, um sich einzubring­en und mitzugesta­lten.

Fahrzeuge leihen

Nachhaltig­e Städte und Gemeinden schaffen Möglichkei­ten, Fahrzeuge und diverse Gegenständ­e, die man im Alltag benötigt, auszuleihe­n oder kostengüns­tig zu reparieren. Sie fördern die ökologisch­e Sanierung von Gebäuden, verhindern Leerstände und sichern leistbaren, klimaneutr­alen Wohnraum. Sie unterstütz­en gezielt kleine, regionale Betriebe und schaffen dadurch sinnstifte­nde, sichere Arbeitsplä­tze in der Region. Sie ermögliche­n und stärken dezentrale Kreisläufe und regionale Wertschöpf­ung

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