Der unausweichliche Lockdown
Corona. Sie ist ansteckender und umgeht die Immunantwort: Sollte die Variante Omikron nicht viel mildere Verläufe verursachen, sind erneute Engpässe in den Spitälern programmiert.
Wien. Während noch nicht einmal alle Bundesländer den vierten Lockdown beendet haben, zeichnet sich für den Jänner schon der fünfte ab. Die Variante Omikron breitet sich in Europa beinahe ungebremst aus und dürfte schon in den kommenden zwei, drei Wochen Delta verdrängen.
Angesichts der Wucht, mit der die Welle sehr wahrscheinlich auch Österreich treffen wird, rechnet kaum ein Gesundheitsexperte damit, die Überlastung der Intensivstationen ohne erneute Verschärfung der Ausgangsbeschränkungen und andere Maßnahmen zur Kontaktreduktion zu verhindern.
Ansteckungsfähigkeit
Bisher wurden in Österreich erst einige Dutzend Infektionen mit Omikron nachgewiesen. Die Variante ist aber derart ansteckend, dass binnen weniger Wochen von einer Vervielfachung auszugehen ist, wie das etwa in Großbritannien, Dänemark und Norwegen zu beobachten ist. Die Verdoppelungszeit der Zahl an Ansteckungen beträgt in Ländern, in denen sich Omikron bereits etabliert hat, zwei bis drei Tage. Der Reproduktionsfaktor liegt bei 3,2. 100 Infizierte stecken also im Schnitt 320 weitere Personen an.
Herwig Kollaritsch, Facharzt für Mikrobiologie und Tropenmedizin, spricht daher von einem „Tsunami“, der auf Österreich zurollt. Auch Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems rechnet damit, „dass uns die Omikron-Welle hart treffen wird, da die Variante deutlich ansteckender ist als Delta und wir noch immer eine große Zahl an Ungeimpften haben“. Zudem werde immer deutlicher, dass bei Omikron zwei Impfungen nur einen geringen Schutz vor Erkrankungen bieten. Bisher ist rund ein Drittel der Bevölkerung vollständig immunisiert, wurden also schon dreimal geimpft. 69 Prozent erhielten zwei Dosen.
Ausgelastete Intensivstationen
Der dreiwöchige harte Lockdown hat seine Wirkung nicht verfehlt, die Zahl der Neuinfektionen sank auf zuletzt auf 3000 bis 4000 pro Tag. Könnte dieser Wert gehalten werden, würde sich auch die Situation auf den Intensivstationen entspannen. Dort liegen aber immer noch 516 Covid-19-Patienten, was einer rund 25-prozentigen Auslastung entspricht, 30 Prozent bzw. 600 Patienten wurden als kritische Grenze definiert. Erst bei weniger als 200 kann ein reibungsloser Regelbetrieb aufrechterhalten werden.
Nun ist zwar damit zu rechnen, dass auch die Zahl der Intensivpatienten noch sinken wird, das passiert üblicherweise mit zwei bis drei Wochen Verzögerung – aber die Belegung der Betten wird auch im Jänner noch zu hoch sein, um eine starke Infektionswelle abzufedern. Weswegen die Corona-Kommission eine Überlastung der Spitäler als „realistische Gefahr“bezeichnet, das Systemrisiko sei „sehr hoch“.
Verlauf der Erkrankungen
Der Großteil der mit Omikron Erkrankten wies weltweit bisher milde oder mittelschwere Verläufe auf, Intensivpatienten waren die Ausnahme, Todesfall wurde nur ein einziger verzeichnet. Was den Schluss nahelegt, dass die Variante seltener zu schweren Erkrankungen führt als Delta. Allerdings waren die allermeisten Betroffenen entweder jüngere oder bereits geimpfte bzw. genesene Personen, bei ihnen ist ein milder Verlauf also ohnehin zu erwarten. Gartlehner, Kollaritsch und auch der in New York tätige Virologe Florian Krammer dämpfen daher Erwartungen, wonach die Omikron-Welle Österreich überschwemmen könnte, ohne zu einer Überlastung der Krankenhäuser zu führen. Das sei bisher nicht mehr als eine Hoffnung, die auf wenigen, nicht repräsentativen Infizierten beruhe. Tatsächlich ist die Aggressivität von Omikron die größte Unbekannte bei Vorhersagen. Als einigermaßen verlässlich gilt hingegen, dass nur eine dreifache Impfung mit hoher Wahrscheinlichkeit (60 bis 75 Prozent) vor schweren Verläufen schützt.
Ob Österreichs Impfquote reicht, um einen weiteren Lockdown abzuwehren, ist Gartlehner zufolge jedenfalls höchst unsicher. Alles deute auf eine heftige Infektionswelle hin. Sollten sich die bisherigen Erkenntnisse bezüglich Infektiosität und der Fähigkeit zum Umgehung der Immunantwort bestätigen, „steht uns wahrscheinlich wirklich ein weiterer Lockdown ins Haus“.
Selbst dann, wenn die Variante „weniger krankmachend“sei. Vor diesem Szenario warnt auch die Corona-Kommission – eine möglicherweise geringere Anzahl an schweren Verläufen könnte durch eine zu erwartende höhere Zahl an gleichzeitig Infizierten ausgeglichen werden.
Die Regierung stellt das Pandemiemanagement auf neue Beine, um sich für Omikron (und nachfolgende Mutanten) zu rüsten: Ein Expertenteam „aus Wissenschaft, operativer Umsetzung und Kommunikation“wird in der „Gesamtstaatlichen Covid-Krisenkommunikation“(GECKO) organisiert. Geleitet wird die neue Einheit von Generalmajor Rudolf Striedinger, Stabschef von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, und Katharina Reich, Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit. GECKO ersetze „keine bestehenden Gremien, sondern bündelt die besten Köpfe nach deutschem Vorbild.“
Pläne für einen neuen Lockdown gebe es trotz Gerüchten aber nicht, heißt es. Einerseits. Andererseits will man einen Lockdown nach den jüngsten Erfahrungen nicht ausschließen. Eher im Gegenteil: „Es deutet einiges darauf hin, dass es im Jänner, Februar dazu kommen könnte“, heißt es hinter den Kulissen. Offiziell sagt das Gesundheitsministerium auf die Frage, wie wahrscheinlich ein baldiger Lockdown ist: „Da die Situation in Bezug auf die neue Variante Omikron noch nicht final beurteilt werden kann, ist dazu derzeit keine abschließende Einschätzung möglich.“Tatsächlich läuft derzeit ohnedies eine Dauerevaluierung, da alle zehn Tage der Lockdown für Ungeimpfte verlängert werden muss. Eines zeichnet sich aber für den Fall des Falles ab, dass man bei einem generellen Lockdown nicht wieder so lang zuwarten wird wie zuletzt. Die Gründe: Erstens müsse der Lockdown zwar als „extrem teure Notbremse“hinausgezögert werden, aber mit dem Abgang von Sebastian Kurz sei ein Lockdown-Skeptiker weg, heißt es. Zweitens würden auch die Landeshauptleute schneller reagieren: Proteste der Landeskliniken wie in Salzburg werde kein Landeshauptmann mehr verantworten wollen. Drittens verschiebt sich der Fokus der Einschätzung der Lage wieder ein Stück weg von der Belegung der Intensivbetten hin zu Kennzahlen, die deutlich früher alarmieren.