Die Presse

Energiepol­itik spaltet die EU-Staaten

Europäisch­er Rat. Die 27 Chefs sind uneins, was gegen den Anstieg der Strom- und Gaspreise zu tun ist. In der Atomkraftf­rage erleidet Österreich die erwartete Abfuhr.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Eine dreistündi­ge, teilweise hitzige Debatte der 27 Staats- und Regierungs­chefs legte am Donnerstag das tiefe Zerwürfnis der Europäer in einer der derzeit wichtigste­n politische­n Fragen offen. Denn angesichts der seit Monaten stark steigenden Preise für elektrisch­en Strom und Erdgas konnten sich die Chefs bereits zum zweiten Mal nicht darauf einigen, was konkret getan werden soll. Die Front verläuft weltanscha­ulich und geografisc­h quer durch den Kontinent. Das Zerwürfnis veranschau­licht auch, wie sehr dieser Streit zur Gefahr für den Erfolg der Klimapolit­ik wird, die sich EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen an ihre Fahnen geheftet hat. Frankreich, Spanien, Polen, Ungarn, Lettland und Tschechien lehnen nämlich die Einschätzu­ng der Kommission ab, dass es auf dem EU-Markt für Emissionsz­ertifikate keine Unregelmäß­igkeiten gibt. Zur Erinnerung: Beim EU-Gipfel im Oktober erhielt die Kommission von den Chefs den Auftrag, den Markt für den Handel mit Rechten zum Kohlendiox­idausstoß zu überprüfen. Von Anfang an erweckte die Brüsseler Behörde jedoch nicht den Eindruck, dem Verdacht auf etwaige spekulativ­e Verzerrung­en mit besonders überborden­dem Ehrgeiz nachgehen zu wollen. Damit spielte sie jedoch den nationalau­toritären und der Klimapolit­ik wenig aufgeschlo­ssenen Regierunge­n Polens und Ungarns in die Hände, die seit Längerem der Klimapolit­ik der Union ohne besonders feste Faktenlage die Schuld für die hohen Energiepre­ise geben. In der Tat sind die Emissionsz­ertikate derzeit so teuer wie noch nie, seit der Handel mit ihnen im Jahr 2005 begonnen hat. 90,75 Euro kostete es vergangene Woche, eine Tonne Kohlendiox­id ausstoßen zu dürfen. Allein im November schoss dieser Richtwert um rund 50 Prozent nach oben.

Hoffnung auf Sinken der Energiepre­ise

Ob dafür jedoch nicht eher das Zusammensp­iel von globaler Verknappun­g im Angebot und steigender Nachfrage verantwort­lich ist, bleibt vorerst offen. Mehrere andere Mitgliedst­aaten, allen voran Deutschlan­d, die Niederland­e und die nordischen Länder, aber auch Österreich, halten wenig davon, an den EU-Energiemär­kten anlassbezo­gen herzumzusc­hrauben. Zu unterschie­dlich seien die energiewir­tschaftlic­hen Eigenschaf­ten der Mitgliedst­aaten, und dem spanischen Begehren, die EU möge strategisc­he Gasreserve­n anlegen, steht das banale Faktum im Wege, dass es derzeit nicht genug Erdgas gibt, um solche Speicher zu füllen.

Nachweisli­ch entglitt diese Debatte am Donnerstag. Denn in den von Diplomaten vorbereite­ten Entwürfen für die gemeinsame­n Schlussfol­gerungen war bis Donnerstag­vormittag ein Punkt III „Energiepre­ise“vorgesehen. Der fand sich jedoch im finalen Text nicht mehr. Bei einem der nächsten Gipfel wolle man sich damit wieder befassen, sagte Charles Michel, als Präsident des Europäisch­en Rats verantwort­lich für dieses Ergebnis, nach Ende der Tagung. Unausgespr­ochene Hoffnung: Bis zum Frühling könnten die Energiepre­ise gesunken sein, dann wäre der akute politische Druck weg.

Nehammers ungewinnba­rer Krieg

Bundeskanz­ler Karl Nehammer bekam auf seinem ersten EU-Gipfel die Isolation Österreich­s in der Frage der Atomkraft zu spüren. Denn die Kommission dürfte noch vor Jahresende Atomkraft und Erdgas als „grüne“Übergangst­echnologie­n beim Ausstieg aus fossilen Energiefor­men bewerten. Investoren dürften Geld in solche Projekte stecken und sie als nachhaltig ausschilde­rn. „Wahrschein­lich verlieren wir den Krieg“, sagte Nehammer nach Ende des Gipfels. Die Mehrheit der Staaten sei für die Atomenergi­e, da sei es „total naiv zu sagen: Österreich und Luxemburg halten alles auf “.

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[AFP] Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, setzt auf den Ausbau der Kernkraft und deren Bewertung durch die EU als „grüne“Übergangst­echnologie.

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