Für mehr inklusive Beschäftigung
Innovationsmotor. Good Practices, Tipps von Experten und der Erfahrungsaustausch standen im Mittelpunkt der österreichweiten Unternehmensdialoge.
Vor vier Jahren wurden die Zero Project Unternehmensdialoge ins Leben gerufen, um mehr Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt zu bringen und Unternehmen von den Chancen und Vorteilen, die damit verbunden sind, zu überzeugen. Denn, so der Initiator des Zero Projects, Martin Essl, selbst Unternehmer: „Menschen mit Behinderungen verfügen teils aufgrund ihrer Behinderung als Fachkräfte über Talente, die Menschen ohne Behinderungen oft nicht mitbringen, sie eröffnen neue Blickwinkel und sie bereichern jedes Team. Diese positive Erfahrung wollen wir mit den Zero Project Unternehmensdialogen weitergeben.“
Das Zero Project ist eine Plattform für innovative Projekte und Programme, die einen Beitrag für eine barrierefreie und inklusive Welt leisten können. Aktuell zählt das Zero Project Netzwerk 3906 Partner in 178 Länder. Die besten Innovationen zu einem Thema werden jedes Jahr im Februar im Rahmen der Zero Project Conference, in der Wiener UNO-City präsentiert. 2021 stand das Thema Beschäftigung im Mittelpunkt der dreitägigen Konferenz, die aufgrund der globalen Coronasituation als reines Onlineformat stattfand.
Inklusive Beschäftigung
Die Zero Project Conference bildet auch den Auftakt für die Zero Project Unternehmensdialoge, die in diesem Jahr ebenfalls online stattfanden, moderiert von Karin PraniessKastner und Michael Pichler, die auch die bundesweiten Präsenzveranstaltungen organisieren und begleiten. In dem einstündigen Seminar stand die Frage im Mittelpunkt: „Was bremst (noch) bei der Einstellung von Menschen mit Behinderungen?“
Genau an diesem Punkt setzt das neue NEBA Betriebsservice an, das von Susann Lehmann aus der Stabstelle des Sozialministeriumsservice präsentiert wurde. Dabei handelt es sich um ein kostenloses Service des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, das sich an Betriebe unabhängig von ihrer Größe richtet und auf Basis der langjährigen Erfahrungen mit der Arbeitsassistenz weiterentwickelt wurde.
Neben Beratung, insbesondere zu rechtlichen Rahmenbedingungen und Förderungen, bietet das NEBA Betriebsservice auch Unterstützung beim Recruiting von Menschen mit Behinderungen sowie bei der Planung und Umsetzung von betriebsorganisatorischen Maßnahmen. Lehmann: „Das Ziel soll sein, dass mehr Menschen mit Behinderungen aktiv am Berufsleben teilhaben können.“Und die Geschäftsführerin des Dachverbands berufliche Integration dabei-austria, Christina Schneyder in einer weiteren VideoZuschaltung: „Das NEBA Betriebsservice ist ein maßgeschneidertes Beratungs- und Serviceangebot für Unternehmen, um diese als Partner zu gewinnen, damit sie Menschen mit Behinderungen einstellen.“
Ihre Erfahrungen mit MitarbeiterInnen mit Behinderung lieferten vier VertreterInnen von Unternehmen. Brigitte Nagy von denns Biomarkt: „Unsere Erfahrung ist, dass MitarbeiterInnen mit Behinderungen die gleichen Tätigkeiten ausführen wie MitarbeiterInnen ohne Behinderung. Sie brauchen aber immer einen Ansprechpartner.“Christian Bugl von Takeda: „Die Digitalisierung stellt Menschen mit Behinderungen durchaus in den Vordergrund und wir sehen, dass diese bei gewissen Tätigkeiten deutlich effizienter sind als jeder Nicht-Behinderte.“Christian Zehetgruber von VIDEBIS: „Wir betreuen 1200 Arbeitsplätze österreichweit und sehen, dass die Komplexität in den Anforderungen massiv steigt.“Monika Schmied von AfB social & green IT: „Was es braucht, ist Awareness zu schaffen. Es ist kein Nachteil, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, sondern wir nützen Potenziale.“
Mit besonderen Stärken
Ein echtes Highlight war die Veranstaltung der Zero Project Unternehmensdialoge, die am 23. Juni im Impact Hub in Wien stattfand. Zum einen, weil endlich wieder Publikum zugelassen war, zum anderen weil das Programm mit dem Titel: „Innovationsmotor: Beschäftigung von Fachkräften mit besonderen Stärken“einiges zu bieten hatte.
Neben Good-Practice-Beispielen für inklusive Beschäftigung von Takeda, Microsoft, Fabasoft sowie AfB social & green IT gab es zwei spannende Keynotes. Die eine von dem Autisten, studierten Paläobiologen, IT-Experten und als Vortragender für Specialisterne Österreich in eigener Sache tätigen Johannes Klietmann. Die zweite vom Bundesminister für Arbeit, Martin Kocher, der in seiner Analyse zu dem Schluss kam: „Inklusion kann als Innovationsschub für die gesamte Organisation in Betrieben gelten. Sie ermöglicht es, nicht mehr funktionierende Prozesse zu hinterfragen und neu aufzusetzen.“So bringt die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auch Vorteile für den Wirtschaftsstandort Österreich, ist der Arbeitsminister überzeugt: „Gerade angesichts der demografischen Entwicklung, des Fachkräftemangels und angesichts der sozialen und gesellschaftlichen Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen, geht es darum, dieses Potenzial zu heben.“
Besondere Chancen für Menschen mit Behinderungen sieht Kocher in der Kombination von technischen und sozialen Innovationen, die es erleichtern, das Umfeld so zu gestalten, dass produktive Arbeitsplätze entstehen. Dazu Klietmann von Specialisterne in seiner Keynote: „Es wäre unglaublich kurzsichtig, die Stärken zu übersehen, nur weil Schwächen in anderen Bereichen vorliegen.“Und etwas drastischer: „Welchen Unterschied macht es, ob jemand vor einem Computer im Rollstuhl oder auf einem Bürostuhl sitzt.“Weiters wurden im Rahmen der Veranstaltung neben teils kostenfreien Service-Angeboten von incite und VIDEBIS das NEBA Betriebsservice sowie das erste österreichische Zertifikat für digitale Barrierefreiheit, WACA, vorgestellt. Co-moderiert wurde die Veranstaltung von Angela Engel, Mitarbeiterin von VIDEBIS und selbst betroffene Expertin, mit Unterstützung eines Braille-Tablets: „Ein barrierefreier Webauftritt kommt nicht nur blinden Kunden zugute, auf die man vielleicht verzichten kann, sondern allen Menschen, weil er strukturierter und benutzerfreundlicher wirkt.“
Messbar bessere Ergebnisse
Die Veranstaltungen in den Landeshauptstädten fanden nach der Sommerpause statt. Beim Zero Project Unternehmensdialog am 21. September in Klagenfurt auf Einladung von LHStv. Beate Prettner und LR Sebastian Schuschnig ging es insbesondere um das Thema Gesundheit und Sozialbereich, wo aktuell besonders viele Fachkräfte fehlen. Die hybrid ausgetragene Veranstaltung mit 250 Teilnehmenden zeigte auf abwechslungsreiche Weise, welchen Mehrwert Menschen mit Behinderungen als Beschäftigte in Unternehmen bringen. Gleich fünf regionale Good-Practice-Unternehmen lieferten dazu die Beispiele: KABEG, AHA-Gruppe – Seniorenresidenzen & Pflegeheime, Contento – Catering mit System – Betriebsküche im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in St. Veit/Glan, BSVK – Blindenund Sehbehindertenverband Kärnten sowie autArK Soziale Dienstleistungs-GmbH.
Ein weiteres Highlight war neben der Vorstellung des autArK NEBA Betriebsservices die Keynote von Eveline Breitwieser-Wunderl zum Thema „Durch Vielfalt dem Personal- und Fachkräftemangel begegnen“. Wunderl arbeitet seit 2001 bei Porsche und ist seit 2018 Verantwortliche für „Innovative Arbeitswelten und Diversity Management“in der Porsche Holding Salzburg. Ihre Botschaft: „Es ist heute wissenschaftlich erwiesen, dass heterogene Teams besser zusammenarbeiten und messbar bessere betriebswirtschaftliche Ergebnisse erzielen. Deshalb ist es sinnvoll, sich um Diversität im Unternehmen anzunehmen und Menschen mit unterschiedlichen ,Mindsets‘ zusammenkommen zu lassen.“„Qualifizierung – Turbo der
„Menschen mit Behinderungen verfügen als Fachkräfte über Talente, die Menschen ohne Behinderungen oft nicht mitbringen.“
Martin Essl, Zero Project
Krisenbewältigung“lautete der Titel der Zero Project Unternehmensdialoge, die am 19. Oktober in Wels (OÖ) im Schulungszentrum von starlim//sterner stattfanden. Etwa 50 TeilnehmerInnen namhafter oberösterreichischer Unternehmen lauschten den beiden Vortragenden vor Ort, über 70 Interessierte waren per Livestream dabei und tauschten sich in den Breakoutrooms aus.
Für den CEO von starlim// sterner, Thomas Bründl, braucht es dafür ein internes Team, das mit Leidenschaft dahinter steht ebenso wie die Unterstützung von Partnern wie der Caritas OÖ: „Oft sind es soziale Umstände, die es jungen Menschen schwer machen, ihre Ziele zu erreichen. Da kann ein guter Arbeitsplatz viel verändern.“
Auch SPAR ist heute ein Vorbild für Inklusion, anfangs war man jedoch skeptisch, so Jakob Leitner, Geschäftsführer von SPAR Oberösterreich: „Der Lohn für den Mut sind viele sehr gut ausgebildete Menschen, hochzufriedene KundInnen, treue, wertvolle und verlässliche MitarbeiterInnen und wenig Fluktuation.“
Dass Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen ausbilden oder beschäftigen, vielfältige Unterstützungen wie Lohnkostenzuschüsse oder Förderungen bei der Anschaffung von technischen Arbeitsbehelfen zur Verfügung stehen, betonte Landeshauptmann Thomas Stelzer in seiner Videobotschaft. Wichtige Tipps dazu lieferten Claus Jungkunz vom NEBA Betriebsservice, Jürgen Bockmüller vom Sozialministeriumsservice und Erhard Prugger von der Wirtschaftskammer OÖ.
Wann, wenn nicht jetzt!
Ebenfalls hochkarätig besetzt war auch der Zero Project Unternehmensdialog, der auf Einladung der Wirtschaftsprüfung BDO am 9. November stattfand. Der Titel lautete „Inklusive Beschäftigung – wann, wenn nicht jetzt!“Die passenden Keynotes dazu lieferten Claudia Sonnleitner, Arbeitsrechtsexpertin und Director bei BDO Steiermark, Johannes Kopf, Mitglied im Vorstand des Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) sowie Nicole Steger, Equality, Diversity & Inclusion Leader IKEA Austria. Sonnleitner ist es vor allem ein Anliegen, mit dem „gefährlichen Halbwissen“aufzuräumen, das viele Unternehmen in Hinblick auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen leider haben. Vor allem, was die vermeintliche Unkündbarkeit von Menschen mit Beeinträchtigungen betrifft: „Das ist mindestens schon zehn Jahre überholt. 2011 wurde der besondere Kündigungsschutz für begünstigte behinderte Arbeitnehmer insofern relativiert, als dieser Kündigungsschutz erst nach vier Jahren greift.“Selbst wenn man das Dienstverhältnis unverzüglich auflösen möchte, „gelten ein und dieselben Entlassungsgründe wie für alle Angestellte und Arbeiter“.
Auch Kopf bestätigt Vorbehalte
Dass es eine Reihe von Mythen und unbegründeten Vorbehalten rund um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen gibt, bestätigte auch Johannes Kopf vom AMS: „Tatsächlich ist es so, dass sich viele Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen einstellen wollen, anfangs unsicher fühlen. Wenn man sich aber damit beschäftigt, merkt man schnell, dass es ein riesiges Netz an Unterstützung gibt und auch ordentliche finanzielle Förderungen.“Zum Abschluss seines Vortrags überraschte Kopf mit einem kurzen Film, der zeigte, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeitersuche bewusst oder unbewusst auf „inländische Männer im Haupterwerbsalter“beschränken, sich (basierend auf den Zahlen für den Sommer 2021) 93 Prozent der Arbeitsuchenden verschließen. Kopf: „Die Botschaft ist: Waschen Sie das Gold nicht zu ungenau. Sie finden gute Fachkräfte unter allen Gruppen am Arbeitsmarkt.“
Warum und wie bei Ikea mit fast 4000 Mitarbeitenden in ganz Österreich versucht wird, künftig mehr Menschen mit Behinderungen als MitarbeiterInnen anzusprechen, erklärte Nicole Steger: „Uns geht es darum, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der sich die Menschen wohlfühlen – wo ich gerne in die Arbeit gehe und gerne meinen Beitrag leiste.“Denn, so Steger: „Arbeit ist so viel mehr als das Geld, das ich am Monatsende erhalte. Jeder möchte gebraucht werden.“Dennoch erfüllt auch Ikea nicht die gesetzliche Pflichtzahl an begünstigten behinderten Beschäftigten. Steger: „Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen. Unser Plan ist aber, dass wir in zwei Jahren keine Ausgleichstaxe mehr zahlen. Das ist ein herausforderndes Ziel, aber nicht unmöglich.“
Finale zeigt ganze Bandbreite
Der November brachte noch zwei weitere Veranstaltungen. Am 15. fanden die Zero Project Unternehmensdialoge im Landhaus Bregenz statt. Neben Landesrätin Martina Rüscher widmete sich unter anderem der Landesgeschäftsführer des Arbeitsmarktservice Vorarlberg, Bernhard Bereuter, und Stefan Knall vom Sozialministeriumservice Vorarlberg dem Thema „Inklusive Beschäftigung und Qualifizierung“. Die GoodPracticeBeispiele lieferten die Spar Österreichische Warenhandels AG, Tomaselli Gabriel Bau und der weltweit gefragte Spezialist für Lichttechnik, Zumtobel Lighting.
Am 24. fanden die Zero Project Unternehmensdialoge schließlich in Graz bei Ingenium Education als reine Onlineveranstaltung ihren Abschluss in diesem Jahr. Die Schirmherrschaft hatte die steirische Landtagspräsidentin Manuela Khom übernommen, die aus ihrem
HomeOffice in Murau zugeschaltet wurde. Grußworte kamen auch von Josef Herk, Präsident der steirischen Wirtschaftskammer. Hautnahe Einblicke, welchen Wert die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen für Unternehmen egal welcher Größe bringt, lieferten Theresa Gruber von AT&S, Thomas Scheuchl vom Rogner Bad Blumau sowie der SPAR-Kaufmann aus Studenzen in der Steiermark, Werner Legenstein. Abgerundet wurden die spannenden Zuschaltungen durch den Wirtschaftsingenieur Jonas Stein, der über seine Erfahrungen als Arbeitnehmer mit einer Behinderung berichtete: „Ich habe Fähigkeiten wie jeder andere auch und ich habe auch meine Schwächen, ganz klar. Aber für meinen Beruf, den ich ausübe, ist meine Behinderung nicht relevant.“Sein Rat an Arbeitgebende: „Wir brauchen keine Problemsucher, sondern Lösungsfinder.“