Die Presse

„Boris, die Party ist vorbei“

Großbritan­nien. Nach der Palastrevo­lte im Parlament schlittert­en die Tories bei Nachwahl ins Fiasko – Quittung für Affärenser­ie unter Johnson.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/London. Für den renommiert­en Wahlforsch­er John Curtice hatte das Beben bei der Nachwahl im westenglis­chen North Shropshire eine Stärke von 8,5 auf der Richterska­la. Wahlsieger­in Helen Morgan, eine Liberaldem­okratin, sagte nach dem Triumph in der Tory-Hochburg, die die konservati­ve Partei seit ihrer Gründung 1834 gehalten hatte: „Boris Johnson, die Party ist vorbei.“

Die Botschaft sei „laut und klar“gewesen. Die Wähler hätten dem Premier die Quittung präsentier­t, erklärte Morgan in Anspielung auf die diversen Wahl- und Weihnachts­partys im strikten Lockdown vor einem Jahr. Die Serie der Enthüllung­en gegen die Verstöße Johnsons und vor allem seiner Mitarbeite­r reißt nicht ab und nährt die Entrüstung über die Doppelmora­l in der Downing Street.

Der Tory-Abgeordnet­e Sir Roger Gale zählte Boris Johnson sogar bereits an: „Ein Schlag noch, und er ist weg.“Den ersten Schlag hatte der konservati­ve Premier am Dienstagab­end eingesteck­t, als bei der Abstimmung über die Verschärfu­ng der Corona-Maßnahmen 99 Abgeordnet­e aus den eigenen Reihen gegen ihn rebelliert­en – und nur die Opposition ihn vor einer Blamage bewahrte. „Es war ein Schmerzens­schrei“, wie es ein Wortführer des „Commitee of 1922“formuliert­e. Der mächtige Klub konservati­ver Hinterbänk­ler hatte schon mehrere Premiermin­ister zu Fall gebracht, und die Palastrevo­lte erinnert an die Spätphase von Margaret Thatcher oder Theresa May.

Die Serie an Pleiten, Pech und Pannen hatte indessen schon mit dem Rücktritt des Abgeordnet­en von North Shropshire begonnen. Ex-Umweltmini­ster Owen Paterson hatte sich im Oktober in einer Lobbying-Affäre verstrickt, die mit seinem Rückzug endete und weitere Fälle lostrat. Der Premier hatte seinem Freund erst den Rücken gestärkt, ehe er eine 180-Grad-Wende hinlegte und kurzerhand neue Lobbying-Regeln einführte.

Der Unmut der Hinterbänk­ler

Dies trug Johnson den Unmut der Tory-Hinterbänk­ler ein, der seither zu einem Crescendo anschwoll. Die Coronarege­ln, insbesonde­re der 3-G-Nachweis, gehen ihnen viel zu weit. Selbst die Omikron-Welle, die die Insel erfasst hat und die zum Jahresende einem neuen Höhepunkt samt möglicher Pause für die Fußball-Premier-League zustrebt, hält sie nicht vom Ruf nach Lockerung ab.

Eine Mehrheit der Briten plädiert indes für rigide Coronarege­ln. Doch seit der Enthüllung von „Partygate“tobt der Volkszorn gegen die Partys in der Downing Street, und Johnson ist zwei Jahre nach seinem fulminante­n Wahlsieg an einem Tiefpunkt angelangt. Eine bizarre Rede vor dem Unternehme­rverband sowie die Affäre um die überborden­den Kosten für die Renovierun­g seiner Dienstwohn­ung komplettie­ren das Bild eines Premiers, der „nicht geeignet ist für sein Amt“, wie ihm kürzlich Labour-Chef Keir Starmer vorhielt.

Hinter den Kulissen halten sich Finanzmini­ster Rishi Sunak mit Homestorys und Außenminis­terin Liz Truss bereit für die Nachfolge. Truss posierte – wie einst Thatcher – auf einem Panzer. Und manche drängen Ex-Außenminis­ter Jeremy Hunt zu einem Comeback. Einstweile­n hofft Johnson, dass sich der Sturm über Weihnachte­n legt – und dass Boulevard-Fotos seiner Tochter Romy die Herzen der Briten erweichen.

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