„Boris, die Party ist vorbei“
Großbritannien. Nach der Palastrevolte im Parlament schlitterten die Tories bei Nachwahl ins Fiasko – Quittung für Affärenserie unter Johnson.
Wien/London. Für den renommierten Wahlforscher John Curtice hatte das Beben bei der Nachwahl im westenglischen North Shropshire eine Stärke von 8,5 auf der Richterskala. Wahlsiegerin Helen Morgan, eine Liberaldemokratin, sagte nach dem Triumph in der Tory-Hochburg, die die konservative Partei seit ihrer Gründung 1834 gehalten hatte: „Boris Johnson, die Party ist vorbei.“
Die Botschaft sei „laut und klar“gewesen. Die Wähler hätten dem Premier die Quittung präsentiert, erklärte Morgan in Anspielung auf die diversen Wahl- und Weihnachtspartys im strikten Lockdown vor einem Jahr. Die Serie der Enthüllungen gegen die Verstöße Johnsons und vor allem seiner Mitarbeiter reißt nicht ab und nährt die Entrüstung über die Doppelmoral in der Downing Street.
Der Tory-Abgeordnete Sir Roger Gale zählte Boris Johnson sogar bereits an: „Ein Schlag noch, und er ist weg.“Den ersten Schlag hatte der konservative Premier am Dienstagabend eingesteckt, als bei der Abstimmung über die Verschärfung der Corona-Maßnahmen 99 Abgeordnete aus den eigenen Reihen gegen ihn rebellierten – und nur die Opposition ihn vor einer Blamage bewahrte. „Es war ein Schmerzensschrei“, wie es ein Wortführer des „Commitee of 1922“formulierte. Der mächtige Klub konservativer Hinterbänkler hatte schon mehrere Premierminister zu Fall gebracht, und die Palastrevolte erinnert an die Spätphase von Margaret Thatcher oder Theresa May.
Die Serie an Pleiten, Pech und Pannen hatte indessen schon mit dem Rücktritt des Abgeordneten von North Shropshire begonnen. Ex-Umweltminister Owen Paterson hatte sich im Oktober in einer Lobbying-Affäre verstrickt, die mit seinem Rückzug endete und weitere Fälle lostrat. Der Premier hatte seinem Freund erst den Rücken gestärkt, ehe er eine 180-Grad-Wende hinlegte und kurzerhand neue Lobbying-Regeln einführte.
Der Unmut der Hinterbänkler
Dies trug Johnson den Unmut der Tory-Hinterbänkler ein, der seither zu einem Crescendo anschwoll. Die Coronaregeln, insbesondere der 3-G-Nachweis, gehen ihnen viel zu weit. Selbst die Omikron-Welle, die die Insel erfasst hat und die zum Jahresende einem neuen Höhepunkt samt möglicher Pause für die Fußball-Premier-League zustrebt, hält sie nicht vom Ruf nach Lockerung ab.
Eine Mehrheit der Briten plädiert indes für rigide Coronaregeln. Doch seit der Enthüllung von „Partygate“tobt der Volkszorn gegen die Partys in der Downing Street, und Johnson ist zwei Jahre nach seinem fulminanten Wahlsieg an einem Tiefpunkt angelangt. Eine bizarre Rede vor dem Unternehmerverband sowie die Affäre um die überbordenden Kosten für die Renovierung seiner Dienstwohnung komplettieren das Bild eines Premiers, der „nicht geeignet ist für sein Amt“, wie ihm kürzlich Labour-Chef Keir Starmer vorhielt.
Hinter den Kulissen halten sich Finanzminister Rishi Sunak mit Homestorys und Außenministerin Liz Truss bereit für die Nachfolge. Truss posierte – wie einst Thatcher – auf einem Panzer. Und manche drängen Ex-Außenminister Jeremy Hunt zu einem Comeback. Einstweilen hofft Johnson, dass sich der Sturm über Weihnachten legt – und dass Boulevard-Fotos seiner Tochter Romy die Herzen der Briten erweichen.