England bangt um den „Boxing Day“
Premier League. Ist eine Unterbrechung der Saison sinnvoll, oder muss die Show trotz steigender Fälle und Spielabsagen weitergehen?
London. Fußball gilt in England als „Heiligtum“. Spiele der Premier League sind laufend Gesprächsthema. Und selbst zu Weihnachten gibt es da keine Ausnahmen: Läuft der Spielbetrieb, gibt es nichts anderes außer Matchbesuch oder Live-TV. Vor allem am „Boxing Day“, dem 26. Dezember. Dann hat sogar eigentlich der Weihnachtsmann die Pflicht, in einem Stadion zu sitzen . . .
2021 ist alles anders. Das vollgepackte Programm der Liga wackelt. Ob der rasanten Ausbreitung der Coronavariante Omikron fordern zunehmend mehr Klubs und Trainer die Absage von Spieltagen – oder eine längere Pause. Allerdings: Das verlangen Nachzügler. Die Stars der Liga äußerten sich bisher zurückhaltend zum Thema Absagen. Southampton-Coach Ralph Hasenhüttl bereitet auch nur die „zu niedrige Durchimpfungsrate unter Spielern“Sorgen.
Ein Spiegel der Gesellschaft
Im aktuellen Spielplan blieben nur fünf Spiele für dieses Wochenende bestehen. Neben Manchester United und Leicester City haben auch Watford, Norwich und Brentford zu wenige fitte Kaderspieler zu Verfügung. Sieben Spiele mussten verschoben werden, und dabei wird es angesichts weiterer Coronafälle bei Chelsea, Liverpool und Burnley nicht bleiben.
Englands höchste Fußballliga ist ein Abziehbild der Gesellschaft, und jenes besagt kaum Beschauliches: Schätzungen der Regierung zufolge infizieren sich in Großbritannien täglich Zigtausende.
Die Infektionen verdoppelten sich alle zwei bis drei Tage, für den Besuch von Großveranstaltungen gilt längst die 3-G-Regel. Die lukrative Weihnachtsshow im Tagesrhythmus ist noch unangetastet. Noch. ESPN berichtete am Donnerstag, ohne Quellen zu nennen, dass einige Vereinsvertreter einen Shutdown bis einschließlich 8. Jänner fordern.
Brentford-Trainer Thomas Frank hat eine Absage des gesamten Spieltags und eine Verlegung der Ligapokalrunde für das kommende Wochenende angeregt. „Die Coronafälle gehen durch die Decke – bei allen“, sagte Frank. „The show must go on“, halten ihm da andere entgegen. Etwa Jürgen Klopp, der Liverpool-Coach. Der Deutsche sieht in einer Unterbrechung „keinen
großen Nutzen“, sagte er nach dem 3:1 gegen Newcastle. „Wenn wir dann zurückkommen, ist es dasselbe. Wäre das Virus nach einer Unterbrechung weg, wäre ich der Erste, der nach Hause geht. Aber das wird nicht der Fall sein.“
Auch die „Reds“haben mit van Dijk, Fabinho und Jones drei Spieler mit positiven Coronatests gemeldet. Chelsea ließ beim 1:1 gegen Everton ohne einige Stammspieler Punkte liegen. Trainer Thomas Tuchel ließ die Ausfälle nicht als Ausrede gelten und meinte zum Thema Spielabsagen nur, er mische sich „nicht in politische Dinge“ein. Stand Freitagmittag geht das Titelrennen am Sonntag mit Auswärtsspielen des Spitzentrios weiter: Manchester City (41 Punkte) trifft auf Newcastle, Liverpool
(40) auf Tottenham und Chelsea (37) auf Wolverhampton.
Impfrate bei knapp 70 Prozent
Hasenhüttl und Southampton pausieren unverschuldet, weil Gegner Brentford sein Trainingszentrum schließen musste. Ein Grund im aktuellen Corona-Tohuwabohu sei die geringe Durchimpfungsrate, die Mitte Oktober bei 68 Prozent für doppelt geimpfte Oberhaus-Spieler gelegen sein soll. Frischere Daten zur Premier League gibt es nicht. In der 72 Klubs starken EFL, dem Unterbau der Premier League, hieß es, dass sich 25 Prozent der Spieler gar nicht impfen lassen wollen.
„Das ist meiner Meinung nach ein zu hoher Prozentsatz“, sagte Hasenhüttl. „Ich kann nur über unseren Verein sprechen, und wir haben eine Impfrate von fast 100 Prozent.“Aber hilft das, um den Spielbetrieb am „Boxing Day“zu retten? (fin)
Ich kann nur über Southampton sprechen, und wir haben 100-ProzentImpfrate.
Ralph Hasenhüttl, Southampton-Coach