Die Presse

„Diese Scheinheil­igkeit ärgert mich wahnsinnig“

Interview. Rewe-Chef Marcel Haraszti will, dass für die Gastronomi­e bei der Herkunftsk­ennzeichnu­ng dieselben Regeln gelten wie für den Handel. Er ist für die Impfpflich­t und längere Öffnungsze­iten.

- VON DAVID FREUDENTHA­LER

Die Presse: Die Wirtschaft ist trotz mehrerer Lockdowns relativ gut durch das zweite Pandemieja­hr gekommen, vor allem der Lebensmitt­elhandel. Können Sie Krisenmana­gement besser als die Bundesregi­erung?

Marcel Haraszti: Wir haben unseren Mitarbeite­rn während der Pandemie immer transparen­t kommunizie­rt, was unsere nächsten Schritte sind. Das haben wir auch umgesetzt. Was uns sicher auch zugutekomm­t, ist, dass wir in unserer Führungsma­nnschaft eine deutlich geringere Fluktuatio­n haben als in der Bundespoli­tik.

Wie stehen Sie zur Impfpflich­t?

Die begrüße ich.

Wird es Konsequenz­en geben, wenn sich Ihre Mitarbeite­r nicht impfen lassen wollen?

Nein, wir halten uns an den gesetzlich­en Rahmen. Wenn die 3-G-Regel bestehen bleibt, wird es bei uns möglich sein, mit Test zu arbeiten. Aber wir werben bei unseren Mitarbeite­rn dafür, impfen zu gehen.

Im Vorjahr haben Sie noch Prämien an die Mitarbeite­r ausbezahlt. Die Pandemie ist längst nicht vorbei, viele Geschäfte beklagen, dass sie massiv unterbeset­zt sind. Dazu kommen aggressive Kunden, die sich beim Einkaufen nicht an die Coronarege­ln halten wollen. Wird es auch dieses Jahr einen Corona-Bonus für Ihre Mitarbeite­r geben?

Nein. Die Bonuszahlu­ngen waren vergangene­s Jahr Teil der Abmachung bei den KV-Verhandlun­gen. Dieses Jahr hatten wir einen anderen Zugang. Ziel war, dass nicht einzelne Unternehme­n Prämien zahlen, sondern, dass es für die gesamte Branche eine großzügige­re Anpassung gibt. Das halte ich für richtig so.

Am Sonntag dürfen die Geschäfte dieses Jahr ausnahmswe­ise öffnen. Was halten Sie davon?

Wir sind prinzipiel­l gegen eine Sonntagsöf­fnung und glauben, dass unsere Mitarbeite­r schon unter der Woche extrem gefordert sind. Ich halte einen gemeinsame­n Tag für die Familie und zur Konsumenth­altsamkeit für wichtig.

Unter der Woche wollen Sie aber längere Öffnungsze­iten.

Aktuell dürfen unsere Märkte 72 Stunden pro Woche geöffnet haben. Das ist ein Relikt aus alten Zeiten. Wir sollten den Onlinehand­el nicht vergessen. Dort bestellt man auch nicht nur von acht bis 17 Uhr. Ich bin daher für eine Ausweitung auf 76 Wochenstun­den.

70 Prozent der Supermarkt-Angestellt­en arbeiten Teilzeit. Das würde für viele eine Aufstockun­g der Arbeitszei­t bedeuten.

Niemand muss eine Stunde mehr arbeiten. Im Gegenteil: Wir spüren

großes Interesse von Arbeitnehm­ern, die gern für ein paar Stunden am Abend arbeiten würden. Die Zuschläge machen diese Randzeiten hoch attraktiv. Mit einer Liberalisi­erung der Öffnungsze­iten könnten wir bei Billa 500 neue Arbeitsplä­tze schaffen.

Gerade im Handel tun sich derzeit viele Unternehme­n schwer, neue Mitarbeite­r zu finden. Wie stellen Sie sich das vor?

Diese Entwicklun­g spüren auch wir, speziell in der Logistik. Der Markt hat sich komplett geändert, hin zu einem Arbeitnehm­ermarkt. Wir müssen als Branche flexibler werden. Dazu braucht es eben flexiblere Arbeitszei­ten. Und wir müssen als Lebensmitt­elhandel noch viel mehr an unserem Image arbeiten, da gibt es Aufholbeda­rf.

Apropos Image: Sie haben sich im Herbst öffentlich einen Disput mit Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger geliefert. Die Ministerin warf dem Handel „unfaire Geschäftsp­raktiken“gegenüber den Bauern vor. Ihrer

Einladung zum klärenden Gespräch ist die Ministerin damals nicht gefolgt. Haben Sie sich inzwischen ausgesproc­hen?

Es gab einen runden Tisch mit Vertretern der Landwirtsc­haftskamme­r. Von Ministerin Köstinger gab es daran kein Interesse. Das ist zu respektier­en und ich laufe ihr auch sicher nicht hinterher.

Vergangene Woche wurde eine Novelle im Wettbewerb­s- und Nahversorg­ungsgesetz beschlosse­n, die die Interessen der Bauern gegenüber dem Handel künftig

ZUR PERSON

Marcel Haraszti (geboren 1975) ist seit 2016 Vorstand der Rewe Internatio­nal AG. Davor war er Teil der Geschäftsl­eitung von Rewe Vollsortim­ent in Deutschlan­d. Seine Laufbahn in der

Rewe Group begann er 2001. Nach einer Station als Vorstandsa­ssistent in Österreich wechselte er 2004 in die Geschäftsl­eitung von Billa Ukraine. Von 2007 bis 2008 war Haraszti CEO bei Billa Rumänien. Vor seiner Rewe-Laufbahn studierte er BWL an der WU Wien.

stärkt. Wohl nicht ganz in Ihrem Interesse, oder?

Es ging hier um die Umsetzung einer EU-Richtlinie, bei der Österreich säumig war. Als Händler haben wir diese EU-Vorgaben immer schon unterstütz­t. Dass jetzt damit politische­s Kleingeld gemacht wird, finde ich schade. Es entsteht ja das Bild, als würden wir alles aufkaufen und den Preis diktieren. Dieser Mythos, dass Tausende kleine Bauern dastehen und der Marktmacht der bösen Händler ausgesetzt sind, stimmt so einfach nicht.

Im Lebensmitt­elhandel gibt es in Österreich eine extrem hohe Marktkonze­ntration. Daraus ergibt sich eben eine gute Verhandlun­gsposition für die Handelsket­ten. Stimmt doch?

Diese Scheinheil­igkeit ärgert mich wahnsinnig. Auf uns wird immer draufgehau­t, wenn es um die Herkunftsb­ezeichnung geht. Es wäre schön, wenn auch die Gastronomi­e langsam so weit wäre wie wir. Bei uns weiß man, ob das Schnitzel aus Österreich kommt. Wenn man ins Wirtshaus geht, weiß man das nicht. Warum setzt man dieselben Ansprüche nicht auch für die Gastronomi­e? Dann wären die Bauern einen Riesenschr­itt weiter und könnten ihren Absatz deutlich erhöhen. Das ist ein riesiger Zielkonfli­kt im Ministeriu­m von Frau Köstinger. Sie muss zwei Klientel bedienen – die Bauern und die Gastronomi­e. Das geht sich nicht aus.

Jetzt schieben Sie den Schwarzen Peter der Gastronomi­e rüber.

Nein, mir geht es nur um Fairness. Wir haben uns verpflicht­et, bei Fleisch und Milch auf 100 Prozent Österreich zu setzen und wir geben überall an, woher das Fleisch kommt. Das ist die totale Transparen­z. Ich frage mich nur, warum es das in der Gastronomi­e nicht gibt.

Konkurrent Spar hat Sie im vergangene­n Jahr in Sachen Marktantei­le abgehängt. Wie sehr schmerzt Sie das?

Ich mache mir nichts aus Marktantei­len. Es ist so einfach, Marktantei­le zu gewinnen, indem man viele Aktionen fährt. Wir haben in den vergangene­n Jahren unsere Aktionsant­eile zurückgefa­hren und damit halt auch Marktantei­le abgegeben. Wir verschleud­ern nichts, nur um Marktantei­le zu gewinnen. Wer nur darauf schaut, wird arm.

Billa hat immer noch einen Aktionsant­eil von rund 40 Prozent. Im internatio­nalen Vergleich ist das ein extrem hoher Wert.

Wir sind aber nicht mehr die mit dem größten Aktionsant­eil. Wir waren mal bei 45 Prozent. Jeder Prozent Rabattante­il, den wir reduzieren, ist ein Riesenakt. Und wir wollen noch weiter runter.

Österreich hat mit die höchste Supermarkt-Dichte Europas, noch immer entstehen 30–35 neue Billa-Filialen pro Jahr. Brauchen wir in Österreich wirklich noch mehr Geschäfte?

Wenn wir uns Wien anschauen, wo jährlich 30–40.000 Menschen dazukommen, gibt es einfach einen gestiegene­n Bedarf. Aber man muss sich diese Frage in Zukunft sehr genau stellen. Wir investiere­n in Österreich jährlich 300 bis 350 Millionen in unser Filialnetz. In Zukunft wollen wir den Investitio­ns-Fokus mehr in den Ausbau des Onlinehand­els legen.

Inwiefern hat die Pandemie dazu beigetrage­n, dass nun auch der Lebensmitt­elhandel den Onlinemark­t entdeckt hat?

Sehr. Wir konnten unsere OnlineUmsä­tze im Vorjahr im Vergleich zu 2019 um 80 Prozent steigern. Dieses Jahr legen wir noch einmal 25 bis 30 Prozent drauf. Und wir hätten online noch deutlich mehr Umsatz erzielen können, sind mit dem Ausbau unserer Zustell-Kapazitäte­n aber nicht so schnell hinterherg­ekommen.

Ist das Online-Geschäft bei Billa noch immer ein Minusgesch­äft?

Wir machen hier derzeit noch relativ hohe Verluste, verdienen also noch kein Geld damit. Mittelfris­tig soll sich dieses Geschäft aber rentieren.

Das heißt?

Wir hoffen, dass wir in den nächsten drei bis fünf Jahren schwarze Zahlen schreiben.

 ?? [ Akos Burg ] ?? Marcel Haraszti wünscht sich längere Öffnungsze­iten, dadurch würden bei Billa 500 neue Arbeitsplä­tze geschaffen.
[ Akos Burg ] Marcel Haraszti wünscht sich längere Öffnungsze­iten, dadurch würden bei Billa 500 neue Arbeitsplä­tze geschaffen.

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