Die Sparks und der Rest der Welt im Theater
Werk X. Tex Rubinowitz hat sein erstes Theaterstück geschrieben: Im Nicht-Krimi „Sherlock Holmes“erfinden drei Personen einander und reden dabei sehr schnell. Dazu hört man geniale Popsongs.
Wie beginnen? Vielleicht so: Wenn ein Theaterstück mit den Fragen „Fangen wir an?“und „Wie fangen wir an?“beginnt, wird der Besucher nervös. Er weiß: Theater, das sich mit selbst befasst, ein Stück, das das Schreiben eines Stücks beschreibt, das kann mühsam werden. Und wenn dann schon in der ersten Szene das kanonische Wittgenstein-Zitat variiert wird . . .
Schweigen wir nicht darüber: Tex Rubinowitz, vortrefflicher Humorzeichner und Reiseschriftsteller (beides im weiten Sinn), Bachmann-Preisträger und Leiter der Band Mäuse, macht es uns mit seinem ersten Theaterstück nicht leicht. „Sherlock Holmes“ist ein Sprachschwall, ähnlich wie seine Prosawerke. Rubinowitz kommt vom Hundertsten ins Tausendste und wieder zurück, aber auch ins Erste und ins Letzte. „Bei seinen eigenen Anfängen und Enden ist man immer allein“, sagt seine Figur Wojo, und später, genauso fahrig: „Der Anfang und das Ende, eigentlich gute Freunde, man verpasst beide, weil sie einfach passieren, sie sind die Klammer für alles Verpasste und unser Dasein.“
Er habe „Angst vorm verpassten Sterben“, sagt Wojo. Die Todesangst treibt ihn, zum Reden und zum Trinken, seit jeher den beiden Hauptbeschäftigungen eines Bühnen-Bohemiens. Der sich seiner Existenz nie sicher sein kann: Er muss sich ihrer ständig redend versichern.
Tiermasken und Texte an der Wand
Auch indem er sich Gefährtinnen schafft, die mit ihm die Bühne bevölkern – eine kahle Küche, tapeziert mit Texten. Manchmal tragen sie Tiermasken. Oder ist er ihr Geschöpf? Haben sie Wojo erfunden, jede für sich? Haben sie ihn gar erfunden, damit er sie erfinden kann? Was für eine seltsame Schleife.
Nur das Erzählte ist wahr: Das ist eine der möglichen Auflösungen dieses melancholisch in sich selbst gekrümmten Stücks, in dem auch über Charlie Sheen gesprochen wird, über den Klingonen Lieutenant Worf und ein Loch unter dem Teppich. Große Sätze fallen in dieses Loch, ewige Paradoxa landen neben Bierflaschen, und es wird sogar getanzt. Regisseurin Ursula Leitner hat sich bemüht, den Wortschwall zu beleben. Die Schauspielerinnen Annette Isabella Holzmann und Wiltrud Schreiner strukturieren ihn nach Leibeskräften. Sie spielen dabei vielleicht zu viel Theater, aber was bleibt ihnen denn? Am ehesten dem Sprachduktus gehorcht Schauspieler Wojo van Brouwer. Er hat oft etwas Herziges in all dem Irrsinn, erinnert an den deutschen Essayisten Max Goldt, einen Freund von Rubinowitz.
Der natürlich neben seiner Angst auch seine Leidenschaften ins Stück gepackt hat. Vor allem seine Liebe zum großartigen Popduo Sparks, das auch in „Annette“, dem neuen Film von Leos Carax, eine zentrale Rolle spielt. Ihr Song „Sherlock Holmes“(1982) gibt dem Stück den Titel, ihr „Miss the Start, Miss the End“(1975) fasst es in eine Nussschale. Wer das Theater scheut, sollte sich zumindest dieses Lied unbedingt anhören.