Auf der Seidenstraße lohnen auch Seitenwege
Ausstellungen. Ein alter Handelsweg, zwei Zugänge: Das Weltmuseum Wien konfrontiert die märchenhafte Vergangenheit mit der nüchternen Gegenwart, in Abu Dhabi feiert man den Austausch zwischen islamischer und chinesischer Kultur.
Einen weltweiten Warenhandel gibt es schon lang, nicht erst die Römer ließen sich Kostbares aus Fernost liefern. Aber erst 1877 prägte der deutsche Geologe Ferdinand von Richthofen jenes eingängige Schlagwort, das bis heute aktuell ist: die Seidenstraßen. Stoffe, Tee, wilde Äpfel, Jade, Porzellan, aber auch Waffen und Wissen wurden auf den Handelsrouten zwischen China und Europa ausgetauscht. 2013 rief China das Projekt Neue Seidenstraße aus. Auch hier geht es wieder um Transporte, wenn auch vor allem von Rohstoffen. Dafür entstehen Straßen und Bahntrassen in bisher unerschlossenen Abbaugebieten.
Mit der Ausstellung „Staub und Seide“im Weltmuseum Wien werden jetzt die historischen Routen mit den aktuellen Infrastrukturprojekten verwoben. Über 200 historische Objekte und Fotografien sind mit zeitgenössischen Kunstprojekten kombiniert. In einer „fragmentarischen Erzählung“, die sich auf die „Seitenwege der Seidenstraßen“konzentriert, auf die Zwischenräume und ihre Bewohner, wie Kuratorin Maria-Katharina Lang erklärt.
Immer wieder vermischt sie dafür die Zeiten – und auch die Genres, wenn gleich am Anfang auf fünf Monitoren die 9840 Kilometer lange Güterzugstrecke von China nach Hamburg von Paul Kolling zu sehen ist. Gegenüber fasziniert eine historische Bildrolle aus dem frühen 18. Jahrhundert, die das „gesamte Territorium unter dem Himmel“kartografiert, mit China, Mandschurei, Ostturkestan und Korea.
Historische Gewänder aus Goldstoff, Mäntel, die in der historischen Ikat-Technik bewoben sind, Steppmützen, aber auch kunstvolle Fliesen und Porzellan geben einen träumerischen Eindruck vom damaligen
Reichtum. Sie sind kombiniert mit drastischen Videoaufnahmen: Wir sehen verfallene Häuser in einem ehemaligen Uranabbaugebiet in Kirgisistan und Kolonnen von Lkw, die in der kargen, staubigen Wüste Gobi in der Mongolei Rohstoffe aus den kahlen Bergen abtransportieren.
Die Ausstellung ist voller kleiner Geschichten. Wie jener des ehemaligen mongolischen Sklaven und späteren Künstlers Feodor Ivannoff, der schon als Kind geraubt und verschleppt wurde. Auf Fragmenten von Monumentalgemälden sehen wir die
Schlacht von Qurman, mit der 1759 „Ostturkestan“in das chinesische Kaiserreich eingegliedert wurde. Umida Akhmedova gibt uns mit ihren Fotodokumentationen einen kleinen Einblick in den Alltag des usbekischen Volkes. Und die Malerin Nomin Bold erzählt in traditioneller Mongol-Zurag-Technik von den unsichtbaren Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart – ein schönes Zeugnis dafür, wie komplex kultureller Austausch heute geworden ist.
Wir sehen auch die Verbindung von chinesischer und islamischer Kultur, etwa in den arabischen Wasserpfeifen aus dem typisch chinesischen blau-weißen Porzellan. Was hier in Wien nur eine unter vielen Erzählungen ist, steht im Mittelpunkt einer großartigen Ausstellung im Louvre Abu Dhabi: „Drachen und Phönix“. In dem Prestigemuseum der Vereinigten Arabischen Emirate dienen 200 Objekte aus eigener Sammlung und 13 französischen Museen dazu, eine große Nähe zwischen zwei erst dominanten, dann marginalisierten Kulturen aufzuzeigen. Der Zeitraum spannt sich vom achten bis zum 18. Jahrhundert.
Hier Dekonstruktion, dort Geopolitik
Es beginnt chronologisch mit Terrakotta-Figuren neben islamischen Keramikgefäßen. Dann wird der Austausch von Machtsymbolen demonstriert, wenn buddhistische Elemente in islamischen Bildszenen auftauchen. Im 13. Jahrhundert beginnt der Export des blau-weißen Porzellans aus China. Zunehmend werden mythische Tiere wie Drache und Phönix als Motive für Gefäße und Teppiche übertragen. Die Schau zeigt auch die Nähe von chinesischen Tuschezeichnungen und arabischer Kalligrafie.
Grundtenor in Abu Dhabi ist die Idee einer gegenseitigen Inspiration, eines friedlichen und harmonischen Austauschs zwischen zwei „Hochweltkulturen“. Wie die Objekte in die französischen Museen gelangten, steht hier nicht zur Debatte. Der Fokus liegt auf Schönheit und kulturellem Reichtum, anhand dessen „neue historische Perspektiven entdeckt werden“sollen. Während in Wien unsere Vorstellungswelten der Seidenstraßen „dekonstruiert“werden, wie es Weltmuseums-Direktor Jonathan Fine im Katalog schreibt, intensiviert die Schau in Abu Dhabi einen geopolitischen Austausch.