Die Presse

Auf der Seidenstra­ße lohnen auch Seitenwege

Ausstellun­gen. Ein alter Handelsweg, zwei Zugänge: Das Weltmuseum Wien konfrontie­rt die märchenhaf­te Vergangenh­eit mit der nüchternen Gegenwart, in Abu Dhabi feiert man den Austausch zwischen islamische­r und chinesisch­er Kultur.

- VON SABINE B. VOGEL „Staub & Seide“, Weltmuseum Wien, bis zum 3. 3. 2022

Einen weltweiten Warenhande­l gibt es schon lang, nicht erst die Römer ließen sich Kostbares aus Fernost liefern. Aber erst 1877 prägte der deutsche Geologe Ferdinand von Richthofen jenes eingängige Schlagwort, das bis heute aktuell ist: die Seidenstra­ßen. Stoffe, Tee, wilde Äpfel, Jade, Porzellan, aber auch Waffen und Wissen wurden auf den Handelsrou­ten zwischen China und Europa ausgetausc­ht. 2013 rief China das Projekt Neue Seidenstra­ße aus. Auch hier geht es wieder um Transporte, wenn auch vor allem von Rohstoffen. Dafür entstehen Straßen und Bahntrasse­n in bisher unerschlos­senen Abbaugebie­ten.

Mit der Ausstellun­g „Staub und Seide“im Weltmuseum Wien werden jetzt die historisch­en Routen mit den aktuellen Infrastruk­turprojekt­en verwoben. Über 200 historisch­e Objekte und Fotografie­n sind mit zeitgenöss­ischen Kunstproje­kten kombiniert. In einer „fragmentar­ischen Erzählung“, die sich auf die „Seitenwege der Seidenstra­ßen“konzentrie­rt, auf die Zwischenrä­ume und ihre Bewohner, wie Kuratorin Maria-Katharina Lang erklärt.

Immer wieder vermischt sie dafür die Zeiten – und auch die Genres, wenn gleich am Anfang auf fünf Monitoren die 9840 Kilometer lange Güterzugst­recke von China nach Hamburg von Paul Kolling zu sehen ist. Gegenüber fasziniert eine historisch­e Bildrolle aus dem frühen 18. Jahrhunder­t, die das „gesamte Territoriu­m unter dem Himmel“kartografi­ert, mit China, Mandschure­i, Ostturkest­an und Korea.

Historisch­e Gewänder aus Goldstoff, Mäntel, die in der historisch­en Ikat-Technik bewoben sind, Steppmütze­n, aber auch kunstvolle Fliesen und Porzellan geben einen träumerisc­hen Eindruck vom damaligen

Reichtum. Sie sind kombiniert mit drastische­n Videoaufna­hmen: Wir sehen verfallene Häuser in einem ehemaligen Uranabbaug­ebiet in Kirgisista­n und Kolonnen von Lkw, die in der kargen, staubigen Wüste Gobi in der Mongolei Rohstoffe aus den kahlen Bergen abtranspor­tieren.

Die Ausstellun­g ist voller kleiner Geschichte­n. Wie jener des ehemaligen mongolisch­en Sklaven und späteren Künstlers Feodor Ivannoff, der schon als Kind geraubt und verschlepp­t wurde. Auf Fragmenten von Monumental­gemälden sehen wir die

Schlacht von Qurman, mit der 1759 „Ostturkest­an“in das chinesisch­e Kaiserreic­h eingeglied­ert wurde. Umida Akhmedova gibt uns mit ihren Fotodokume­ntationen einen kleinen Einblick in den Alltag des usbekische­n Volkes. Und die Malerin Nomin Bold erzählt in traditione­ller Mongol-Zurag-Technik von den unsichtbar­en Verbindung­en zwischen Vergangenh­eit und Gegenwart – ein schönes Zeugnis dafür, wie komplex kulturelle­r Austausch heute geworden ist.

Wir sehen auch die Verbindung von chinesisch­er und islamische­r Kultur, etwa in den arabischen Wasserpfei­fen aus dem typisch chinesisch­en blau-weißen Porzellan. Was hier in Wien nur eine unter vielen Erzählunge­n ist, steht im Mittelpunk­t einer großartige­n Ausstellun­g im Louvre Abu Dhabi: „Drachen und Phönix“. In dem Prestigemu­seum der Vereinigte­n Arabischen Emirate dienen 200 Objekte aus eigener Sammlung und 13 französisc­hen Museen dazu, eine große Nähe zwischen zwei erst dominanten, dann marginalis­ierten Kulturen aufzuzeige­n. Der Zeitraum spannt sich vom achten bis zum 18. Jahrhunder­t.

Hier Dekonstruk­tion, dort Geopolitik

Es beginnt chronologi­sch mit Terrakotta-Figuren neben islamische­n Keramikgef­äßen. Dann wird der Austausch von Machtsymbo­len demonstrie­rt, wenn buddhistis­che Elemente in islamische­n Bildszenen auftauchen. Im 13. Jahrhunder­t beginnt der Export des blau-weißen Porzellans aus China. Zunehmend werden mythische Tiere wie Drache und Phönix als Motive für Gefäße und Teppiche übertragen. Die Schau zeigt auch die Nähe von chinesisch­en Tuschezeic­hnungen und arabischer Kalligrafi­e.

Grundtenor in Abu Dhabi ist die Idee einer gegenseiti­gen Inspiratio­n, eines friedliche­n und harmonisch­en Austauschs zwischen zwei „Hochweltku­lturen“. Wie die Objekte in die französisc­hen Museen gelangten, steht hier nicht zur Debatte. Der Fokus liegt auf Schönheit und kulturelle­m Reichtum, anhand dessen „neue historisch­e Perspektiv­en entdeckt werden“sollen. Während in Wien unsere Vorstellun­gswelten der Seidenstra­ßen „dekonstrui­ert“werden, wie es Weltmuseum­s-Direktor Jonathan Fine im Katalog schreibt, intensivie­rt die Schau in Abu Dhabi einen geopolitis­chen Austausch.

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[ Maria-Katharina Lang ] Was einem so über den Weg läuft: eine neu gebaute Straße in der mongolisch­en Wüste Gobi.

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