„Oooch, Herr Baaachmann!“
Kino. Und, will man nach 217 Minuten fragen, wie geht es weiter? „Herr Bachmann und seine Klasse“ist eine der beglückendsten und kurzweiligsten Dokumentationen in letzter Zeit.
Da klampft er vor sich hin, der Klassenlehrer, und singt dazu, eine Art Ballade über Anton und Jakob und einen tiefen Fluss, ein Bub in der ersten Reihe grinst, ein anderer wirkt nervös, ein Mädchen ist eingeschlafen, viele hören zu, die Köpfe auf die Pulte gelegt, lauter dunkle Wuschelköpfe. „Na?“, fragt Herr Bachmann: „Worum ging es da eben?“„Um nackte Männer an einem Fluss.“„Und, was sagt ihr dazu?“Djengis findet das schlimm. Ayman muss lachen. „Hauptsache, sie lieben sich“, meint Rabia. Und Herr Bachmann erklärt, das sei doch ein schönes Schlusswort, die Stunde ist aus, die Kinder gehen in den Hof, aber nicht alle: Steffi, die erst seit Kurzem in Deutschland ist, drückt sich noch bei der Tafel herum. „Was meinst denn du?“, fragt Herr Bachmann. „Es ist eklig.“„Ja, aber warum?“„Weil es eklig ist.“„Aber was ist daran eklig?“Pause. „Ist es eklig, weil du gehört hast, dass es eklig ist?“Oder spüre sie den Ekel wirklich?
Da sagt Steffi, dass sie es nicht weiß. Und Herr Bachmann ist zufrieden. Sich nicht sicher sein, das ist ein Anfang.
Man könnte ihnen ewig zuschauen, jedenfalls weit länger als 217 Minuten, diesen Kindern und diesem Lehrer. Maria Speth hat sie etwa ein halbes Jahr begleitet, vom Spätherbst bis zum Frühsommer. Am Anfang sieht man noch, wie die Kinder fremdeln, sie verdecken wie zufällig ihre Gesichter, weichen der Kamera aus, lächeln verlegen im Wissen, dass sie jetzt gefilmt werden.
Doch irgendwann ist das Filmteam vergessen, und so lernen wir – die Dramaturgie ist so unaufdringlich wie raffiniert – die Schüler und Schülerinnen nach und nach kennen, nicht alle, dazu reicht leider die Zeit nicht, aber die meisten.
Da wäre Ferhan, die als einzige Kopftuch trägt und oft noch länger in der Klasse bleibt, und wenn Bachmann sie fragt, ob sie reden möchte, schüttelt sie den Kopf. Immerhin: Manchmal lächelt sie. Da ist Hassan, der mehrere Steine aufeinanderstapeln soll, eine Übung in Konzentration und Geduld, er möchte hinschmeißen, aber sein Lehrer lässt nicht locker. „Ooch, Herr Bachmann!“, ruft Hassan frustriert. Oder Steffi, schlau, ziemlich naseweis. Herr Bachmann bringt ihr Gitarrespielen bei. Wenn sie „Hejo, spann den Wagen an“spielt und er fällt in den Kanon mit ein, dann strahlt sie, und den Zuschauer möchte ich sehen, der da nicht beglückt mitlächeln muss.
„Silentium“– und Ruhe ist
Herr Bachmann, muss man wissen, ist am Ende des dokumentierten Schuljahres in Pension gegangen. Vielleicht hat er deshalb dem Film zugestimmt, ihm kann nichts mehr passieren, es ist schließlich nicht sicher, ob jeder in der Schulbehörde einverstanden ist mit seinen unorthodoxen Lehrmethoden. Damit, dass er den Kindern erklärt, sie mögen sich die Noten bitte nicht zu Herzen nehmen, er finde die auch blöd. Damit, dass er am liebsten zu musizieren scheint. Wo bleiben da Englisch, Mathe, Geschichte? Und warum bessert Herr Bachmann
Ferhan nicht aus, wenn sie beim Vorlesen ihrer Geschichte die Artikel durcheinanderbringt?
Vielleicht wären sie immerhin zufrieden, wie gut Bachmann seine Klasse im Griff hat. Wenn er „Silentium“sagt, ist Ruhe, zumindest beim zweiten Versuch halten auch Steffi und Ayman die geforderte Minute lang den Schnabel.
Die Kinder besuchen die 6. Klasse Gesamtschule, sie sind zwischen zwölf und 14 Jahre, ein schwieriges Alter. Manche sind ruppig, andere schnell beleidigt oder aufbrausend, viele sprechen nur gebrochen Deutsch, die Leistungsunterschiede sind gewaltig. Keine leichten Bedingungen. Und Maria Speth und Kameramann Reinhold Vorschneider halten auch drauf, wenn es wehtut. Wenn es eine Schlägerei gab. Wenn ein Kind eine wichtige Deutscharbeit verhaut hat. Wenn einer der Buben es „scheiße“findet, dass jene Klassenkameraden, die im Vokabeltest einen Fünfer kassiert haben, den Test wiederholen dürfen – und er soll denen auch noch helfen! „Die sind doch selber schuld“, meint er. Herr Bachmann erklärt, Jamie hält dagegen, die Diskussion wird ausgetragen. Das Ergebnis: Jamie wird seiner Schulkameradin nicht helfen. Diesmal jedenfalls. Das nächste Mal: Wer weiß. Und das ist viel.
Im Übrigen lernt eine Klasse auch Englisch, wenn sie mit Hingabe „Knockin’ on Heaven’s Door“singt. Ach, Frau Speth, jetzt wo wir die Kinder ins Herz geschlossen haben: Wir würden wirklich gern wissen, wie es mit ihnen weitergeht.