„Don Carlo“: Große Rochade im Escorial
Bei der Staatsopern-Wiederaufnahme unter Philippe Jordan dominiert
Ren´e Pape als König den Abend.
„Restate – Bleibt“, gebietet der König. Aus dem Mund von René Pape hat das Autorität, ohne dass Gewalt mitschwänge. Die Szene zwischen ihm und Boris Pinkhasovich als Posa, ein Höhepunkt des Abends, ist eine Auseinandersetzung ohne harte Bandagen. Vielmehr kreuzen sich politische Klingen in gegenseitiger Hochachtung. Man spürt: Das ist eine Art Liebesduett, zwischen einem enttäuschten Vater und dem Sohn, den er gern gehabt hätte. Ein in allen Facetten eindringlicher, in Größe leidender Monarch – und der für Wien neue Posa bietet ihm Paroli.
Vielleicht singt Pinkhasovich um Nuancen zu heldisch, was sich in ein paar gefährdeten Tönen rächt, aber durchwegs nuanciert, mit frei ausschwingenden Phrasen und der Fähigkeit zum noblen Triller, der ihn als einen im Hofzeremoniell versierten Kavalier ausweist.
Diesmal drehte sich das pandemisch beschleunigte Besetzungskarussell in eine günstige Richtung. Pape wäre dieser Tage als Gurnemanz angesetzt gewesen, in der zweiten Serie von Kirill Serebrennikovs „Parsifal“-Inszenierung, der im vergangenen April nur die Premiere vor Kameras und leerem Haus beschieden war. Da Pape die Probenzeit aber krankheitsbedingt nicht absolvieren konnte, holte man die Premierenbesetzung Georg Zeppenfeld als Gurnemanz zurück: Glück im Unglück. Das bedeutete auch, dass Pape frei war – und im parallel gespielten „Don Carlo“nach Absage des geplanten Großinquisitors an einer großen Rochade teilnehmen konnte: Ain Anger, äußerlich ein Turm von einem Mann, verzichtete auf die ihm angetragene Krone und schlüpfte in die Kutte des unbeugsamen, knorrig grollenden Glaubenshüters. Pape bestieg wieder den Thron – und das Publikum jubelte. Dazu noch Musikdirektor Philippe Jordan, dieser Tage im Dauereinsatz, als würdiger Einspringer für Franz WelserMöst, sowie immerhin achtbare Damen, Mar´ıa José Siri (statt Asmik Grigorian) als Elisabeth und die durchwegs sichere Eboli der Ekaterina Gubanova: Das alles konnte sich hören lassen.
Nur die Hauptfigur ist einmal mehr nicht dazu angetan, Posas Blut in freundschaftliche Wallung zu versetzen: Bei dem Tenor Fabio Sartori als Don Carlo bleibt trotz heldischer Expansion ein unerfüllter Rest, der wie ein Schatten auf die Umgebung fällt. (wawe)