„Die Frauen sind die Deppen . . .“
Interview. „Die Welt war so, wie ich sie zeige“, sagt die deutsche Regisseurin Julia von Heinz. Ihre Serie „Eldorado KaDeWe“handelt von Berlin in den 1920ern.
Die Presse: „Von Heinz“, diesen Namen könnten Sie in Österreich seit dem Adelsaufhebungsgesetz 1929 nicht mehr tragen. In Deutschland wurden 1919 zwar auch alle Standesvorrechte des Adels abgeschafft, aber die „Von“und „Zu“darf es immer noch geben.
Julia von Heinz: Ich fände es einfacher, wenn es sie nicht mehr gäbe. Denn hier heißt es ja, dass das „Von“Namensbestandteil ist. Aber dennoch ist es immer unklar, ob man mich unter „V“oder unter „H“findet. Überall, wo ich mich anmelden muss, wird mein Name immer dort und da gesucht – und nicht gefunden.
Während der Weihnachtsfeiertage ist „Eldorado KaDeWe“im Fernsehen zu sehen. Sie haben Regie geführt und mit Ihrem Mann das Drehbuch geschrieben. Wie kam es dazu?
Im September 2019 kamen die beiden Produktionsfirmen auf mich zu, weil sie etwas über das KaDeWe machen wollen. Das steht in Tradition sehr erfolgreicher historischer Formate wie „Adlon“, „Charité“, „Ku’damm“. Wir haben dann den Schwerpunkt auf die Enteignung gelegt, das KaDeWe wurde der jüdischen Familie Jandorf ja geraubt. Und ich wollte eine lesbische Liebesgeschichte erzählen und die lesbische Subkultur Berlins in den 1920er-Jahren zeigen. Unser Konzept wurde sehr schnell angenommen, und von da an fingen wir an, das Drehbuch zu schreiben.
Hat es Sie überrascht, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender bereit ist, diese Serie zu Weihnachten, dem Fest der Familie, auszustrahlen?
Mir war das besonders wichtig, und ich finde es toll. Die ARD verlässt damit ihre Komfortzone.
Haben wir diese neue Offenheit den von den Öffentlichen oft verdammten Streamingdiensten wie Netflix oder Amazon zu verdanken? Sie haben für ein breiteres und bunteres Themenspektrum gesorgt.
Das glaube ich schon. Und bei mir sind Streaming-Plattformen überhaupt nicht verdammt. Sie haben das öffentlich-rechtliche Fernsehen herausgefordert, denn die hatten auf einmal die berechtigte Sorge, junge Zuseher nicht halten zu können. Sie müssen sich der Frage stellen, wie sie die Jugend an sich binden können. Dadurch sind neue Türen aufgegangen, und vieles ist auf einmal möglich geworden, was früher nicht möglich war. Das merke nicht nur ich. Im Moment ist das ein sehr guter Ort, um zu arbeiten.
Auch bei „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“ist die Besetzung divers. Haben Sie darauf geachtet?
Interessanterweise habe ich das nun öfter gehört, dass mein Cast sehr divers sei. Das klingt fast so, als wäre ich einem Programm, einer politischen Ideologie gefolgt. Das ist aber nicht der Fall, sondern die Welt war 1920 so, wie ich sie zeige: viele Frauen, Schwarze und Queere, Menschen mit DownSyndrom, viele Juden. Immer nur von wichtigen Männern zu erzählen, die wichtige Dinge tun und dabei meist jüngere Frauen an ihrer Seite haben,
ZUR PERSON
Julia von Heinz ist deutsche Filmregisseurin und Drehbuchautorin. 1975 in Berlin geboren, schloss sie sich mit 15 Jahren der Antifa (Antifaschistische Aktion) an. Ihr Film über die Antifa „Und morgen die ganze Welt“wurde 2021 für den Oscar nominiert. Bei den Filmen „Ich bin dann mal weg“, „Katharina Luther“und dem Tatort „Für immer und dich“führte sie Regie. Am 27. 12. wird ihr neuestes Werk, die Serie „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“, im ARD ausgestrahlt und ist ab 21. 12. in der ARD Mediathek zu sehen.
das ist ideologisch. Da muss man einmal fragen: „Warum macht ihr das eigentlich?“Und ich glaube, die Antwort lautet: Jene, die das tun, haben den Wunsch, immer und immer wieder die heteronormativen Machtverhältnisse zu stabilisieren, indem sie als das „Normale“gezeigt werden. Die Männer sind die Versorger und die Frauen die Deppen, die umsonst die Reproduktionsarbeit machen und wenig Handlungsspielraum haben. Das merken wir während der Coronapandemie nur allzu deutlich.
Sie sagen, Sie zeigen die Zeit, wie sie 1920 in Berlin war. Wussten Sie, bevor Sie zu recherchieren begannen, wie unbefangen manche Frauen ihre Sexualität ausgelebt haben?
Als wir mit der Recherche anfingen und im Spinnboden-Archiv Berlin die Ausgaben der Zeitschrift „Liebende Frauen“durchforstet haben, war ich sehr überrascht. Da war eine sexuelle Emanzipation unter den Frauen, die es danach nie wieder gegeben hat. Das habe ich realisiert, als ich in den Annoncen las, was Frauen alles suchten, welche sexuellen Wünsche sie äußerten. Ich fand das schön zu sehen, dass Frauen schon einmal so gelebt haben.
Ein Film ist ein künstliches Konstrukt. Jede einzelne Szene wird akribisch vorbereitet. Wie merken Sie, ob es Ihnen gelingt, dem Ganzen Leben einzuhauchen?
Das ist der Moment vor dem Monitor. Ich sitze mit Kopfhörern davor, und wenn so gespielt wird, dass es mich erreicht, weiß ich schon: Es ist gut. Ich muss sehr oft weinen, wenn ich dasitze, ich muss auch viel lachen, aber ich spüre ganz genau, ob etwas echt aussieht oder nicht. Natürlich kann ich nur von mir ausgehen, ich bin die erste Zuschauerin.
Sie dürften sehr selbstbewusst sein. Sie haben sich achtmal – erfolglos – an Filmhochschulen beworben und trotzdem immer weitergemacht.
Tatsächlich hatte ich eine Gewissheit, dass irgendwann auch die anderen erkennen werden, dass ich gute Filme
machen kann. Das habe ich innerlich gespürt. Dennoch war die Zeit für mich schwer, denn ich dachte, der einzige Weg zur Regie führt über eine Filmhochschule. In diesen Zeiten war es unglaublich wichtig für mich, meinen Mann zu haben, der mir immer wieder sagte: „Das schaffst du auch anders.“Auch mein Mentor Rosa von Praunheim (Anm.: von Praunheim ist ein deutscher Film- und Theaterregisseur, Autor und Professor für Regie) hat mich täglich ermutigt. Und irgendwann habe ich mir gedacht: „Wenn ich jeden Tag etwas mache, um Regisseurin zu werden, muss irgendwann etwas dabei herauskommen.“So war es auch, wenngleich Glück ebenfalls eine Rolle spielt. Aber dazu kann man auch ein wenig beitragen, wenn man dem Glück Möglichkeiten schafft.
Lustig ist, dass Sie, die Sie nie an einer Filmhochschule akzeptiert wurden, nun Professorin für Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film München sind.
Ja, und darüber bin ich überglücklich. Die Filmhochschule war für mich immer ein Sehnsuchtsort, gerade weil ich dort nicht studiert habe. Und ich kann nur sagen, es ist absolut zu Recht ein Sehnsuchtsort für junge, aufstrebende Filmemacher. Und in den vergangenen zwei Jahren sind durch die Streamer die Möglichkeiten zu arbeiten mehr geworden. Ich bin sehr optimistisch, was die Zukunft meiner Studentinnen und Studenten betrifft.
Schön wäre es, wenn ihnen allzu viele Absagen erspart blieben. Denn jede einzelne beschämt einen irgendwie auch vor sich selbst.
Dieses Gefühl der Scham kann ich zu hundert Prozent nachempfinden. Dieses „Wie konnte ich nur denken, dass ich diejenige bin, die das machen darf oder soll? Wie konnte ich so größenwahnsinnig sein?“. Aber dazu kann ich nur sagen: Man darf sich nicht schämen, berühmt werden zu wollen. Etwas erzählen und ausdrücken zu wollen, sodass es auch gesehen werden kann. Und gerade Frauen tun das besonders oft. Das merke ich auch bei meinen Studentinnen.