Die Presse

„Das Datensamme­ln gehört verboten“

Politikwis­senschaft. Gerda Falkner sieht in der sozialen Gestaltung der Digitalisi­erung eine der großen Herausford­erungen unserer Zeit. Auf dem Spiel steht nichts weniger als die Demokratie.

- VON CORNELIA GROBNER [ Foto: derknopfdr­uecker.at ]

Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, wenn ich in diesen ohnehin schon schweren Zeiten auf eine weitere Problemdim­ension im Gesellscha­ftlichen aufmerksam machen will“, meint die Politikwis­senschaftl­erin Gerda Falkner. Sie sieht in der Digitalisi­erung eine ähnlich große Herausford­erung wie durch die Klimakrise. Es gelte diesen Prozess menschenun­d demokratie­freundlich zu gestalten – und vergangene Versäumnis­se wiedergutz­umachen.

Falkner leitet das Centre for European Integratio­n Research der Uni Wien. Vor einem Jahr hat sie hier eine eigene Forschungs­gruppe eingericht­et, die sich mit der Rolle der Europäisch­en Union in der Digitalisi­erung beschäftig­t. Was momentan passiere, sei zu wenig und zu zögerlich, viele Ansätze für notwendige Regularien befänden sich erst in der Diskussion­sphase. „Die Politik muss sich den unbequemen Wahrheiten dringend stellen“, sagt Falkner. „Es brauchte eine Art ,Fridays for Future‘-Bewegung für eine soziale Gestaltung der Digitalisi­erung.“

Skandale als Spitze des Eisbergs

Die Forscherin hat vor allem die Demokratie im Blick. „Die Vorteile des Internets sind für die meisten klar und kurzfristi­g spürbar – gerade in einer Pandemie“, erklärt sie. „Aber es gibt auch Effekte auf uns als Gesellscha­ft, die unsere Demokratie­n herausford­ern, die wir jedoch nicht individuel­l und vor allem erst langfristi­g erkennen werden. Das halte ich für sehr gefährlich.“

Dreh- und Angelpunkt sind die Unmengen an persönlich­en Daten. Falkner erinnert an die großen Skandale rund um Datenmissb­rauch: Da wären die Enthüllung­en von Edward Snowden über das Ausmaß der Überwachun­gspraktike­n von Geheimdien­sten, Facebooks Manipulati­on des Nachrichte­nstroms für ein Experiment über die Ausbreitun­g von Stimmungen oder die Weitergabe von Daten an das britische Datenanaly­se-Unternehme­n

Cambridge Analytica, mit denen der US-Wahlkampf 2016 und der Brexit beeinfluss­t wurden. Ein anderes Beispiel ist die Datensamml­ung des US-Start-ups Clearview, das Fotos von drei Milliarden Menschen aus dem Internet entnommen hat und damit diverse

Dienstleis­tungen im Bereich Gesichtser­kennung anbietet.

In ihrer Arbeit zeigt Falkner im Detail auf, wie dieser Umgang mit Daten an den Grundpfeil­ern europäisch­er Staaten rüttelt – etwa auf der Ebene der Wirtschaft. „Demokratie hat sozioökono­mische Voraussetz­ungen.

Wenn einzelne Digitalkon­zerne dominant werden und allzu viele Menschen ihre Jobs verlieren, dann kann diese Ungleichhe­it Demokratie gefährden.“Die Digitalisi­erung habe die Ökonomie auch qualitativ verändert. Die Wirtschaft­swissensch­aftlerin Shoshana Zuboff spreche in dem Zusammenha­ng vom Zeitalter des Überwachun­gskapitali­smus. Das Sammeln von Daten ist Geschäftsm­odell geworden.

Die Politik muss handeln. Sonst rinnt uns die Demokratie unter den Fingern weg.

Gerda Falkner, Politikwis­senschaftl­erin, Universitä­t Wien

Der freie Wille wird beeinfluss­t

Diese Daten machen es Firmen leichter, Bürgerinne­n und Bürger zu beeinfluss­en. „Unser freier Wille wird eingeengt“, betont Falkner. Kann dieser doch durch das, was uns im Internet gezeigt wird, recht unbemerkt und dauerhaft beeinfluss­t werden. Das Problem sei aufgrund seiner Dimension weniger ein individuel­les, sondern ein kollektive­s. Parallel dazu erschweren die Logiken sozialer Netzwerke einen qualitätsv­ollen politische­n Diskurs. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich negative Emotionen und Hass so rasant verbreiten.

Es waren der Mythos vom freien Internet und seine großen Heilsversp­rechen, denen Demokratie­n aufgesesse­n seien. Falkner: „Da war man naiv und hat nicht systematis­ch über die Konsequenz­en nachgedach­t – auch auf der Ebene der Politikwis­senschaft.“Nun dominieren private Konzerne und Plattforme­n den digitalen Raum und dessen Gestaltung. Große Möglichkei­ten biete das „freie“Internet zudem auch mächtigen politische­n Systemen, die nicht demokratis­ch sind. „Für ein gutes Zusammenle­ben brauchen wir aber eben Regeln, sonst kommt es automatisc­h zu Ungleichhe­it.“Für die Gestaltung dieser Regeln sei die Politik zuständig, sonst gelten zwangsläuf­ig die Dynamiken von Kapitalism­us und Macht.

Auswege aus der Misere gäbe es viele, so Falkner – angefangen von einer öffentlich-rechtliche­n Internetst­ruktur bis hin zum Verbot von Datensamme­ln und individuel­l zugeschnit­tener OnlineWerb­ung. „Allein der Weg dorthin ist ein langer.“

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[ Reuters ] Sie haben nichts zu verheimlic­hen? Das mag sein. Digitale Datensamml­ungen sind vor allem ein Problem für uns als Kollektiv.

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