Wer will schon eine Hütte?
Genau wie flussabwärts beim Kuchelauer Hafenbecken schicken sich auch bei der Badesiedlung Altenberg lokale Baulöwen an, die erste Reihe zu besetzen – und massiv in das Ensemble einzugreifen.
Mit Rad, Bahn oder Auto bieten sich drei Optionen einer Strecke, um von Wien ans rechte Ufer der Donau zu gelangen: Am Treppelweg stromaufwärts, von Klosterneuburg nach Kritzendorf und nach Höflein, fädeln sich von Weiden gesäumte Schotterstrände, Auwaldabschnitte und Siedlungen mit Badehütten auf, die ab Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet wurden. Nähert man sich Greifenstein, wird das Ufer steinig, und kurz vor dem Altarm weiß man auch, warum: In der Donau erhebt sich eine Staumauer, die sich quer gegen den Strom stemmt, um Strom zu erzeugen. 1985 wurde das Kraftwerk Greifenstein fertiggestellt, ihm hätte das Kraftwerk Hainburg als nächste Staustufe folgen sollen; aber das ist eine andere Geschichte.
An der Stelle lohnt ein Blick in historische Pläne: In einer Übersichtskarte der Donau in Wiens Umgegend von 1826, gezeichnet von Johann Orth, thront die Burg Greifenstein direkt an der Uferkante der noch unregulierten Donau mit einem gegen Westen weiten Blick über die wilde Flusslandschaft mit ihren Mäandern, Inseln und Auen und auf das einen Kilometer stromaufwärts gelegene Altenbergerdörfel. In den knapp 200 Jahren seit dieser Abbildung ist viel Wasser die Donau hinuntergeflossen: Der Fluss und seine Nebenläufe wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reguliert, und weitere 100 Jahre später wurde die Umbettung des Flusses vorgenommen, um ein Kraftwerk zu errichten.
Nachdem die Mondlandschaft der Baustelle geflutet wurde und die Natur sich in den vergangenen 35 Jahren regenerierte, bietet sich von der Burg in Richtung Altenberg eine beschauliche Perspektive: auf den Altarm der Donau, der ausschließlich Freizeitzwecken dient, und wo Reiher im seichten Wasser waten. Rundherum öffentlich zugänglich, ein „kleines Paradies“für Tagesausflügler und für die Bewohner:innen der Badesiedlung Altenberg. In Pacht oder Besitz sind sie glückliche Nutzer:innen einer aufgestelzten Badehütte, die „im Wesen ein Funktionsgebäude für die Freizeitgestaltung ist“, wie in den 2021 aktualisierten Richtlinien für das Bauland-Sondergebiet-Badehütten nachzulesen ist. Der „Hüttencharakteristik“entsprechend, seien sie nur „zum saisonalen und vorübergehenden Aufenthalt bestimmt“, denn eine Hütte entstand immer dort, wo sie schnell Schutz bieten sollte: auf der Alm, dem Berg oder eben am Wasser, sei es für Fischer, Naturliebhaber, Wassersportler oder Sonnenhungrige.
Die Badesiedlung Altenberg hatte sich aus Baracken jener Arbeiter entwickelt, die für die Donauregulierung eingesetzt waren und am Steinbruch Greifenstein die Blöcke für die Uferbegradigung brechen mussten. Nach dem Ersten Weltkrieg entdeckten verwegene Wiener:innen die Aulandschaft bei Altenberg und die Bademöglichkeiten in der Donau, pachteten ein Stück Land und errichteten kleine Hütten mit Terrassen, die wegen der stetigen Hochwassergefahr aufgestelzt wurden. Ab 1927 verfügten die Gemeinden die Parzellierung, um eine geordnete Bebauung zu gewährleisten, denn es kamen immer mehr Städter mit dem „Bäderzug“, genossen den urigen Rückzug vom Alltag, solange sie ein Hochwasser nicht zwang, nach Wien zurückzufahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es weitere Interessenten, der Pachtgrund musste offensichtlich der Au abgerungen werden, und so erhielt die Siedlungserweiterung den trefflichen Namen „Dschungeldorf“.
Anders als unterhalb der Staustufe Greifenstein, wo die Stelzensiedlungen von einem Hochwasser der Donau unmittelbar betroffen sind, ist diese Gefahr in Altenberg geringer geworden. Gebannt ist sie jedoch nicht, und die Gärten werden vom Hochwasser überschwemmt, wenn auch nicht mit starker Strömung. Trotzdem sieht man nebst klassischen Hütten vermehrt Einfamilienhäuser, überhaupt seit die Siedlung für ganzjähriges Wohnen freigegeben ist. Und obwohl seitens der Behörde klar formuliert ist, dass „die Konstruktionsunterkante des Gebäudes (Badehütte) wenigstens einen
Meter über dem Gelände“zu liegen hat, findet sich ein jüngst bei der Behörde eingelangter Einreichplan eines euphemistisch als „Baumeisterhaus“zu bezeichnenden Bauwerks, das statt des Freiraums über dem gewachsenen Boden ein rundum betoniertes Sockelgeschoß aufweist. Da staunen all jene, die sich um die Erhaltung des Holzbau-Ensembles bemühen, bestehende Hütten sanieren und neue von Architekt:innen planen ließen: Hat sich jemand wissentlich über alle Bebauungsbestimmungen hinweggesetzt? Wird die „Hüttencharakteristik“nun massiv umformuliert? Ist es Unkenntnis, Dreistheit oder Kulturlosigkeit, die einen Planer aus St. Andrä-Wördern das bestehende Ensemble und sämtliche Umweltauflagen negieren lässt? Kurz gefasst: Darf das wahr sein?!
Altenberg ist Teil der Gemeinde St. Andrä-Wördern, die Bewohner der Badesiedlung werden als „Badeschlapfler“bezeichnet; eine verbale Geringschätzung, die sich auch im Gebauten ausdrücken könnte: Hier wird geklotzt und nicht gekleckert – wir bauen ein „richtiges Haus“und keine Holzhütte! Und weil es in den Richtlinien für die Bebauung verabsäumt wurde, Baufluchtlinien festzulegen, soll sich besagtes dreigeschoßiges Einfamilienhaus (mit Lift) in die Vorgartenzone schieben, damit es noch näher am Wasser steht und hinter dem Haus westseitig einen größeren Garten hat. Dies wäre nicht nur die gebaute „Faust aufs Aug“des bestehenden Ensembles in der ersten Reihe am Altarm, sondern würde auch für die Allgemeinheit eine Beeinträchtigung bedeuten, denn der ehemalige Treppelweg mit der großzügigen Liegewiese am Wasser ist öffentlicher Raum für Erholungsuchende – mit oder ohne Badeschlapfen.
Der Druck auf das Bauland wächst, speziell am Wasser. Daher sollte die Schutzbedürftigkeit solch „kleiner Paradiese“wie in Greifenstein-Altenberg erkannt und rasch gehandelt werden, bevor jede Lücke in den Baugesetzen mit Kubatur gefüllt wird. In einem Leitfaden zum Schutzzonenmodell in Niederösterreich ist formuliert, worum es gehen sollte: „der Stadt ,ihr Gesicht‘ erhalten“. Dies gilt nicht nur für einzelne Bauwerke, sondern auch für „emsembleschutzwürdige Stadtbildzonen“oder „strukturbedeutsame Freiflächen“. Dies ist eine Kategorie, die exakt auf das Ensemble aus Architektur und Natur am Ufer des Altarmes zutrifft: eine Liegewiese am Wasser, mit Blick auf das bewaldete Ostufer, gesäumt von qualitätvoller Architektur aus Holz mit ausreichend Distanz zum Uferweg und zur badenden Allgemeinheit. Diese „Unverwechselbarkeit eines Siedlungsgebietes ist ihr höchstes Gut“, wie Architekt Andreas Fellerer in seinem gutachterlichen Einspruch gegen das erwähnte Bauprojekt schrieb. Mit der Bewilligung achtloser Bauten würde nicht nur die Badesiedlung Altenberg ihr Gesicht verlieren, sondern auch jene, die für die Erhaltung der Baukultur in Niederösterreich verantwortlich sind.