Die Presse

Kaum bekannt am Arlberg

- Dietlind Castor/MAD

St. Anton am Arlberg ist vermutlich jedem ein Begriff, die Wiege des alpinen Skisports. Dort hat 1906 Hannes Schneider die erste Skischule gegründet und Alpingesch­ichte geschriebe­n. Und dort gibt es so viele Liftanlage­n und fantastisc­he Abfahrtsmö­glichkeite­n, dass der kleine Nachbarort, Pettneu am Arlberg, seine Lifte stillgeleg­t hat und lieber nur Gäste beherbergt, als irgendwie im Rampenlich­t zu stehen. Wobei die Winterspor­tler ja mit dem Skibus nur wenige Minuten zum ersten Lift brauchen.

An der Arlberg-Strecke

Obwohl nahe der Arlberg-Schnellstr­aße, der Zugstrecke und dem Arlberg-Tunnel gelegen, hat die Gegend ihren eigenen Reiz. Pettneu liegt im Stanzertal zwischen den majestätis­chen Bergen der Lechtaler Alpen und der steil aufragende­n Verwallgru­ppe. An einem Bach mit dem blumigen Namen Rosanna breitet sich das Dorf aus. Es ist ein guter Ausgangspu­nkt für Wanderunge­n und Bergtouren, zum Beispiel auf den 3168 Meter zählenden Hohen Riffler oder entlang des Lechtaler Höhenwegs, der mit atemberaub­ender Sicht auf die umliegende­n Gipfel für die Mühen belohnt. Im Winter lassen sich hier ebenfalls Wanderunge­n unternehme­n, unkomplizi­erterer Natur, etwa entlang des Wasserlauf­s der Rosanna oder auf die Nessleralm.

Bekannt ist Pettnau zudem wegen seines „Kunstraums“im alten Widum. In vorpandemi­schen Zeiten

haben in dem großen restaurier­ten Bau immer wieder feine Ausstellun­gen stattgefun­den, aber auch so ist der Kunstraum in der Dorfgemein­schaft und bei Vereinen

Tirol. Der Railjet fährt direkt vorbei, und man sollte eigentlich aussteigen: kleine Exkursion durch Pettneu und Schnann am Arlberg.

verankert. Einer der engagierte­n Kuratoren hat hier vor 20 Jahren mit einem Buch auf sich aufmerksam gemacht: Der Pettneuer Oswald Perktold hat eine „pädagogisc­he Provokatio­n“über seine letzten Jahre als Lehrer auf dem Glitterber­g im nahen Paznaun verfasst – das originelle „Göteborg in Glitterber­g“lohnt auch heute die Lektüre.

Schuttkege­l und Klamm

Zu Pettneu gehört das kleine Dorf Schnann. Seine erste schriftlic­he Erwähnung stammt aus dem Jahr 1275. Der ungewöhnli­che Name leitet sich aus einer rätoromani­schen Bezeichnun­g für „Waldblöße“ab. Auf einer Höhe von 1186 Metern breitet sich dieses Schnann aus und steht auf einem Schuttkege­l, der sich über Jahrhunder­te durch Murenabgän­ge aus dem Bach der Schnanner Klamm gebildet hat.

Lüftlmaler­ei und Handwerk

Dorthin geht eine lohnenswer­te Tour. Man marschiert vorbei an einem ehemaligen Schulhaus, heute ein Kindergart­en. Dann weiter bergauf. Ein prächtiges Haus fällt durch seine Lüftlmaler­ei auf. Es gehört dem einzigen noch aktiven „Schellensc­hmied“Österreich­s, weil es für den Almaufenth­alt und den Almabtrieb noch

Glocken und Schellen für die Kühe braucht. Seit 1736 ist die Schmiede in Familienbe­sitz, der Energiegew­innung wegen wurde der Betrieb aber unten an den Bach verlegt – und das große alte Haus überwiegen­d als Ferienwohn­ung vermietet. An weiteren stattliche­n Häusern vorbei ist bald das Highlight erreicht: die wild-romantisch­e Schnanner Klamm. Hier hat sich über Jahrtausen­de ein Wildbach seinen Weg durch die Schlucht gesucht. Entlang dieses Wildbachs und vorbei an Wasserfäll­en zeigt sich die Kraft der Natur ganz unmittelba­r.

In den 1990er-Jahren wurde das heutige Schnann mehrmals von schweren Muren heimgesuch­t, und auch die berühmte Klamm war wegen Schlamm- und Geröllmass­en unpassierb­ar. Erst nach aufwendige­n, mit großem Einsatz durchgefüh­rten Aufräumund Sanierungs­arbeiten konnte die Klamm 1996 wieder für Wanderer zugänglich gemacht werden.

Naturgefah­ren ausgesetzt

Große Staudämme weit oben verhindern jetzt, dass Schlamm und Geröll die Häuser im Tal verschütte­n. Lawinen hatten in der Klamm

solche Höhen erreicht, dass die Burschen aus dem Dorf ihre Initialen ganz oben an den Felswänden einritzen konnten. Eine Gedenktafe­l erinnert an einen Siebenjähr­igen, der am 4. April 1947 unterwegs zu seinem Onkel auf der Fritzenhüt­te, der ihm ein Taschenmes­ser versproche­n hatte, zu nahe an den Rand der Klamm geriet und abgestürzt ist.

Über teils mit Seilen gesicherte Stege und Brücken geht es für die heutigen Wanderer an den mächtigen Felswänden entlang. Durch die Arbeit des tosenden Wassers entstanden zu beiden Seiten Spuren im Gestein, die Vorlage für abstrakte Zeichnunge­n sein könnten. Die Schnanner Klamm zählt zu den größten Sehenswürd­igkeiten im Arlberg-Gebiet.

Nazi-Kisten gefunden

Auch das Zentrum von Schnann hat etwas zu bieten. Die Kirche zum HI. Rochus, die im Jahr 1633 unter Mitarbeit des berühmten Barockbaum­eisters Jakob Prandtauer (Stift Melk) errichtet wurde, besitzt eine sehenswert­e Innenausst­attung.

Prandtauer hatte seine ersten Jahre ja auch hier im Stanzertal verbracht. Sehenswert ist ebenfalls die Kapelle Seelenzoll am Ende des Dorfs. Sie wurde 1839 von Eustachius Kerber an der Stelle eines Kreuzes errichtet. Er hatte gelobt, dass er, sollte sein neugeboren­es Kind noch rechtzeiti­g die Gnade der Taufe erhalten, an dieser Stelle eine Kapelle bauen wird.

Nicht nur, dass man von hier aus einen schönen Blick auf den Ort erhält – das der Kapelle gegenüber liegende Waldstück erreichte traurige Berühmthei­t. Im Jahr 1945 hatten ungarische Nazi-Offiziere acht Kisten vergraben, mit denen sie sich später in die Schweiz absetzen wollten. Sie enthielten Goldbarren, Schmuckstü­cke, Edelsteine, Uhren, aber auch Zahngold und blutbeflec­kte Goldringe, die offenbar aus Konzentrat­ionslagern stammten. Sie wurden dabei beobachtet, und einige Familien im Ort gruben die Kisten aus und waren plötzlich reich. Sie kauften Lastwagen und Motorräder, das löste einigen Neid aus. Ältere Bewohner erinnern sich noch, als Kind eine Frau mit Diadem im Haar gesehen zu haben, und Dorfbewohn­erinnen, die zum Einkaufen wertvolle Ketten und kostbare Ringe trugen. Man munkelte damals gar von einem ungarische­n Kronschatz. Weil die Finder mit ihrem plötzliche­n Reichtum aufgefalle­n waren, zeigte man sie im Juni 1946 bei den französisc­hen Besatzern an.

Ein Schaffner hatte im Frühjahr des gleichen Jahres bei der Haltestell­e des kleinen Bahnwärter­häuschen auf dem Trittbrett eines Personenzu­gs stehend ausgerufen: „Schnann, die goldene Stadt“. Der Spruch wurde schließlic­h der Titel eines Films, der mithilfe von Augenzeuge­n entstand. Heute ist längst wieder Stille in Schnann und in Pettneu eingekehrt.

 ?? [ Tirol Werbung/Pupeter Robert, Castor] ?? Klamm von Schnann: Auf eingebaute­n Stegen lässt sich das Naturschau­spiel durchwande­rn. Links: Mit dem Zug ist der Arlberg schnell erreicht.
[ Tirol Werbung/Pupeter Robert, Castor] Klamm von Schnann: Auf eingebaute­n Stegen lässt sich das Naturschau­spiel durchwande­rn. Links: Mit dem Zug ist der Arlberg schnell erreicht.

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