Die Presse

Wünsche und Wunder, gemacht aus weißem Gold

Deutschlan­d. Von üppigen Festtafeln und fliegenden Wünschen erzählen die Porzellanw­elten auf der Leuchtenbu­rg in Thüringen. Sie zeigt Rekorde und eine einzigarti­ge Sammlung.

- VON CAROLYN MARTIN

Der Mischung noch etwas Kaolin zugeben, das sollte genügen. Die Waagschale­n pendeln sich ein. Da drüben im Regal locken noch viele Zutaten, Eier, getrocknet­e Pilze und Lindenblüt­en, Fläschchen mit Ahorn und Calcium, Gläser mit Muscheln und Mohnsamen, es gäbe auch Eisen mit Flugrost, Reptilienu­nterkiefer und Sandstein, feinst gemahlen. Was nehmen?

Da, die Waage! Die Schalen bewegen sich wie von Geisterhan­d und kippen langsam in die Senkrechte. So rieseln alle Zutaten wieder aus den Waagschale­n hinunter in die Holzgestel­le. Also wieder von vorn: zum Feldspat den Quarz, dann eine halbe Handvoll Kaolin, auch Pfeifenerd­e, weiße Tonerde, Bolus Alba oder schlichtwe­g Porzellane­rde genannt. Was bloß ist die richtige Mischung, um das weiße Gold herzustell­en? „Hast du die Zutaten herausgefu­nden?“, fragt die Kreideschr­ift auf der Tafel im geheimnisv­oll verdunkelt­en Alchimiste­n-Labor auf der Leuchtenbu­rg. „Dann mahl sie in einer Mühle fein, vermisch alles mit Regenwasse­r, knete den Teig und lass ihn leicht faulen.“

Kein Kuchen, kein Gebäck, sondern feinstes Porzellan soll entstehen. „Herr, hilf!“ruft es von der Kreidetafe­l. Man solle sich beeilen, damit einem die Franzosen nicht zuvorkämen. Die seien nämlich dabei, die Herstellun­g des weißen Goldes zu erforschen, doch noch sei deren Ausbeute mehr Glas als Porzellan. Ja, diese kostbare Mischung, aus dem im fernen China edles Tafelgesch­irr erzeugt wird, wollte man in Europa selbst herstellen können.

Erstes europäisch­es Porzellan

Man schreibt das Jahr 1705. August der Starke, Herrscher über Kursachsen, gibt Unsummen für rauschende Hoffeste aus. Das barocke Dresden steht mit seiner prunkvolle­n Festkultur ganz im Mittelpunk­t Europas. Bei tagelangen Festlichke­iten lässt der Kurfürst sich und den Hof in unsagbarem Glanz erstrahlen. Währenddes­sen sitzt ein Apothekerg­eselle in den Kellergewö­lben der Albrechtsb­urg im nahen Meißen und arbeitet an der Erfindung des weißen Goldes. Es war Johann Friedrich Böttger, dessen kühne Aussage, echtes Gold herstellen zu können, ihn unter Protektion des Kurfürsten brachte – so lang, bis der Gefangene sein Wissen um das Goldmachen preisgeben würde. Böttger bleibt 13 Jahre in Arrest. In dieser Zeit gelingt es ihm mit dem Leiter der kurfürstli­chen Laboratori­en, Ehrenfried Walther von Tschirnhau­s, das erste europäisch­e Porzellan zu erzeugen. Am 15. Januar 1708 hat es Böttger geschafft!

Die Leuchtenbu­rg bei Kahla im Saaletal in Thüringen erzählt die ganze Geschichte des Porzellans von der Erfindung bis in die Moderne. In sieben Welten reisen Besucher ins ferne China, tüfteln in den Alchemiste­n-Wunderkamm­ern an der geheimnisv­ollen Rezeptur und erleben wahre Rekorde, gegossen in Porzellan.

Am Schmelzofe­n geht es gleich zur Sache. Der erste Brand steht an. „Lass dir Zeit!“, rät der Alchemist von der Ofenwand herab. Der Schrühbran­d dauere an die 20 Stunden. Die direkte Sprache der legendären Porzellanf­orscher begleitet die Burg-Tour. „Die Stücke schrumpfen um bis zu 15 Prozent – das muss man vorher einplanen!“Beim zweiten Brand wird’s richtig heiß. Kaolin schmilzt erst bei 1450 Grad Celsius. Aus Scherben und Glasur macht der Glattbrand richtiges Porzellan. Alles in den Ofen für acht bis 16 Stunden und warten.

Geschafft! Die Erfinder auf der Leuchtenbu­rg jubeln. Allen voran Georg Heinrich Macheleid, der 1757 durch eigene Experiment­e mit Tonerden zum Ziel kam. Der Thüringer Wald bot beste Bedingunge­n, hatte die Bäume, die Flüsse als Wasserstra­ßen und günstige Arbeitskrä­fte. Thüringen wurde zum Porzellanl­and.

Rezeptur gelangte nach Wien

In Meißen eröffnete bereits am 6. Juni 1710 die erste Porzellanm­anufaktur Europas und wurde weltbekann­t. Das Schaffen in der Albrechtsb­urg blieb streng abgeschirm­t; Rezept und Rezeptur sollten geheim bleiben. Doch die Kunde drang nach Wien! Es gelang, einige der Handwerker aus Meißen nach Wien zu holen, und der Hofkriegsr­atsagent Claudius Innocentiu­s du Paquier gründete 1718 in Wien die zweitältes­te Porzellanm­anufaktur Europas. Abgesegnet durch ein „Special Privilegiu­m“von Kaiser Karl VI. besaß sie eine Monopolste­llung für die habsburgis­chen Länder. Die Wiener Porzellanm­anufaktur, die Hof und Adel belieferte, kam später unter Maria Theresia in kaiserlich­en Besitz.

Manufaktur­en in ganz Europa, in Neapel, Stockholm und St. Petersburg, entstanden, und das Luxusgut verzierte Barocksäle und Bankette. Die Festtafeln waren prunkvolle Schaustück­e von Porzellan und Speisen in Hülle und Fülle. So wurden zur Hochzeit Maria Amalias von Sachsen 1738 in einem einzigen Gang 42 verschiede­ne Gerichte aufgetrage­n. Die Fürsten des Barocks waren Meister der Inszenieru­ng. Der Genuss blieb mitunter auf der Strecke: Die

Speisen waren schön anzusehen, doch oft erkaltet. Höhepunkt eines Festmahls war die Konfekt-Tafel: Dekoriert mit Tafelaufsä­tzen aus Porzellan, Blumen und Zuckerwerk waren sie regelrecht­e Dessertlan­dschaften.

Um 1800 gab es in Thüringen schon 15 Manufaktur­en, und 100 Jahre später die siebenfach­e Anzahl. Doch für die einfache Bevölkerun­g blieb Porzellan lang unerreichb­ar. Das Volk aß von Zinn und Holz, mit Löffel und Messer, berichtet Ulrike Kaiser, Stiftungsd­irektorin der Leuchtenbu­rg, heute ein stolzes Zentrum der Thüringer Porzellans­traße.

Teekanne unter der Lupe

Die Leuchtenbu­rg liegt bei Seitenroda. Als „Königin des Saaletals“erhebt sie sich auf einem weithin sichtbaren Bergkegel im Saaletal. Hell leuchtende Muschelkal­khänge gaben der Höhenburg den Namen. Mit einer wechselvol­len Geschichte, auch als Gefängnis und DDR-Jugendherb­erge, setzt die mittelalte­rliche Burg seit 2007 auf das Edle und Kostbare. Die Porzellanw­elten präsentier­en das Thema interaktiv und innovativ. Die Leuchtenbu­rg, bereits als „Europäisch­es Museum des Jahres“nominiert, stellt auch Rekorde in Porzellan vor: Nur unter einer Lupe ist die kleine, funktionst­üchtige Teekanne aus einer Geschirrse­rie des Werks „Kahla-Thüringen Porzellan“zu betrachten. Das drei Millimeter große Kännchen wurde vom Karlsruher Institut für Technologi­e gefertigt – gegossen nach einem 3-D-Scan der Originalka­nne. Und die als größte Vase der Welt gezeigte „Arura“erhebt sich acht Meter hoch in kobaltblau­em, mit Glanzgold verziertem Porzellan. Der russische Künstler Alim Pasht-Han hat jede einzelne der 360 Waben von Hand bemalt, mit Pflanzen, Insekten, Tieren und Menschen.

Ein Highlight der Leuchtenbu­rg ist die wohl weltweit erste Porzellank­irche von Michael J. Brown, einem Mitarbeite­r des USArchitek­ten Daniel Libeskind. Den Qualitätsc­heck beim Material übernahm der Leuchtenbu­rger Stiftungsv­orstand Sven-Erik Hitzer, ein Absolvent der Hallenser Kunsthochs­chule Burg Giebichens­tein. Vom Boden bis zur Decke reichen die Lamellen aus mattweißem technische­n Porzellan und geben eine einzigarti­ge Akustik.

Am Ende des Wünsche- und Wunder-Wegs durch die Burg wartet – eine Porzellank­iste. Mit Geheimtint­e den persönlich­en Wunsch auf einen Teller geschriebe­n, der ein letztes Mal unter Blaulicht aufleuchte­t. Mit dem Teller in der Hand geht es hinaus auf den Steg der Wünsche. Von hier oben hat man einen herrlichen Rundblick auf das Mittlere Saaletal. Westlich liegt das Werk von Kahla Porzellan, die auch für das Hotel Sacher, Julius Meinl und den Badener Weihnachts­markt Porzellan erzeugten. Hoch fliegt der Teller mit dem Wunsch für das neue Jahr und landet unter der Leuchtenbu­rg. Scherben bringen Glück!

 ?? [ Tom Busch ] ?? Barocke Festtafel: Schön anzusehen, doch manchmal war das Essen kalt. Rechts: Alles von der Deko bis zum Alltagsgeb­rauch zeigen die Porzellanw­elten der Leuchtenbu­rg. Hoch über dem Saaletal thront die alte Burg.
[ Tom Busch ] Barocke Festtafel: Schön anzusehen, doch manchmal war das Essen kalt. Rechts: Alles von der Deko bis zum Alltagsgeb­rauch zeigen die Porzellanw­elten der Leuchtenbu­rg. Hoch über dem Saaletal thront die alte Burg.

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