Wünsche und Wunder, gemacht aus weißem Gold
Deutschland. Von üppigen Festtafeln und fliegenden Wünschen erzählen die Porzellanwelten auf der Leuchtenburg in Thüringen. Sie zeigt Rekorde und eine einzigartige Sammlung.
Der Mischung noch etwas Kaolin zugeben, das sollte genügen. Die Waagschalen pendeln sich ein. Da drüben im Regal locken noch viele Zutaten, Eier, getrocknete Pilze und Lindenblüten, Fläschchen mit Ahorn und Calcium, Gläser mit Muscheln und Mohnsamen, es gäbe auch Eisen mit Flugrost, Reptilienunterkiefer und Sandstein, feinst gemahlen. Was nehmen?
Da, die Waage! Die Schalen bewegen sich wie von Geisterhand und kippen langsam in die Senkrechte. So rieseln alle Zutaten wieder aus den Waagschalen hinunter in die Holzgestelle. Also wieder von vorn: zum Feldspat den Quarz, dann eine halbe Handvoll Kaolin, auch Pfeifenerde, weiße Tonerde, Bolus Alba oder schlichtweg Porzellanerde genannt. Was bloß ist die richtige Mischung, um das weiße Gold herzustellen? „Hast du die Zutaten herausgefunden?“, fragt die Kreideschrift auf der Tafel im geheimnisvoll verdunkelten Alchimisten-Labor auf der Leuchtenburg. „Dann mahl sie in einer Mühle fein, vermisch alles mit Regenwasser, knete den Teig und lass ihn leicht faulen.“
Kein Kuchen, kein Gebäck, sondern feinstes Porzellan soll entstehen. „Herr, hilf!“ruft es von der Kreidetafel. Man solle sich beeilen, damit einem die Franzosen nicht zuvorkämen. Die seien nämlich dabei, die Herstellung des weißen Goldes zu erforschen, doch noch sei deren Ausbeute mehr Glas als Porzellan. Ja, diese kostbare Mischung, aus dem im fernen China edles Tafelgeschirr erzeugt wird, wollte man in Europa selbst herstellen können.
Erstes europäisches Porzellan
Man schreibt das Jahr 1705. August der Starke, Herrscher über Kursachsen, gibt Unsummen für rauschende Hoffeste aus. Das barocke Dresden steht mit seiner prunkvollen Festkultur ganz im Mittelpunkt Europas. Bei tagelangen Festlichkeiten lässt der Kurfürst sich und den Hof in unsagbarem Glanz erstrahlen. Währenddessen sitzt ein Apothekergeselle in den Kellergewölben der Albrechtsburg im nahen Meißen und arbeitet an der Erfindung des weißen Goldes. Es war Johann Friedrich Böttger, dessen kühne Aussage, echtes Gold herstellen zu können, ihn unter Protektion des Kurfürsten brachte – so lang, bis der Gefangene sein Wissen um das Goldmachen preisgeben würde. Böttger bleibt 13 Jahre in Arrest. In dieser Zeit gelingt es ihm mit dem Leiter der kurfürstlichen Laboratorien, Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, das erste europäische Porzellan zu erzeugen. Am 15. Januar 1708 hat es Böttger geschafft!
Die Leuchtenburg bei Kahla im Saaletal in Thüringen erzählt die ganze Geschichte des Porzellans von der Erfindung bis in die Moderne. In sieben Welten reisen Besucher ins ferne China, tüfteln in den Alchemisten-Wunderkammern an der geheimnisvollen Rezeptur und erleben wahre Rekorde, gegossen in Porzellan.
Am Schmelzofen geht es gleich zur Sache. Der erste Brand steht an. „Lass dir Zeit!“, rät der Alchemist von der Ofenwand herab. Der Schrühbrand dauere an die 20 Stunden. Die direkte Sprache der legendären Porzellanforscher begleitet die Burg-Tour. „Die Stücke schrumpfen um bis zu 15 Prozent – das muss man vorher einplanen!“Beim zweiten Brand wird’s richtig heiß. Kaolin schmilzt erst bei 1450 Grad Celsius. Aus Scherben und Glasur macht der Glattbrand richtiges Porzellan. Alles in den Ofen für acht bis 16 Stunden und warten.
Geschafft! Die Erfinder auf der Leuchtenburg jubeln. Allen voran Georg Heinrich Macheleid, der 1757 durch eigene Experimente mit Tonerden zum Ziel kam. Der Thüringer Wald bot beste Bedingungen, hatte die Bäume, die Flüsse als Wasserstraßen und günstige Arbeitskräfte. Thüringen wurde zum Porzellanland.
Rezeptur gelangte nach Wien
In Meißen eröffnete bereits am 6. Juni 1710 die erste Porzellanmanufaktur Europas und wurde weltbekannt. Das Schaffen in der Albrechtsburg blieb streng abgeschirmt; Rezept und Rezeptur sollten geheim bleiben. Doch die Kunde drang nach Wien! Es gelang, einige der Handwerker aus Meißen nach Wien zu holen, und der Hofkriegsratsagent Claudius Innocentius du Paquier gründete 1718 in Wien die zweitälteste Porzellanmanufaktur Europas. Abgesegnet durch ein „Special Privilegium“von Kaiser Karl VI. besaß sie eine Monopolstellung für die habsburgischen Länder. Die Wiener Porzellanmanufaktur, die Hof und Adel belieferte, kam später unter Maria Theresia in kaiserlichen Besitz.
Manufakturen in ganz Europa, in Neapel, Stockholm und St. Petersburg, entstanden, und das Luxusgut verzierte Barocksäle und Bankette. Die Festtafeln waren prunkvolle Schaustücke von Porzellan und Speisen in Hülle und Fülle. So wurden zur Hochzeit Maria Amalias von Sachsen 1738 in einem einzigen Gang 42 verschiedene Gerichte aufgetragen. Die Fürsten des Barocks waren Meister der Inszenierung. Der Genuss blieb mitunter auf der Strecke: Die
Speisen waren schön anzusehen, doch oft erkaltet. Höhepunkt eines Festmahls war die Konfekt-Tafel: Dekoriert mit Tafelaufsätzen aus Porzellan, Blumen und Zuckerwerk waren sie regelrechte Dessertlandschaften.
Um 1800 gab es in Thüringen schon 15 Manufakturen, und 100 Jahre später die siebenfache Anzahl. Doch für die einfache Bevölkerung blieb Porzellan lang unerreichbar. Das Volk aß von Zinn und Holz, mit Löffel und Messer, berichtet Ulrike Kaiser, Stiftungsdirektorin der Leuchtenburg, heute ein stolzes Zentrum der Thüringer Porzellanstraße.
Teekanne unter der Lupe
Die Leuchtenburg liegt bei Seitenroda. Als „Königin des Saaletals“erhebt sie sich auf einem weithin sichtbaren Bergkegel im Saaletal. Hell leuchtende Muschelkalkhänge gaben der Höhenburg den Namen. Mit einer wechselvollen Geschichte, auch als Gefängnis und DDR-Jugendherberge, setzt die mittelalterliche Burg seit 2007 auf das Edle und Kostbare. Die Porzellanwelten präsentieren das Thema interaktiv und innovativ. Die Leuchtenburg, bereits als „Europäisches Museum des Jahres“nominiert, stellt auch Rekorde in Porzellan vor: Nur unter einer Lupe ist die kleine, funktionstüchtige Teekanne aus einer Geschirrserie des Werks „Kahla-Thüringen Porzellan“zu betrachten. Das drei Millimeter große Kännchen wurde vom Karlsruher Institut für Technologie gefertigt – gegossen nach einem 3-D-Scan der Originalkanne. Und die als größte Vase der Welt gezeigte „Arura“erhebt sich acht Meter hoch in kobaltblauem, mit Glanzgold verziertem Porzellan. Der russische Künstler Alim Pasht-Han hat jede einzelne der 360 Waben von Hand bemalt, mit Pflanzen, Insekten, Tieren und Menschen.
Ein Highlight der Leuchtenburg ist die wohl weltweit erste Porzellankirche von Michael J. Brown, einem Mitarbeiter des USArchitekten Daniel Libeskind. Den Qualitätscheck beim Material übernahm der Leuchtenburger Stiftungsvorstand Sven-Erik Hitzer, ein Absolvent der Hallenser Kunsthochschule Burg Giebichenstein. Vom Boden bis zur Decke reichen die Lamellen aus mattweißem technischen Porzellan und geben eine einzigartige Akustik.
Am Ende des Wünsche- und Wunder-Wegs durch die Burg wartet – eine Porzellankiste. Mit Geheimtinte den persönlichen Wunsch auf einen Teller geschrieben, der ein letztes Mal unter Blaulicht aufleuchtet. Mit dem Teller in der Hand geht es hinaus auf den Steg der Wünsche. Von hier oben hat man einen herrlichen Rundblick auf das Mittlere Saaletal. Westlich liegt das Werk von Kahla Porzellan, die auch für das Hotel Sacher, Julius Meinl und den Badener Weihnachtsmarkt Porzellan erzeugten. Hoch fliegt der Teller mit dem Wunsch für das neue Jahr und landet unter der Leuchtenburg. Scherben bringen Glück!