Relaxen wie Rockefeller
USA. Auf Jekyll Island verbrachten einst die Besitzer eines Sechstels des Weltvermögens den Winter. Heute können das all jene, die ruhig bleiben, wenn das Handy einmal keinen Empfang hat.
Sonne, Sand und Meer sind zwar schöne Rahmenbedingungen, um den Winter zu verbringen. Fast genauso viel trägt zum Vergnügen aber bei, in welcher Gesellschaft man sich befindet. Was schon immer – man kann es mögen oder nicht – auch über den Preis geregelt wurde. In beide Richtungen: Im thailändischen Backpacker-Hostel muss man sich nicht vor Schnöseln in Designer-Sandalen fürchten; in der spanischen Golfanlage nicht vor Backpackern, die immer dasselbe T-Shirt tragen. Vor dem Aufkommen des Massentourismus schien diese Trennung noch wesentlich schärfer. Da zogen sich die Superreichen in ihre eigenen Reviere zurück, zu denen das gemeine Fußvolk keinen Zutritt hatte – zumindest solang es nicht servierte, kochte oder den Rasen mähte.
Zu den elitärsten dieser Orte gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts Jekyll Island, eine kleine Insel im Grenzland zwischen den US-Bundesstaaten Florida und Georgia, wo sich einst im Winter ein Sechstel des gesamten Weltvermögens versammelte – genauer gesagt deren Besitzer. Hier verbrachten die Rockefellers (Öl), Morgans und Astors (Banken) und Vanderbilts (Eisenbahn) genauso die kalten Winter wie Verleger Pulitzer, Stahlkönig Carnegie und der Industrielle Frank Henry Goodyear. Was für die heutigen Reisenden insofern interessant ist, als dass der Jekyll Island Club erhalten blieb und eine Art Zeitreise in die elegant-elitäre Welt der amerikanischen Vorkriegsgeschichte ermöglicht. Dafür muss man kein Milliardär sein: Heute beginnen die Preise bei rund 175 Euro für das Doppelzimmer.
Insel heute unter Naturschutz
Diese Zeitreise beginnt schon bei der Anfahrt: Über einen langen Damm erreicht man die zu den Barrier Islands vor der Küste Georgias gehörende Insel und zahlt noch ganz jetztzeitig per Kreditkarte acht Dollar für Zutritt und freies Parken. Nach der nächsten Brücke biegt man dann aber ab zum Club – und befindet sich, während der Blinker noch tickt, bereits abseits des Alltags. Die Straße ist schmal und gewunden, auf der Seite taucht nach wenigen Hundert Metern ein kleiner gekiester Parkplatz auf, auf dem neben zwei Golfcarts genau nichts zu sehen ist. Außer viele mächtige Eichen, von denen südstaatentypisch Spanish Moss herunterhängt, und zwei Bänke am Ufer, um ein wenig ins Wasser zu starren – einfach so.
Diese Art Idyll gibt es auf Jekyll reichlich, denn die 23 Quadratkilometer große BarrierInsel blieb durch einiges Hin und Her zwischen den Besitzern vor gröberen Eingriffen in die Natur verschont – die reichen Herren konnten sich nach dem Ende des Clubs mit dem Staat nicht auf einen Preis einigen, weshalb dieser die Insel kurzerhand gegen vorgebliche Steuerschulden eintauschte und unter Naturschutz stellte. Entsprechend erfüllt sie nicht nur ihre Schutzfunktion für das dahinterliegende Festland, sondern ist ebenso ein beliebter Nistplatz für Meeresschildkröten. Über hundert Nester werden hier jährlich zwischen Mai und August gegraben; nach Angaben der Naturschützer sind daraus in der vergangenen Saison über 8000 Schlüpflinge ins Meer gewandert. Außerdem lassen sich vor der Küste Delfine beobachten. Waschbären, Alligatoren und Schlagen leben hier genauso wie Reiher und Hirsche.
Elf von 17 Cottages stehen noch
Fünf Minuten nach Verlassen des kleinen Rastplatzes fährt man dann am Clubhaus vor – standesgemäß wie einst unter einer „Porte-cochère“, wie Amerikaner gern auch die schlichtesten Vordächer vor Hotels, Einkaufszentren oder Kirchen nennen. Dieses hier jedoch verdient seinen Namen und gehört bereits seit 1887 zum Club. Das Haus dazu ist im Queen-Anne-Stil gebaut, hat zwar ein Türmchen, scheint sonst aber verhältnismäßig unprätentiös für die einst erlauchte Gesellschaft. Zunächst fanden rund 60 Mitglieder des elitären Vereins hier Platz, doch es dauerte nicht lang, bis das Gebäude trotz seiner vielen Räume angesichts der wachsenden Mitgliederzahl schnell an seine Grenzen kam. Nach und nach wurden 17 „Cottages“auf dem Gelände errichtet, die bis zu 26 Zimmer und 17 Bäder haben konnten – jeweils.
Später kam dann eines der ersten „Condominiums“dazu – jene spezielle amerikanische Art von Eigentumswohnungen, in denen ein „Board“darüber wacht, wer Einheiten kaufen und beziehen darf. Auf Jekyll waren die Regeln besonders streng: Weder Kinder noch Geliebte waren im „Sans Soucis“erwünscht; was die Herren Rockefeller und Astor nicht störte, die hier bald nach der Fertigstellung legendäre Nachbarn wurden.
Welchen Lebensstil die Gesellschaft dabei genoss, lässt Maria bei einer historischen Rundfahrt über das Gelände lebendig werden. Bei der Tour können nicht nur manche Cottages – elf Gebäude stehen noch – besichtigt werden, sondern man bekommt auch ein gutes Bild dieser Zeit. So kamen die meisten Club-Mitglieder nach den Feiertagen Anfang Jänner nach Jekyll, die Saison dauerte bis März. „Von den Damen wurde dabei erwartet, dass sich mindestens dreimal am Tag umzogen“, erklärt Maria – was einen Garderobenumfang von rund 100 Kleidern plus passenden Hüten, Handschuhen und Schmuck notwendig machte, die allein schon einige Zimmer in den Cottages gefüllt haben dürften. Zudem gab es auf dem kleinen Eiland einige Anlässe, für die man definitiv passend gekleidet sein wollte: So wurde am 25. Jänner 1915 von hier aus in Anwesenheit von J.P. Morgan Jr. und William Rockefeller das erste transkontinentale Telefonat geführt und trafen sich 1910 unter strengster Geheimhaltung die führenden Banker des Landes, um den sogenannten Aldrich-Plan zur Einführung der Federal Reserve, der US-Notenbank, zu verfassen.
Holzgestalten und Rattanmöbel
Zur Entspannung verbrachte man die Tage mit Picknicks, Konzerten, in der Tennishalle, beim Flanieren, Fischen und an den Stränden der Insel. Zu denen gehört unter anderem der legendäre Driftwood Beach, der seinerzeit schon besonders pittoresk gewesen sein dürfte: Hier sorgt die Erosion dafür, dass Pinien und Eichen sich nicht mehr im Boden halten können und das tote Holz bizarre Gestalten am Strand darstellt – die in knapp 70.000 Instagram-Posts ausgiebig festgehalten sind.
Grundsätzlich entstammt das heutige Publikum hier jedoch eher der Vor-InstaGeneration. Wer zum Tee auf der umlaufenden Holzterrasse des 1985 wiedereröffneten Clubhauses sitzt, stört sich nicht daran, dass in manchen Zimmern kein Mobil-Empfang ist. Auf den Tischen inmitten der Rattanmöbel sieht man kaum Handys, und manche älteren Gäste erzählen, dass sie einst ihren Honeymoon hier verbracht haben. Irgendwie strahlt diese andere Geschwindigkeit aus. Sie lässt einen gemütlich zwischen den großen, alten Bäumen zur Schildkröten-Rettungsstation auf dem Resortgelände schlendern und pünktlich zum Sonnenuntergang und Abendessen auf dem Holzdeck des hauseigenen Wharf-Restaurants erscheinen, an dem später auch das Boot mit den heimkehrenden Angel-Ausflüglern anlegt. Und wenn man nicht genau hinschaut, wie diese – ebenso entspannt und unerwartet leise – von Bord und über das Deck gehen, um sich zum Abendessen umzuziehen, könnte man fast glauben, die Gesellschaft von damals sei gerade von ihrem Tagesausflug zurückgekommen.