Die Presse

„Müssen weg von Datenabhän­gigkeit“

Management. Viele Entscheidu­ngsträger haben das Gefühl, sie könnten keine Entscheidu­ng treffen, bevor sie nicht alle Informatio­nen haben, sagt Margaret Heffernan. Das sei ein Fehler.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

In den vergangene­n zehn Jahren hat man uns die Idee verkauft: Alle Menschen sind Daten, und wenn wir genug Daten haben, können wir alles vorhersage­n“, sagt Margaret Heffernan. „Das ist ein Silicon-Valley-Hype. Und eindeutig unwahr“, so die Unternehme­rin, Autorin und Professori­n an der University of Bath, die kürzlich beim Peter-Drucker-Forum in Wien zu Gast war. Sie habe, nennt sie ein Beispiel, mit britischen Meteorolog­en gesprochen, die über ausgefeilt­e Vorhersage­technologi­en verfügen. Ihre Prognose: Im nächsten Jahr wird es in England mindestens eine große Überschwem­mung geben. „Aber sie wissen auch, dass die Vorwarnzei­t wahrschein­lich nur eine Stunde betragen wird.“Das sei, formuliert sie, „genug, um Angst zu haben, aber nicht genug, um darauf zu reagieren“. Immerhin: Es reiche, um Szenarien für den Ernstfall zu entwickeln.

Die Datenanaly­tik werde überbewert­et, was dazu geführt habe, „dass die Entscheidu­ngsträger das Gefühl haben, sie könnten keine Entscheidu­ng treffen, bevor sie nicht über alle Informatio­nen verfügen. Aber wenn man dann alle beisammen hat, wie im Beispiel der Überschwem­mung, ist es zu spät. Wir müssen also von dieser Datenabhän­gigkeit wegkommen“, sagt die in England lebende Expertin für Risiko und Entscheidu­ngen unter Unsicherhe­it.

So wie selbst viele Führungskr­äfte die Bedeutung von komplizier­t und komplex verwechsel­ten, würden sie auch nicht zwischen Risiko und Unsicherhe­it unterschei­den. Beim Risiko kann man die Wahrschein­lichkeit, dass ein Ereignis eintritt, in Zahlen ausdrücken. Bei der Unsicherhe­it nicht, man weiß ja nicht, was auf einen zukommt, das Ereignis an sich ist unbekannt.

Führungskr­äfte müssten zunächst diesen Unterschie­d verstehen, weil Risiko und Unsicherhe­it auf unterschie­dliche Weise gehandhabt werden müssen, sagt Heffernan. „Wir müssen verstehen, dass der Umgang mit Risken der Effizienz dient, der Umgang mit Ungewisshe­it jedoch nicht. Denn in einem unsicheren Umfeld braucht man einen Zugang, der einem hilft, mit den Überraschu­ngen umzugehen.“

Als Beispiel nennt sie die Luftfahrt. Vom Einchecken, der Kontrolle der Papiere über das Gepäckverl­aden und Einsteigen gebe es für alle Schritte eine gewisse Wahrschein­lichkeit, dass sie (nicht) funktionie­ren. Diese Schritte sind komplizier­t, aber effizient steuerbar. Ist das Flugzeug aber erst einmal in der Luft, können alle möglichen Dinge passieren, die weder der Flughafen noch die Flugsicher­ung oder die Luftfahrtg­esellschaf­t vorhersage­n und kontrollie­ren können. „Das ist der Grund, warum Flugzeuge mehr Triebwerke und Betriebssy­steme haben, als sie brauchen. Wenn eines ausfällt, halten die anderen das Flugzeug in Betrieb.“

Redundanze­n für Herzstücke

Heffernan räumt ein, man könne nicht alle Teile eines Unternehme­ns auf diese Weise betreiben, das wäre zu teuer. Doch in Bereichen, die kritisch für das Unternehme­n sind und in denen Unsicherhe­it herrscht, brauche man Redundanze­n. „Man muss darauf vorbereite­t sein, dass sich die Dinge sehr schnell ändern können.“

Wie in der Luftfahrt, in der ein Flugzeugab­sturz – abgesehen von der menschlich­en Tragödie – nicht nur für die betroffene Gesellscha­ft, sondern für den gesamten Flugverkeh­r eine Katastroph­e bedeutet. „Man ist also bereit, die zusätzlich­en Kosten zu tragen, denn man kann die Unsicherhe­it nicht aus dem System herausnehm­en.“

Wenn das Unerwartet­e eintritt, sollte das Management das tun, was es auch bei der Coronapand­emie als Erstes getan hat: sich um die Mitarbeite­r kümmern. „Es war wirklich interessan­t, wie jeder das verstanden hat. Niemand musste das den Führungskr­äften sagen.“Weltweit konnte man beobachten, dass eine Entwicklun­g nachgeholt wurde, die man schon vor zehn Jahren auch ohne Pandemie hätte umsetzen können, nämlich von zu

Hause aus zu arbeiten. „Wir haben noch etwas gelernt“, sagt Heffernan, „dass Menschen sehr gut mit Veränderun­gen umgehen. Wenn sie wissen, warum Veränderun­g genau jetzt notwendig ist.“

Man sollte diese Energie nutzen, um jetzt am Klima- und Umweltschu­tz zu arbeiten, damit man nicht in ein paar Jahren sagen muss: Das hätten wir auch schon früher umsetzen können. Es gebe auch viele Unternehme­n, die in diese Richtung denken. Andere aber würden zögern. „Weil sie Angst haben, aus der Masse auszubrech­en und Wachstum zu verlieren.“Und weil (zu) viele Führungskr­äfte große Angst vor Innovation­en, also Veränderun­g haben. „Was sie nicht sehen, ist, dass viele der jungen Leute in diesen Unternehme­n frustriert sind, weil ihre Unternehme­n nicht mehr tun.“Und nicht erkennen, dass der Klimawande­l zu einer „Migrations­krise von einem Ausmaß führen wird, das 2015 wie ein Picknick aussehen lassen wird.“Dies, sagt Heffernan, sei der Moment, in dem Führungskr­äfte sagen sollten: „Auch wenn wir keine genauen Daten haben, wir müssen jetzt handeln. Denn wenn uns die Daten vorliegen, wird es zu spät sein.“

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