„Müssen weg von Datenabhängigkeit“
Management. Viele Entscheidungsträger haben das Gefühl, sie könnten keine Entscheidung treffen, bevor sie nicht alle Informationen haben, sagt Margaret Heffernan. Das sei ein Fehler.
In den vergangenen zehn Jahren hat man uns die Idee verkauft: Alle Menschen sind Daten, und wenn wir genug Daten haben, können wir alles vorhersagen“, sagt Margaret Heffernan. „Das ist ein Silicon-Valley-Hype. Und eindeutig unwahr“, so die Unternehmerin, Autorin und Professorin an der University of Bath, die kürzlich beim Peter-Drucker-Forum in Wien zu Gast war. Sie habe, nennt sie ein Beispiel, mit britischen Meteorologen gesprochen, die über ausgefeilte Vorhersagetechnologien verfügen. Ihre Prognose: Im nächsten Jahr wird es in England mindestens eine große Überschwemmung geben. „Aber sie wissen auch, dass die Vorwarnzeit wahrscheinlich nur eine Stunde betragen wird.“Das sei, formuliert sie, „genug, um Angst zu haben, aber nicht genug, um darauf zu reagieren“. Immerhin: Es reiche, um Szenarien für den Ernstfall zu entwickeln.
Die Datenanalytik werde überbewertet, was dazu geführt habe, „dass die Entscheidungsträger das Gefühl haben, sie könnten keine Entscheidung treffen, bevor sie nicht über alle Informationen verfügen. Aber wenn man dann alle beisammen hat, wie im Beispiel der Überschwemmung, ist es zu spät. Wir müssen also von dieser Datenabhängigkeit wegkommen“, sagt die in England lebende Expertin für Risiko und Entscheidungen unter Unsicherheit.
So wie selbst viele Führungskräfte die Bedeutung von kompliziert und komplex verwechselten, würden sie auch nicht zwischen Risiko und Unsicherheit unterscheiden. Beim Risiko kann man die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt, in Zahlen ausdrücken. Bei der Unsicherheit nicht, man weiß ja nicht, was auf einen zukommt, das Ereignis an sich ist unbekannt.
Führungskräfte müssten zunächst diesen Unterschied verstehen, weil Risiko und Unsicherheit auf unterschiedliche Weise gehandhabt werden müssen, sagt Heffernan. „Wir müssen verstehen, dass der Umgang mit Risken der Effizienz dient, der Umgang mit Ungewissheit jedoch nicht. Denn in einem unsicheren Umfeld braucht man einen Zugang, der einem hilft, mit den Überraschungen umzugehen.“
Als Beispiel nennt sie die Luftfahrt. Vom Einchecken, der Kontrolle der Papiere über das Gepäckverladen und Einsteigen gebe es für alle Schritte eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie (nicht) funktionieren. Diese Schritte sind kompliziert, aber effizient steuerbar. Ist das Flugzeug aber erst einmal in der Luft, können alle möglichen Dinge passieren, die weder der Flughafen noch die Flugsicherung oder die Luftfahrtgesellschaft vorhersagen und kontrollieren können. „Das ist der Grund, warum Flugzeuge mehr Triebwerke und Betriebssysteme haben, als sie brauchen. Wenn eines ausfällt, halten die anderen das Flugzeug in Betrieb.“
Redundanzen für Herzstücke
Heffernan räumt ein, man könne nicht alle Teile eines Unternehmens auf diese Weise betreiben, das wäre zu teuer. Doch in Bereichen, die kritisch für das Unternehmen sind und in denen Unsicherheit herrscht, brauche man Redundanzen. „Man muss darauf vorbereitet sein, dass sich die Dinge sehr schnell ändern können.“
Wie in der Luftfahrt, in der ein Flugzeugabsturz – abgesehen von der menschlichen Tragödie – nicht nur für die betroffene Gesellschaft, sondern für den gesamten Flugverkehr eine Katastrophe bedeutet. „Man ist also bereit, die zusätzlichen Kosten zu tragen, denn man kann die Unsicherheit nicht aus dem System herausnehmen.“
Wenn das Unerwartete eintritt, sollte das Management das tun, was es auch bei der Coronapandemie als Erstes getan hat: sich um die Mitarbeiter kümmern. „Es war wirklich interessant, wie jeder das verstanden hat. Niemand musste das den Führungskräften sagen.“Weltweit konnte man beobachten, dass eine Entwicklung nachgeholt wurde, die man schon vor zehn Jahren auch ohne Pandemie hätte umsetzen können, nämlich von zu
Hause aus zu arbeiten. „Wir haben noch etwas gelernt“, sagt Heffernan, „dass Menschen sehr gut mit Veränderungen umgehen. Wenn sie wissen, warum Veränderung genau jetzt notwendig ist.“
Man sollte diese Energie nutzen, um jetzt am Klima- und Umweltschutz zu arbeiten, damit man nicht in ein paar Jahren sagen muss: Das hätten wir auch schon früher umsetzen können. Es gebe auch viele Unternehmen, die in diese Richtung denken. Andere aber würden zögern. „Weil sie Angst haben, aus der Masse auszubrechen und Wachstum zu verlieren.“Und weil (zu) viele Führungskräfte große Angst vor Innovationen, also Veränderung haben. „Was sie nicht sehen, ist, dass viele der jungen Leute in diesen Unternehmen frustriert sind, weil ihre Unternehmen nicht mehr tun.“Und nicht erkennen, dass der Klimawandel zu einer „Migrationskrise von einem Ausmaß führen wird, das 2015 wie ein Picknick aussehen lassen wird.“Dies, sagt Heffernan, sei der Moment, in dem Führungskräfte sagen sollten: „Auch wenn wir keine genauen Daten haben, wir müssen jetzt handeln. Denn wenn uns die Daten vorliegen, wird es zu spät sein.“