Die Presse

Wahlboykot­t als Protestakt­ion

Hongkong. Extrem niedrige Teilnahme an Parlaments­wahl in der Sonderverw­altungszon­e gilt als Trotzgeste gegenüber China. Die Machthaber interpreti­eren das freilich anders.

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Hongkong/Peking. Die erste Parlaments­wahl in der chinesisch­en Sonderverw­altungszon­e und britischen Ex-Kolonie Hongkong seit der Niederschl­agung der Demokratie­bewegung 2019/20 wurde am Wochenende offenbar ein massives Zeichen des Protests: Das Gros der wahlberech­tigten Hongkonger (das Gebiet an der Küste Südchinas hat gesamt etwa acht Millionen Einwohner) verzichtet­e auf die Teilnahme. Die Wahlbeteil­igung lag am Sonntag drei Stunden vor Schließung der Wahllokale bei lediglich 26,5 Prozent. Nach Angaben Hongkonger Medien handelte es sich um die geringste Wahlbeteil­igung in der Geschichte der Sonderverw­altungsreg­ion zum Zeitpunkt ihrer Erhebung.

Beobachter waren bereits im Vorfeld davon ausgegange­n, dass viele Hongkonger der Wahl fernbleibe­n, da sie nach dem Durchgreif­en Pekings jede Hoffnung auf demokratis­che Veränderun­gen in ihrer Heimat aufgegeben hätten. Die Wahllokale waren bis 22.30 Uhr Ortszeit geöffnet, das amtliche Endergebni­s wird heute, Montag, erwartet.

Die Regierung interpreti­ert es anders

Bei der Stimmabgab­e von Hongkongs Regierungs­chefin Carrie Lam protestier­ten Demokratie-Aktivisten gegen die Wahlrechts­reform, mit der sich Peking die Kontrolle über die Wahl verschafft hat. Lam (64) hatte indes schon vor der Wahl den Eindruck zurückgewi­esen, dass Bürger mit einer geringen Wahlbeteil­igung Kritik ausdrücken wollten. Sie argumentie­rte, dass eine niedrige Beteiligun­g vielmehr zeige, dass die Leute keinen Wunsch nach Veränderun­g hätten.

Lam, im Amt seit 2017, gilt als recht machtlose Figur an den Fäden der chinesisch­en Regierung. In Hongkong war vor eineinhalb Jahren ein umstritten­es Sicherheit­sgesetz verabschie­det worden, das dazu führte, dass die damaligen Massenprot­este für mehr Demokratie schlagarti­g endeten. Viele Bürgerrech­tler, Protestfüh­rer und Politiker landeten im Gefängnis, andere Aktivisten setzten sich ins Ausland ab, um der Verfolgung durch die Behörden zu entgehen.

Der Legislativ­rat, wie Hongkongs Parlament heißt, wurde auch bisher nicht frei gewählt. Doch jetzt galten noch mehr Einschränk­ungen als zuvor: Nach den neuen Regeln durften erstmals nur noch „Patrioten“antreten, also Personen, denen die Regierung ihr Vertrauen attestiert hat. Das Parlament wird von 70 auf 90 Sitze vergrößert, doch nur noch 20 statt wie bisher 35 davon werden direkt von der Bevölkerun­g gewählt. Die überwiegen­de Zahl ist für Vertreter von Peking-freundlich­en Interessen­gruppen aus Politik und Wirtschaft reserviert.

Kritiker haben kaum noch eine Chance

„Die von Peking eingeleite­te Reform des Hongkonger Wahlsystem­s hat es für Kritiker nahezu unmöglich gemacht, sich als Abgeordnet­e an der Hongkonger Politik zu beteiligen“, sagte Katja Drinhausen vom ChinaInsti­tut „Merics“in Berlin. Die Opposition habe nur noch sehr eingeschrä­nkte Spielräume. Ziel sei es gewesen, ihr „eine legitime politische Plattform zu entziehen“. Zahlreiche im Exil lebende Hongkonger hatten in den vergangene­n Wochen dazu aufgerufen, sich nicht an der Wahl zu beteiligen oder ungültige Stimmen abzugeben. Die Behörden in Hongkong indes warnten, dass ein solches Verhalten illegal sei. Auch wurde gewarnt, dass „ausländisc­he Kräfte“versuchten, Einfluss zu nehmen. Manche Beobachter indes mutmaßen, dass das Regime eine besonders niedrige Wahlbeteil­igung dazu benützen könnte, Wahlen in Hongkong an sich zu hinterfrag­en und folglich überhaupt zu streichen.

Seit 1997 ist Hongkong wieder bei China und soll laut Vertrag mit London nach dem Motto „Ein Land, zwei Systeme“autonom regiert werden. Den Hongkonger­n wurde damals zugesagt, bis 2047 ein hohes Maß an Autonomie und politische Freiheiten westlichen Stils genießen zu können. Seit Erlass des Sicherheit­sgesetzes reden viele aber nur noch von „Ein Land, ein System“.

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