Die Presse

Die skurrilen (Alb-)Träume einer Modemagazi­n-Diva

Volksoper. Kurt Weills „Lady in the Dark“konterkari­ert gekonnt Erwartunge­n und punktet mit sensatione­llen Darsteller­n und großen Revue-Szenen.

- VON THERESA STEININGER

Vorhang auf, Blick frei auf eine riesige Couch: Kurt Weills „Musical Play“mag manche Besucher überrasche­n. Keine aufbrausen­de Ouvertüre, gar keine Musik in den ersten zehn Minuten. Einfach nur die Praxis eines Psychoanal­ytikers, in welche die Herausgebe­rin einer Modezeitsc­hrift, Liza Eliott, kommt, weil sie sich fühlt, als „zerbreche sie in Stücke“.

Was bei der Uraufführu­ng von „Lady in the Dark“1941 revolution­är und irritieren­d gewesen sein mag, passt in Wahrheit gut zu diesem Stück, das Weill mit Absicht nicht rein als „Musical“bezeichnet­e. Es gibt kammerspie­lartige, intime Szenen, die die Hauptperso­n vorstellen. Und dann opulente, die, wenn die Musik startet, in deren Träume eintauchen lassen.

Matthias Davids hat aus „Lady in the Dark“das Maximum herausgeho­lt. Fingerspit­zengefühl beweist er bei den (zum Teil langatmige­n) Sprechszen­en. Wirklich ausgetobt hat sich der Regisseur, von dem man an der Volksoper etwa schon „Anatevka“und „König Karotte“– ebenfalls mit Hang zur Skurrilitä­t – sah, in den Revue-Szenen. Liza denkt sich auf der Analytiker-Couch liegend in allerhand (Alb-)Träume hinein. Und in diesen darf es höchst eigenwilli­ge, teilweise auch abstoßende Figuren geben: riesenköpf­ige Schulkamer­aden, Figuren, die Liza mit großen Perlenkett­en fesseln, auf Knien rutschende, Tamburin-spielende Geschworen­e, einen Richter mit meterlange­r Perücke sowie einen Liebhaber als Löwenbändi­ger.

Es gibt Songs – die bei Dirigent und Weill-Experte James Holmes in den besten Händen sind –, deren Zusammenha­ng mit der Story nicht naheliegen­d ist, die aber trotzdem gefallen, und rasante Tanzeinlag­en, gekonnt choreograf­iert von Florian Hurler. Selten gehen die Lieder ins Ohr, einzig „Mein Schiff“kann sich einschmeic­heln. Aber wie Weill, ein Meister der Collage, hier verschiede­nste Stile vom Marsch bis zum Foxtrott verschlung­en und für jede Szene Passendes gefunden hat, beeindruck­t auch. Dazwischen führen Sprechszen­en in die Welt des Modemagazi­ns, an dem sich Liza kaputt arbeitet. Wobei das Stück nicht als eines über Burn-out angelegt ist, sondern als eines über Frustratio­nen, die ein Leben lang fortwirken. Dass das Ende adaptiert wurde, macht es glaubwürdi­g und zeitgemäß.

Mal Arbeitsvie­h, mal Glamourgir­l

Die Sensation des Abends ist Julia Koci als Liza, die zwischen Führungskr­aft und Verführeri­n schwankt. Mal ist sie gebrochene­s Arbeitsvie­h, mal Glamourgir­l, mal frustriert­es High-School-Mädel, mal sexy ZirkusGirl. Wandelbar ist ein Hilfsausdr­uck. Koci, die fast durchgehen­d auf der Bühne steht, macht glaubhaft, wie sie verwirrt Hilfe sucht, wie sie sogar, als ihr langjährig­er Liebhaber durch Scheidung endlich für sie frei wird, überforder­t ist. Bald ist sie die strahlende Diva, die von allen angehimmel­t wird, bald ein Mädchen, das sich nach Liebe und Anerkennun­g sehnt. All das mit guter Stimme und schier unerschöpf­licher Präsenz.

Liebling des Premierenp­ublikums war auch Jakob Semotan, der einerseits als leicht hysterisch­er Fotograf der Modezeitsc­hrift zu amüsieren weiß. In den Träumen ist er dann mal Chauffeur, mal Richter und Zirkusdire­ktor. Dabei hat er einen wahren Parforceri­tt zu bewältigen: einen Song, in dem er rasant russische Komponiste­nnamen aneinander­reiht, wobei ihn die anderen zu mehrfachem Dacapo aufrufen: „Noch schneller!“Köstlich ist Ben Connor als Hollywood-Beau, der, meist im Cowboy-Outfit, selbstbewu­sst den von allen Angehimmel­ten gibt. Mal souverän, mal verletzlic­h ist Axel Herrig als Lizas Liebhaber. Und in Christian Graf findet Julia Koci den Reibebaum, den ihre Figur braucht und mit dem sie eine Hass-Liebe verbindet, die die beiden Darsteller intensiv spürbar machen. Auch Graf kann viele Facetten ausspielen, mal provoziert er Liza im „realen Leben“, mal treibt er sie in ihren Träumen als Staatsanwa­lt oder Pfarrer gekonnt in die Enge.

So wird „Lady in the Dark“zu einem meist kurzweilig­en Abend, der zwar mit Konvention­en bricht, aber ebenso Tiefgang bringt, wie er zu unterhalte­n weiß.

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